Von Punk-Rock zu Amazon Prime

Ich wusste seit langem, dass sie das nie verzeihen würden. Sicher war ich mir nach einen Film über Jhonny Thundes im Kino Central. Ich hatte Jhonny Thunders noch um 1989 im Berliner Loft gesehen. I´m living on a chinese rock. Kein Zweifel, dass da ein Egoman auf der Bühne stand. Einer, dem selbst sein Junkytum zu Diensten war, nicht umgekehrt.

Jhonny Thunders war im Loft eingereiht in eine Reihe anderer artifizieller Acts aus den USA, so dass der egozentrische Hedonismus im Drogenrausch sich jedenfalls in einer Abstammungslinie an Kunstmusik mit Wurzeln in den 60´er Jahren einreihte.

Die pöbelnden Punkrocker, die im Kino Central zeigen wollten, wie schön thundersmäßig sie draufwaren, gingen nach der Hälfte des Films und ließen ihre Bierflaschen zurück. Kam doch nicht so gut an, wie Jhonny Thunders seine Familie unterdrückt, seine Bandmitglieder unterdrückt, sich selbst unterdrückt und auch sonst ein Vorbild an Charakterschwäche abgibt, hinterhältig und selbstgerecht . Born to lose, das sind immer die Anderen.

Anyway. MC5, The New York Dolls, Television, Jhonny Thunders, TV Personality, Ramones, Patti Smith, das sind einige der popkulturell großartigen Bands, die im CBGB den Punkrock als Bewegung der Gesellschaftskritik vom Zentrum der modernen westlichen Welt schufen. Die Botschaft des Punk-Rock war von Anfang an: Wir haben nur uns selbst. Als selbstbewusstes, widerständiges Auftreten mit Anspruch und Stil, als Kunst.
Nicht zu vergleichen mit dem Bierflaschen- und Hunde-Image des Kotti-Punks, der sich überwiegend später zeigt, meist als Rückhaltebecken für die, die oft niemanden mehr haben als die Straße und die Hunde und sich selbst.

Wir haben nur uns selbst. Das Introvertierte, das Romantische und Egomanische daran erkannte Malcolm MacLaren. Er schuf den englischen Punk-Rock als Super-Merchandising, ein frühes Guerilla-Marketing: Sid Vicious als Ikone, Never Mind the Bollocks als Brand.

Eine sehr kurze Geschichte des Punkrock. Es war klar, dass Gesellschaftskritik im Stil der Ramones nicht ungestraft bleibt. Kritik hat verkopft zu sein oder wenigstens larmoyant. Irgendwas von vornherein Defensives.  Hier war kein Jammern, kein Zeichen von Unterordnung. Es dauerte nicht lange und dann kamen Friseure und französische Filmemacher mit Spray und Waschmaschine und schließlich Werbeleute und die CDU, die die TotenHosen karaokierte, kein Erbarmen. Vom Punkrock blieben Jeans mit Löchern, Stachelarmbänder und komische Frisuren, Rücksichtslosigkeit und Stinkefinger.

Und Amazon macht jetzt TV-Serien in den Amazon Prime Studios, „Wir sind der Sid Vicious der TV-Networks.“ in der FAZ.

Autorennen! Autorennen! Symposium Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

Am Wochenende 17. / 18. Oktober 2015 fand das Symposium Erhalten! Wozu? im Dokuzentrum Reichsparteitagsgelände statt.

Vorweg: zur Einordnung die Nachberichterstattung.

Das Autorennen Norisring am Reichsparteitagsgelände vor DER Tribüne, ein Randaspekt, der alles beherrscht. In den Nürnberger Nachrichten fiel die Schlagzeile auf Seite 1: „Aus für Noris-Ring-Rennen am NS-Areal“. Die Bild teilt uns heute (20.10.2015) mit, der Oberbürgermeister versichere, das Rennen finde weiterhin statt. Zwei Tag Symposium, Vier Panels (drei davon von Redakteuren der Nürnberger Nachrichten moderiert), 16 Professoren/Verleger/Direktoren etc., Publikum, Diskussionen enden in der Schlagzeile, ob ein Autorennen stattfindet. Soweit jemand noch die Kritik an der Fixierung der Deutschen am Autofahren für eingebildet und überzogen halten sollte, hier persifliert sich die Presse selbst und bietet dem Leser, was er sicher nicht sucht. Keiner soll kommen und so tun, als wäre das eben das Interesse des Lesers. Hier wären die Unterschiede zwischen Propaganda, Meinungsführung und Berichterstattung schön zu exerzieren.

Torte am BandEin Leser mit Kultur, führt diese an der Schnur (hier: München)

Diesem ungeklärtem Verhältnis entgegen steht nicht nur der Versuch, sondern auch das Gelingen des Dokuzentrums, mit einem schwierigen Thema umzugehen, zu differenzieren und Perspektiven durch einen breiten wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs zu öffnen. Was man so hörte, spielte das Autorennen am ersten Tag daher nur am Rande und untergeordnet ein Rolle. Und auch da ging es eigentlich um die Frage, ob das Gelände zur Kommerzialisierung freistehen könne oder dies irgendwie unangebracht wäre.

Ich war nur am Sonntag da und verfolgte das Panel der Historiker Christoph Cornelißen, Neil Gregor, Ulrich Herbert und Birthe Kundrus und auch diese wurden dem Thema Autorennen nur mit einem Halbsatz gerecht! Mir, so Ulrich Herbert in emotionaler, persönlicher Rede, ist dieses ganze Nazizeug widerlich. Die Reichsparteitage waren den meisten eine Pflichtveranstaltung, ein Besäufnis, es stank überall und starrte vor Dreck. Er könne auch Autorennen nicht ausstehen, aber wenn schon, dann wäre dort wohl der richtige Ort!

Womit dann auch ein Kernpunkt der Einschätzungen getroffen wäre, der sich durch alle Erwägungen bezüglich des Reichsparteitagsgeländes zieht: Der der Profanisierung oder befürchteten Banalisierung, auf der anderen Seite einer Überhöhung des Gegenstands. How come?

Konsens der geladenen Gäste war die Feststellung einer klaren Linie der stillen Historisierung des Dritten Reichs in den letzten 25 Jahren. Die Shoa ist damit nicht mehr ein Ereignis jenseits der Geschichte, wie es Neil Gregor ausdrückte. Die Kontroversen entspannen sich daran, die Konsequenzen aus diesem Befund zu entwickeln und dann auch zu auszuhalten.

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Cornelißen riss vier Punkte an, die im Übrigen different betrachtet wurden. Einiges davon:

  • Das Reichsparteitagsgelände habe in Größe und Art des Orts ein Alleinstellungsmerkmal, welches grundsätzlich zur besonderen Pflege der Erfahrbarkeit verpflichte. Der Purismus der Vorschläge von Prof. Nerdinger (München, Tendenz Rückbau auf Status Quo 1945) ging ihm zu weit. Beidem widersprach Ulrich Herbert vom Grund her vehement: Die Größe sei, gemessen an damaligen wie heutigen Verhältnissen nicht exzeptionell und besonders dem heutigen Besucher schon fast banal. Da stehe an Monumentalität das Aachener Klinikum oder anderes gegen das angeblich Außergewöhnliche des Ortes. Dies lasse sich das Publikum daher nicht verkaufen, wodurch Unglaubwürdigkeit entstehe. (Ich ergänze: 120.000 Besucher bei unserem Autorennen Norisring, Oktoberfest)
  • Erst mit der Umwälzung in der Folge der Perestroika sei das Konzept Erinnerungsort entstanden, das die historische Debatte grundsätzlich verändert habe. Die Memorialkultur (Jan und Aleida Assmann) sei in den Blick geraten und habe andere Konzepte der historischen Beschreibung ersetzt. Das müsste stärker aufgenommen werden. Dies nahmen Gregor und Kundrus auf, die betonten, dass die frühere Betonung von Verdrängung (Gregor: kein analytischer Begriff), Verführung und Unterwerfung (Kundrus: ist als Beschreibungsmittel „out“) vermieden werden müssten.
  • Alle waren sich mehr oder weniger einig, dass die Rezeptionsgeschichte (die nachfolgend eröffnete Sonderausstellung) Teil der Ausstellung werden sollte, um über den gewandelten Umgang mit der Geschichte den eigenen Blick zu schärfen.
  • Einigkeit bestand auch in dem Aspekt, das von der Stadt formulierte Konzept einer „Erfahrbarkeit“ des Geländes als Humus der nationalsozialistischen Verbrechen abzulehnen, aus verschiedenen Gründen: tatsächlichen und didaktischen. Es gebe kein Nachempfinden der Geschichte. Erinnerung ist nicht notwendig empathisch und Empathie nicht spiegelbar. Die gewollte pädagogische Wirkung könne nur durch Suggestion entstehen. Suggestion wird jedoch bloßgestellt, sobald etwas in das Gelände hinein gelesen werde, das es nicht hergebe. Hier prononcierte wieder Herbert stark: Das Reichsparteitagsgelände war seinerzeit (bis 1939) Ausweis einer europäischen Normaldiktatur und dort der Feiertagsseite und hatte historisch nicht die Funktion oder den Effekt, die Massen zu verführen. Dies geschah über militärische, wirtschaftliche und innenpolitische Erfolge, die auch denjenigen Zugute kamen, die nicht Teil der Bewegung waren. (Da klangen die Thesen Götz Alys von der Versorgungsdikatur an, freilich ohne dass er genannt wurde.) Wie bei jeder Quelle schade die Überbeanspruchung, Überforderung derselben. Gefragt sei Präzision und Bescheidenheit.

Von selbst versteht sich, dass in der Diskussion alle betonten, angesichts der bald 800 Erinnerungsstätten zum Nationalsozialismus sei es an der Zeit die Finanzmittel stärker zu fokussieren, weniger die Gebäude zu bedienen und die Geschichtsdidaktik nicht zu vernachlässigen.

Eine interessante Kontroverse entspann sich an der Auffassung Neil Gregors, der die Anforderungen des internationalen Publikums stark machte. Bei ihm bemerkte man einen freieren, gelasseneren Umgang mit den Verbrechen der Nazis, die im deutschen Publikum, wie ich meine nachvollziehbar, noch immer Hemmungen auslösen. Aus diesem Grund kann Gregor empfehlen, das Ausstellungskonzept zu erweitern durch eine vergleichende Holocaustgeschichte, eine Einbindung in die europäische Geschichte, den Zeitrahmen zu erweitern auf die Nachnutzung des Geländes und auch in Sonderausstellungen beispielsweise die Völkermorde von Ruanda oder Kambodscha aufzunehmen.
Seine Vorstellung besonders hätte die Chance eröffnet, für Nürnberg mit seinem spezifischen Erbe und der Erfolgen der Vergangenheit eine Perspektive zu öffnen: Die Positionierung als Stadt der Menschenrechte mit enem vielfältigem Angebot der Auseinandersetzung zu Menschrechtsverletzungen, Diktatur und Genozid und zugleich auch der Möglichkeit der Überwindung und Etablierung zivilgesellschaftlicher Strukturen nach einer solchen Katastrophe.

Der Vorschlag von Neil Gregor, das Gebäude auch für die Darstellung der Entwicklung nach 1945 (Flüchtlingslager und Entnazifizierung) und darüber hinaus von Flüchtlingsbewegungen und Massenvernichtungen nach 1945 zu nutzen, wurde von Herbert kategorisch abgelehnt („Das ist Quatsch“). Auch das Publikum befand, die Einzigartigkeit der Anlage nicht durch Bezugnahme auf das Weltgeschehen zu stören / überfrachten. Weshalb aber, wenn sonst die Banalisierung, die Zerstörung der Symbolhaftigkeit des Ortes als Humus der nationalsozialistischen Verbrechen und die Einordnung in Raum und Zeit gefordert wird?
Auch die Stadt hat durch die Kulturreferentin in der ersten Zusammenfassung dieses Potential der Außensicht Gregors nicht erfasst, wie auch nicht die einhellige Kritik an dem Gedanken der geführten, suggestiven Erfahrbarkeit von Schrecknis und Verführung.

Für eine konsequente Darstellung des Nationalsozialismus in vergleichender Perspektive ist Deutschland noch nicht bereit. Ulrich Herberts Verdikt von einem unangebrachten Sündenstolz dürfte jedoch ebenfalls nicht treffen.  Der notwendige Prozeß des Trauerns in der Gesellschaft ist erkenntlich noch nicht abgeschlossen und noch nicht so weit fortgeschritten, dass die Einordnung in eine größere Perspektive gelingen könnte. Entweder soll die Einzigartigkeit des Nazi-Regimes doch noch nicht ganz in Frage gestellt oder dem Gast zumindest die Störung der Erfahrung dieser Gräuel durch Kontextualisierung nicht zugemutet werden. In diese Richtung war die allgemeine Kritik wohl zu verstehen.
Insofern scheint mir doch auch bei der Kritik an Gregor ein deutscher Idealismus durchzubrechen, wenn trotz aller Historisierung der nationalsozialistischen Verbrechen eine Abwehrhaltung besteht, diese dann auch in den  Kontext zu stellen. Der Idealismus zum Guten im Menschen ist (zum Glück) nicht aufgegeben. Ein Umgang mit der Erkenntnis, dass der Genozid wiederholbar ist, ist noch nicht gefunden und die tiefe Verunsicherung und Enttäuschung über die Entstehung eines nicht nur barbarischen, sondern eben verwaltungsmäßigen Genozids nicht überwunden.
Ulrich Herbert lehnt Gregor aus einem anderem Grund ab: Das Gelände gebe es nicht her und überfordere die Anlage. Eine nachvollziehbar Haltung,  die aber in Konsequenz nur mehr rein museale oder an den Originalort gebundene Geschichtsdidaktik akzeptieren könnte. Angesichts der überbordenden und meist übersättigten Erinnerungsstätten im Verhältnis zu den vorhandenen Finanzen im Grundsatz zu erwägen. Doch Nürnberg bietet eben mehr.

Dokuzentrum

Nachweg:

Im Hintergrund der Debatte lauert nach wie vor der Historikerstreit Habermas – Nolte. Neben der einstimmigen Feststellung der Historisierung des Nationalsozialismus war es Ulrich Herbert, der betonte, dass jeder Ruf nach Profanisierung des Geländes eine vorherige Überhöhung, Sakralisierung voraussetzt. Das war auch der Fall bei dem Verdikt Habermas´ gegen den (untauglichen, weil kausalisierenden) Vergleich Noltes, die nationalsozialistischen Verbrechen mit den stalinistischen zu erklären. Gregor wies auf die neuere vergleichende Forschung hin und den Spruch Rathenaus: Denken heißt Vergleichen. Dennoch wurde sein Versuch, das Konzept der Ausstellung auf eine vergleichende Geschichte zu erweitern, auch vom Publikum abgelehnt, das Gelände sollte danach solitär bleiben. Gregor hat als Ausländer spürbar einen anderen Blick, der es Wert gewesen wäre, genauer besprochen zu werden. Nicht nur hier fehlte es an jeder verständigen Moderation.

Vergleichbar kann auf die Kritik an Timothy Snyder erinnert werden. Er untersucht die Genozide im zwieten Weltkrieg penibel ohne Fixierung auf die nationalsozialistische Einzigartigkeit, was deren Verbrechen in keiner Weise banalisiert. Im Gegenteil, je genauer die Morde erforscht werden, umso detailreicher unser Bild davon wird, umso mehr können wir tatsächlich erfassen und erkennen. Auch hier hat die deutsche Geschichtswissenschaft sichtlich Probleme mit einem international gefeierten Autor, so Dirk Schümer in der Welt. (En passant stellt sich die Frage, warum Schümer diese Feststellungen nach Schirrmacher nicht mehr in der FAZ trifft, sondern in der Welt?)

TTIP und der (digitale) Bürgerkrieg

Michael Hudson, „Der Finanzsektor betreibt eine neue Art der Kriegsführung

Shoshana Zuboff spricht vom militärisch-informationellen Komplex, von einer Kampfansage gegen die Enteignung durch den Überwachungskapitalismus.

Die Dimension einer weltweiten Auseinandersetzung um wirtschaftliche Vorherrschaft ist evident. Die Feindseligkeit der Auseinandersetzung ist dabei strittig, ähnlich den Luftraumverletzungen, die anhand der Auslegung von internationalen Abkommen und nicht-öffentlichen Verkehrsdaten immer an der Grenze zwischen internationalem und nur diplomatischem Konflikt stehen.

Warren Buffett: Klassenkampf herrscht in den USA seit 20 Jahren, und meine Klasse hat gewonnen.
Lloyd Blankfein will beschwichtigen: We are worriers, not Wariors.

Angestoßen hatte das Thema nicht Frank Schirrmacher, aber er hat ihm Kraft verliehen und durch Hudson, Zuboff, Graeber, Evgeny Morozov, Constanze Kurz, Frank Rieger, Trevor Paglen usf. Gehör verschafft hat (anstatt links zur FAZ: technologischer Totalitarismus). Seit seinem Ableben hat die Diskussion keine Kraft mehr. Es ist schwer zu sagen, ob die Wirksamkeit solcher Debatten tatsächlich an seiner Person festgemacht werden konnte. Vor Allem hat er dem Thema Glaubwürdigkeit verliehen und aus der schwierigen Ecke der Bedenkenträger und Besorgten, der Mahner und Kassandras herausgeholt, indem er durch seinen Status und die FAZ etwas ausschließen konnte, was für rationale Argumente tödlich ist: Naivität. Der Vorwurf der Naivität degradiert jedes Argument in den Hinterhof des Kenntnislosen und Realitätsfernen. Die innere Haltung des Kampfes, der Ausweis einer Kampfmoral verschafft den Argumenten erst die breite Respektabilität, die sie benötigen, um breit wahrgenommen zu werden. Naivität ist dabei die despektierliche Beschreibung der rationalen Kritik gegen die normative Kraft des Faktischen.
Wackersdorf war in diesem Sinn naiv, Brockdorf war naiv, Castor war naiv, das Volkszählungsbegehren war naiv. Demokratische Prozesse.

Nicht anders ist es mit TTIP. Auch hier hat erst die Beharrlichkeit der Kritiker (zusammen mit ein paar prominenten Stimmen) die Respektabilität geschaffen.

TTIP muss unter dem Aspekt der Kritiken und unter dem Aspekt der Verhandlungsführung als ein Teil des Kampfes um ökonomische Vorherrschaft gesehen werden. Gemeinsam mit dem „Überwachungskapitalismus“, militärisch-informationellen Komplex oder schlichter der BigData-Industrie ist dem Handelsabkommen der Eingriff in die demokratischen Entscheidungsbefugnisse. Die Kritik an TTIP sollte nicht den Fehler begehen, zu verkennen, dass Wirtschaft bereits zuvor erheblichen Einfluss auf die demokratischen Prozesse genommen und Demokratie delegitimiert hat. Die Kritik sollte sich auch nicht in die Ecke stellen, sowohl die Gewalttätigkeit, als auch die Notwendigkeit der Wirtschaft in der Gesellschaft anzuerkennen.
TTIP muss  jedoch auch unter dem Aspekt gesehen werden, dass offensichtlich der demokratische Prozess erst die Basis schafft für Prosperität. Das ist der Kern der Kritik. Es stellt sich also nur die Frage nach dem Primat der Politik, oder nicht.

10. Oktober 2015 TTIP-Demo in Berlin.

Sokol zu Gosh zu Weber

Von manchen Rezensionen erfährt man mehr als von manchen Büchern. Vorausgesetzt, die Grundlage stimmt.

„.. stellt nochmals heraus, dass nicht etwa der moderne Kapitalismus, sondern der Begriff der (innerweltlichen) Askese (im Sinne einer systematischen Rationalisierung der Lebensführung) den theoretischen Kern der PE bildet, legt damit aber zugleich den Finger in eine offene Wunde (Kap. I.8). Wenn Weber nämlich im ersten Teil der PE darauf besteht, der Gegenstand der Untersuchung („Geist“ des Kapitalismus) lasse sich nicht vorab „definieren“, seine „endgültige begriffliche Erfassung“ könne vielmehr erst am Schluss erfolgen, so bleibe er genau dieses Versprechen schuldig, weil der Begriff des „kapitalistischen Geistes“ am Ende gar keine tragende Bedeutung mehr besitze. Dies aber aus gutem Grund. Im Laufe der Untersuchung habe Weber nämlich seine ursprüngliche Vorstellung von der protestantischen „Ethik“ und dem „Geist“ des Kapitalismus durch eine andere und präzisere Problemstellung überlagert: asketischer Kapitalismus und Geist des Rationalismus. Daraus erkläre sich, dass Weber die PE im Grunde auch gar nicht inhaltlich abgeschlossen habe, sondern auf ein offenes Ende habe hinauslaufen lassen, das um die Leitbegriffe der Askese, des Berufs und der rationalen Lebensführung kreise …“

Thomas Sokol zu Peter Gosh, Max Weber and ‚The Protestant Ethic‘. Twin Histories

Auf ein Bier mit

Gundel-Bräu, Barthelmesaurach

Während der Norden und Osten Nürnbergs geprägt ist von den Tälern und Felsen der fränkischen und Hersbrucker Schweiz, führt uns der Süden in ein oft großzügigeres Gelände mit lang hingestreckten Höhenzügen, mit weitem Blick von dort oben von Tal zu Tal, von Ortschaft zu Ortschaft und Feld zu Feld bis hinunter zur eigentümlichen Geologie des Altmühltales. Ein sanfter Schwung gegen- und miteinanderlaufender Ebenen.

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Kurz hinter Schwabach und kurz vor der schönen, markanten Burg Abenberg, von dessen Turm die Landschaft sich nach Süden hin so schön ausfaltet, liegt Barthelmesaurach im Aurachtal, schon der Name ein fränkisches Gericht, Baddlmessaurach.

Die hiesige Brauerei Gundel war im September Bier der Woche im Wanderer am Tiergärtner-Tor und der Tester nahm den lauen Abend und den blassroten Gruß der untergehenden Sonne zum Anlass für eine Verkostung.

Ausgeschenkt wird klassisch im bauchigen Glas. Zur Wahl steht Dunkles und Helles vom Fass, das sich natürlich nicht nur farblich unterscheidet, jedoch nur selten in der dunklen Variante die übereifrigen getreidigen und sättigenden Noten sächsischer oder märkischer Dunkelbiere aufweist. Häufig findet sich im Kerngebiet fränkischer Kleinbrauereien rund um Bamberg auch das Helle ungespundete Bier in einer dunkleren Farbe bis hin zu Akazienhonig.

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Unter Dürers Giebelbalkon läuft dem Dichter ´s Liedel davon.

Hier ist das Helle kräftig hell und blond wie die Sehnsucht. Es begrüßt uns mit einem sehr feinporigen Schaum. Die ersten Schlucke künden mit feinem, herben Geschmack von Hopfen erster Güte, mit sämiger Textur des Schaums und feinperliger Sensorik von der klassischen Tradition fränkischer Braukunst und öffnen den Gaumen für die weiteren Kopfnoten vor.

Es trägt denn auch im Mittelteil des Biers die typisch fränkische Eleganz der ausgewogenen Bitternoten des Hopfens, die sich nun recht erfrischend auch in die Nase vorarbeiten und deutlich  den Appetit anregen. Begleitend kommt eine herrlich kleine, malzige Süße mit einer Ahnung von Pflaume hinzu, die sich im Abgang mit leichter Quitte ergänzt. Ein Klassiker! Wie geschaffen für die weiten Felder und kleinen Täler Mittelfrankens im Spätsommer.

(Fußnote: Ein kleiner Hinweis muss dem geneigten Unkundigen der fränkischen Lebensart zu Liebe auf seine Reise nach Baddlmessaurach mitgegeben werden. Die oft etwas unambitioniert wirkende Ästhethik, die sich hier und da bei der Produktpräsentation zeigen mag, ist, so versichert der Tester, tiefe Bescheidenheit, die die Lieblichkeit der Natur nur allzu selbstverständlich hinnimmt. Während der junge Bayer sich zunehmend mit verfehlter Lederhose und Dirndl, Jancker und Hut im Zuviel präsentiert, hat der Franke wohl wegen der tieferen Gründung seiner Herkunft allzu oft jede persönliche Eitelkeit verloren. Das mag zur Erläuterung genügen und tut hoffentlich der großzügigen Herzlichkeit, die sich in Geschmack und Wesen vermittelt, keinen Abbruch.)

Selbstverpflichtung der Wirtschaft

Volkswagen gesteht manipulierte Abgas-Tests

Nur, wenn mal wieder die Rede ist von der Selbstverpflichtung der Wirtschaft und den dazu gehörenden marktkonformen Rahmenbedingungen. Die machen es nicht. Nicht, wenn sie müssen und auch nicht, wenn empfindliche Strafen drohen. Warum dann, wenn keine Sanktionen drohen.
Sicher ist es ein Spiel, in dem sich jeder sicher fühlt, denn es machen sicher alle. Es ist nicht glaubhaft, dass Volkswagen mit der Motorentechnik soweit von dem Rest der Hersteller weg ist, dass die allein durch Manipulationen sich den Abgas-Normwerten der Anderen annähern könnten. Also manipulieren Alle. Gleich, ob im Bankensektor, IT, Automobil-, Lebensmittelindustrie oder Werbung. Was geht, wird auch gemacht. Unredlichkeit ist der Standard. Es ist ein empflindliches Signal, das längst angekommen ist.

Man muss deswegen nicht zynisch oder apokalyptisch werden, aber realistisch darf es doch sein. Und der Ruf nach Selbstverpflichtung der Wirtschaft ist das sicher nicht.

Friedrich Merkel die Große

Wenn man bisher auf das Grundgesetz eingeschworen wurde, konnte man sich meist sicher sein, dass es sich entweder um eine Art des Verfassungspatriotismus oder eine gemäßigte Art konservativer Reaktion handelte, mit der eine ausländische Bevölkerungsgruppe des reaktionären Konservativismus´ bezichtigt wurde.

Mit Michael Martens, heute in der FAZ scheint es, erfahren wir Variante 2 mit Sahnhaube: Die Dignitisierung von Kanzlerin Merkel durch Friedrich den Großen.

„In diesem Land, so hat es viele Jahre vor Angela Merkel einst ein anderer deutscher König gesagt, darf jeder auf seine Art glücklich werden.“

Da wäre eine Vossianische Antonomasie dran verlorengegangen. Friedrich Merkel die Große der deutschen Einheitspolitik.

Monster: Der Wolf von Ansbach zwischen Istar-Tor und Curt Siodmak

In der soeben beendeten Ausstellung „Monster“ im Germanischen Nationalmuseum war unter dem Stichwort Werwolf ein Stich (hier ohne den Text und unten Ausschnitt Bild 3) einer symbolischen Hinrichtung eines Wolfes zu sehen, der 1685 mehrere Kinder getötet und einige Erwachsene angefallen und verletzt haben soll. Die Opfer befanden sich meist außerhalb, auf dem Feld zum Hüten oder Kräutersammeln und die historischen Berichte lassen keinen Zweifel daran, dass die Toten mit einer Wolfsplage in Verbindung standen.
Der Wolf von Ansbach geht darauf zurück, dass das Tier schließlich in einer Wolfsgrube gefangen werden konnte oder in einen Brunnen fiel, sein Körper nach Ansbach gebracht und dort als Mensch drapiert öffentlich gehängt wurde.

Wolf Onolzbach

Quelle wiki: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_von_Ansbach#/media/File:Werwolf_von_Neuses.png gemeinfrei, Scan aus u.g. Buch v. Wolfgang Schild

Der Wolf von Ansbach ist also kein Mensch, der Wolfsgestalt annimmt, sondern ein Wolf, der als Mensch verkleidet wurde. Nicht der Mensch hat sich in einen Wolf verwandelt, sondern ein Geist oder „der Teufel“, hier der Geist eines toten, unbeliebten Menschen, es gibt verschiedene Versionen, fuhr in den Wolf und verursachte die böse Tat.

Das heutige Verständnis eines Werwolfs ist so eine Art Jeckyl and Hyde: Die unergründete und auch böse Natur, die im zivilisierten Menschen schlummert und aufbricht mit dem richtigen Elixier oder dem richtigen Mondenschein. Dann erscheint sein anderes Wesen und er verfällt damit in das Ungezügelte seiner Gier und Leidenschaft, Wooah. Ein Teil davon ist recht alt bis hin zum Gilgamesch-Epos und betrifft die Verwandlung des Menschen in einen Wolf, also im Kern eine irgendwie magische Vorstellung der Beseeltheit der Natur. Ein anderer Teil davon ist modern, weit weg vom Wolf von Ansbach: Unser Bild vom Werwolf, der sich im Mondschein verwandelt, mit Silberkugeln zu jagen ist und dessen Wunden erstaunlich schnell heilen geht auf Curt Siodmaks The Wolf Man (1941) zurück (Wiki), also im Kern eine Beschreibung, eine (rationale) Umsetzung der Vorstellung einer doppelten Natur des Menschen, die, wenn sie sich nicht bekämpft, so doch in einem unaufhebbaren, zerstörenden Antagonismus zueinander steht. Der Unterschied ist wesentlich. Zum ersten handelt es sich um eine Person in verschiedener Gestalt, der Stier ist Zeus, nicht nur die Reflexion einer Erscheinung. zum zweiten handelt es sich um ein Erklärungsprinzip, welcher Art auch immer, darüber läßt sich schön streiten: eine Metapher für (unterdrückte) Urängste, eine emotionale Anverwandlung unbewusst schlummernder Leidenschaften, die Kritik an persönlichem Schicksal und gesellschaftlicher Ausgrenzung.

Zwischen Istar-Tor und Curt Siodmak ist viel Raum.

Im Nachgang zum Dreißigjährigen Krieg hatten sich Wölfe in Franken wieder recht stark vermehrt, was  auf den starken Bevölkerungsrückgang und der damit einhergehenden reduzierten Bewirtschaftung des Landes zurück zu  führen ist. Die Wolfsplage findet sich auch wieder in der Umweltgeschichte: Georg Meister (Die Zukunft des Waldes) weist darauf hin, dass zu jener Zeit sich der Wald entscheidend und nachweislich erholt habe, da der Wolf den Überschuss an Rehen etc. reduzierte, weshalb sich die wertvollen, langsam wachsenden Bäume wieder haben durchsetzen können – die Triebe wurden nicht mehr weggebissen. Mit dem Wolf kommt der Wald.
Im Wald kollidieren zuerst die Interessen von Wolf und Mensch. Man muss annehmen, dass der Wolf auch seinerzeit ein scheues Tier war und grundsätzlich Abstand von den Siedlungen gehalten hat. Die Wölfe zogen sich in den Wald zurück, nur war der zugleich auch ein oft zur gemeinfreien Nutzung zugelassener Ort in dem die Tiere weiden konnten. Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung (für die schon sehr früh Nürnberg berühmt war, als Rohstoff-Ressource u.a. zur Versorgung der Papiermühlen) gab es sonst flächendeckend nicht. Auch deswegen nicht, weil das in die Nutzungsrechte der ländlichen Bevölkerung eingriff. Abseits der Siedlungen waren dann nur noch die Hirten, meist Kinder, die das Vieh hüteten. Wegen der Scheu der Tiere geht man auch davon aus, dass der Wolf von Ansbach ein alter, schwacher Gesell war, der die Tiere des Waldes nicht mehr reisen konnte.

Der Wolf jedenfalls plagte die Landschaft nach dem 30-jährigen Krieg.
Die Ansbacher also, wird überliefert, hätten eine Geschichte um einen verhassten, verstorbenen Bürgermeister gesponnen (nach anderen Quellen war´s der Pfleger Michael Leicht), dessen Seele in den Wolf fuhr. Sie haben ihm die Schnauze abgehackt, ihn in Kleider gesteckt, mit einer Gesichtsmaske und menschlichen Haaren kostümiert und öffentlich aufgehängt.

Quelle wiki: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_von_Ansbach#/media/File:Werwolf_von_Neuses.png gemeinfrei, Scan aus u.g. Buch v. Wolfgang Schild

Quelle wiki: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_von_Ansbach#/media/File:Werwolf_von_Neuses.png gemeinfrei, Scan aus u.g. Buch v. Wolfgang Schild

Davon berichtet der ausgestellte Stich in der Monster-Ausstellung des GNM. Auch der Text des Stiches verrät uns: Ein Geist ist in den Wolf gefahren:

Ich Wolff und Geist zu Gleich
that stets die Menschen plagen
Muss Leiden auh anjezt, das
mann zu mir tut sagen:

Sieh: du verfluchter Geist
bist in den Wolf gefahren;
hängst un am Galgen hier
geziert mit Menschenhaaren

steht da. Der Mensch verwandelt sich nicht in das Tier, als eine gefahrvolle Natur: das Monster, sondern den Wolf überkommt ein Geist, ein menschliches. Sie hängen den Geist. Die Natur ist zu fürchten, wenn etwas in sie fährt, könnte man spekulieren, während unser späteres Bild des Werwolfs die untergründige, gezwungene und triebhafte Natur im Inneren des Menschen beschwört. Ein Bild, das erst mit der Disziplinierung des Menschen im 18. Jahrhundert, mit dem Ende der Naturgeschichte entsteht und mit Mary Shelleys Frankenstein und Polidoris Der Vampyr wunderbare Metaphern erhält, die direkt auf die Entdeckung der elektrischen Reaktion in Froschbeinnerven zurückgehen.

Derselbe Stich, der in der Ausstellung des GNM verwendet wird, findet sich in Wolfgang Schilds Schilderung der Geschichte der Gerichtbarkeit (S. 66/67):

Bildausschnitt, Quelle: wiki wie oben und W. Schild

Bildausschnitt, Quelle: wiki wie oben und W. Schild

Die öffentliche Darstellung der peinlichen Strafe ist u.a. die Sühne für die verletzende Tat. Unerheblich ist im mittelalterlichen und früh-frühneuzeitlichen Strafrecht der Vorsatz oder die Zurechenbarkeit zum Bewußtsein über die Handlung: Daher wurden auch immer wieder Tiere der peinlichen Strafe zugeführt. Die vermutlich wichtigste Idee, die die Strafbarkeit einer Handlung an die (menschliche) Handlungsfreiheit band war die Imputationslehre Samuel von Pufendorfs (1632-1694), also einem Zeitgenossen unseres Wolfes hier. Pufendorf ist eigentlich eher als Historiker und Völkerrechtler bekannt und hatte dabei einen wesentlichen Einfluss auf die moderne Gesellschaftstheorie, die das Zusammenleben der Menschen nicht aus Zwang und Notwendigkeit wie bei Hobbes, sondern aus Geselligkeit und Vereinbarung ableitet und damit auf die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Notwendig war Pufendorf dabei die Herleitung der Handlungsfreiheit sowohl als Fähigkeit und souveränes Recht des Menschen. Für die Strafbarkeit erkannte Pufendorf die Notwendigkeit: verantwortlich ist der Mensch für die Handlungen, bezüglich deren es ihm freistand, ob er sie vornahm oder nicht. (s. hier bei Google) (Der Kern der modernen Ziviligesellschaft und die Begründung der gesellschaftlichen Freiheit in der Handlungsfreiheit und Kernthema dieses Blogs. Gibt der Mensch die Freiheit auf oder spricht er sie anderen ab, stellt er seine Souvernität in Frage.)

Hier könnte nun der eigentliche Grund für die Kostümierung des Ansbacher Wolfes in einen Menschen liegen. Es ist eine symbolische Hinrichtung einer zwischen magischen Naturvorstellungen und der Entstehung des Gewissens und persönlicher Verantwortung, einer zwischen Autodafé und Pädagogik, einer zwischen Schicksal und vorsätzlicher Tatbestandbegehung und Zurechenbarkeit, einer zwischen Untertan und Bürger oszillierenden Welt. Am Galgen hängt der Geist, der in den Wolfskörper gefahren ist, aber durch das Kostüm als Mensch wieder kenntlich gemacht wurde.

Der Wolf von Ansbach versteckt also einiges unter seinem Umhang, nur eher keinen Werwolf.