Am Wochenende 17. / 18. Oktober 2015 fand das Symposium Erhalten! Wozu? im Dokuzentrum Reichsparteitagsgelände statt.
Vorweg: zur Einordnung die Nachberichterstattung.
Das Autorennen Norisring am Reichsparteitagsgelände vor DER Tribüne, ein Randaspekt, der alles beherrscht. In den Nürnberger Nachrichten fiel die Schlagzeile auf Seite 1: „Aus für Noris-Ring-Rennen am NS-Areal“. Die Bild teilt uns heute (20.10.2015) mit, der Oberbürgermeister versichere, das Rennen finde weiterhin statt. Zwei Tag Symposium, Vier Panels (drei davon von Redakteuren der Nürnberger Nachrichten moderiert), 16 Professoren/Verleger/Direktoren etc., Publikum, Diskussionen enden in der Schlagzeile, ob ein Autorennen stattfindet. Soweit jemand noch die Kritik an der Fixierung der Deutschen am Autofahren für eingebildet und überzogen halten sollte, hier persifliert sich die Presse selbst und bietet dem Leser, was er sicher nicht sucht. Keiner soll kommen und so tun, als wäre das eben das Interesse des Lesers. Hier wären die Unterschiede zwischen Propaganda, Meinungsführung und Berichterstattung schön zu exerzieren.
Ein Leser mit Kultur, führt diese an der Schnur (hier: München)
Diesem ungeklärtem Verhältnis entgegen steht nicht nur der Versuch, sondern auch das Gelingen des Dokuzentrums, mit einem schwierigen Thema umzugehen, zu differenzieren und Perspektiven durch einen breiten wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs zu öffnen. Was man so hörte, spielte das Autorennen am ersten Tag daher nur am Rande und untergeordnet ein Rolle. Und auch da ging es eigentlich um die Frage, ob das Gelände zur Kommerzialisierung freistehen könne oder dies irgendwie unangebracht wäre.
Ich war nur am Sonntag da und verfolgte das Panel der Historiker Christoph Cornelißen, Neil Gregor, Ulrich Herbert und Birthe Kundrus und auch diese wurden dem Thema Autorennen nur mit einem Halbsatz gerecht! Mir, so Ulrich Herbert in emotionaler, persönlicher Rede, ist dieses ganze Nazizeug widerlich. Die Reichsparteitage waren den meisten eine Pflichtveranstaltung, ein Besäufnis, es stank überall und starrte vor Dreck. Er könne auch Autorennen nicht ausstehen, aber wenn schon, dann wäre dort wohl der richtige Ort!
Womit dann auch ein Kernpunkt der Einschätzungen getroffen wäre, der sich durch alle Erwägungen bezüglich des Reichsparteitagsgeländes zieht: Der der Profanisierung oder befürchteten Banalisierung, auf der anderen Seite einer Überhöhung des Gegenstands. How come?
Konsens der geladenen Gäste war die Feststellung einer klaren Linie der stillen Historisierung des Dritten Reichs in den letzten 25 Jahren. Die Shoa ist damit nicht mehr ein Ereignis jenseits der Geschichte, wie es Neil Gregor ausdrückte. Die Kontroversen entspannen sich daran, die Konsequenzen aus diesem Befund zu entwickeln und dann auch zu auszuhalten.
Cornelißen riss vier Punkte an, die im Übrigen different betrachtet wurden. Einiges davon:
- Das Reichsparteitagsgelände habe in Größe und Art des Orts ein Alleinstellungsmerkmal, welches grundsätzlich zur besonderen Pflege der Erfahrbarkeit verpflichte. Der Purismus der Vorschläge von Prof. Nerdinger (München, Tendenz Rückbau auf Status Quo 1945) ging ihm zu weit. Beidem widersprach Ulrich Herbert vom Grund her vehement: Die Größe sei, gemessen an damaligen wie heutigen Verhältnissen nicht exzeptionell und besonders dem heutigen Besucher schon fast banal. Da stehe an Monumentalität das Aachener Klinikum oder anderes gegen das angeblich Außergewöhnliche des Ortes. Dies lasse sich das Publikum daher nicht verkaufen, wodurch Unglaubwürdigkeit entstehe. (Ich ergänze: 120.000 Besucher bei unserem Autorennen Norisring, Oktoberfest)
- Erst mit der Umwälzung in der Folge der Perestroika sei das Konzept Erinnerungsort entstanden, das die historische Debatte grundsätzlich verändert habe. Die Memorialkultur (Jan und Aleida Assmann) sei in den Blick geraten und habe andere Konzepte der historischen Beschreibung ersetzt. Das müsste stärker aufgenommen werden. Dies nahmen Gregor und Kundrus auf, die betonten, dass die frühere Betonung von Verdrängung (Gregor: kein analytischer Begriff), Verführung und Unterwerfung (Kundrus: ist als Beschreibungsmittel „out“) vermieden werden müssten.
- Alle waren sich mehr oder weniger einig, dass die Rezeptionsgeschichte (die nachfolgend eröffnete Sonderausstellung) Teil der Ausstellung werden sollte, um über den gewandelten Umgang mit der Geschichte den eigenen Blick zu schärfen.
- Einigkeit bestand auch in dem Aspekt, das von der Stadt formulierte Konzept einer „Erfahrbarkeit“ des Geländes als Humus der nationalsozialistischen Verbrechen abzulehnen, aus verschiedenen Gründen: tatsächlichen und didaktischen. Es gebe kein Nachempfinden der Geschichte. Erinnerung ist nicht notwendig empathisch und Empathie nicht spiegelbar. Die gewollte pädagogische Wirkung könne nur durch Suggestion entstehen. Suggestion wird jedoch bloßgestellt, sobald etwas in das Gelände hinein gelesen werde, das es nicht hergebe. Hier prononcierte wieder Herbert stark: Das Reichsparteitagsgelände war seinerzeit (bis 1939) Ausweis einer europäischen Normaldiktatur und dort der Feiertagsseite und hatte historisch nicht die Funktion oder den Effekt, die Massen zu verführen. Dies geschah über militärische, wirtschaftliche und innenpolitische Erfolge, die auch denjenigen Zugute kamen, die nicht Teil der Bewegung waren. (Da klangen die Thesen Götz Alys von der Versorgungsdikatur an, freilich ohne dass er genannt wurde.) Wie bei jeder Quelle schade die Überbeanspruchung, Überforderung derselben. Gefragt sei Präzision und Bescheidenheit.
Von selbst versteht sich, dass in der Diskussion alle betonten, angesichts der bald 800 Erinnerungsstätten zum Nationalsozialismus sei es an der Zeit die Finanzmittel stärker zu fokussieren, weniger die Gebäude zu bedienen und die Geschichtsdidaktik nicht zu vernachlässigen.
Eine interessante Kontroverse entspann sich an der Auffassung Neil Gregors, der die Anforderungen des internationalen Publikums stark machte. Bei ihm bemerkte man einen freieren, gelasseneren Umgang mit den Verbrechen der Nazis, die im deutschen Publikum, wie ich meine nachvollziehbar, noch immer Hemmungen auslösen. Aus diesem Grund kann Gregor empfehlen, das Ausstellungskonzept zu erweitern durch eine vergleichende Holocaustgeschichte, eine Einbindung in die europäische Geschichte, den Zeitrahmen zu erweitern auf die Nachnutzung des Geländes und auch in Sonderausstellungen beispielsweise die Völkermorde von Ruanda oder Kambodscha aufzunehmen.
Seine Vorstellung besonders hätte die Chance eröffnet, für Nürnberg mit seinem spezifischen Erbe und der Erfolgen der Vergangenheit eine Perspektive zu öffnen: Die Positionierung als Stadt der Menschenrechte mit enem vielfältigem Angebot der Auseinandersetzung zu Menschrechtsverletzungen, Diktatur und Genozid und zugleich auch der Möglichkeit der Überwindung und Etablierung zivilgesellschaftlicher Strukturen nach einer solchen Katastrophe.
Der Vorschlag von Neil Gregor, das Gebäude auch für die Darstellung der Entwicklung nach 1945 (Flüchtlingslager und Entnazifizierung) und darüber hinaus von Flüchtlingsbewegungen und Massenvernichtungen nach 1945 zu nutzen, wurde von Herbert kategorisch abgelehnt („Das ist Quatsch“). Auch das Publikum befand, die Einzigartigkeit der Anlage nicht durch Bezugnahme auf das Weltgeschehen zu stören / überfrachten. Weshalb aber, wenn sonst die Banalisierung, die Zerstörung der Symbolhaftigkeit des Ortes als Humus der nationalsozialistischen Verbrechen und die Einordnung in Raum und Zeit gefordert wird?
Auch die Stadt hat durch die Kulturreferentin in der ersten Zusammenfassung dieses Potential der Außensicht Gregors nicht erfasst, wie auch nicht die einhellige Kritik an dem Gedanken der geführten, suggestiven Erfahrbarkeit von Schrecknis und Verführung.
Für eine konsequente Darstellung des Nationalsozialismus in vergleichender Perspektive ist Deutschland noch nicht bereit. Ulrich Herberts Verdikt von einem unangebrachten Sündenstolz dürfte jedoch ebenfalls nicht treffen. Der notwendige Prozeß des Trauerns in der Gesellschaft ist erkenntlich noch nicht abgeschlossen und noch nicht so weit fortgeschritten, dass die Einordnung in eine größere Perspektive gelingen könnte. Entweder soll die Einzigartigkeit des Nazi-Regimes doch noch nicht ganz in Frage gestellt oder dem Gast zumindest die Störung der Erfahrung dieser Gräuel durch Kontextualisierung nicht zugemutet werden. In diese Richtung war die allgemeine Kritik wohl zu verstehen.
Insofern scheint mir doch auch bei der Kritik an Gregor ein deutscher Idealismus durchzubrechen, wenn trotz aller Historisierung der nationalsozialistischen Verbrechen eine Abwehrhaltung besteht, diese dann auch in den Kontext zu stellen. Der Idealismus zum Guten im Menschen ist (zum Glück) nicht aufgegeben. Ein Umgang mit der Erkenntnis, dass der Genozid wiederholbar ist, ist noch nicht gefunden und die tiefe Verunsicherung und Enttäuschung über die Entstehung eines nicht nur barbarischen, sondern eben verwaltungsmäßigen Genozids nicht überwunden.
Ulrich Herbert lehnt Gregor aus einem anderem Grund ab: Das Gelände gebe es nicht her und überfordere die Anlage. Eine nachvollziehbar Haltung, die aber in Konsequenz nur mehr rein museale oder an den Originalort gebundene Geschichtsdidaktik akzeptieren könnte. Angesichts der überbordenden und meist übersättigten Erinnerungsstätten im Verhältnis zu den vorhandenen Finanzen im Grundsatz zu erwägen. Doch Nürnberg bietet eben mehr.
Nachweg:
Im Hintergrund der Debatte lauert nach wie vor der Historikerstreit Habermas – Nolte. Neben der einstimmigen Feststellung der Historisierung des Nationalsozialismus war es Ulrich Herbert, der betonte, dass jeder Ruf nach Profanisierung des Geländes eine vorherige Überhöhung, Sakralisierung voraussetzt. Das war auch der Fall bei dem Verdikt Habermas´ gegen den (untauglichen, weil kausalisierenden) Vergleich Noltes, die nationalsozialistischen Verbrechen mit den stalinistischen zu erklären. Gregor wies auf die neuere vergleichende Forschung hin und den Spruch Rathenaus: Denken heißt Vergleichen. Dennoch wurde sein Versuch, das Konzept der Ausstellung auf eine vergleichende Geschichte zu erweitern, auch vom Publikum abgelehnt, das Gelände sollte danach solitär bleiben. Gregor hat als Ausländer spürbar einen anderen Blick, der es Wert gewesen wäre, genauer besprochen zu werden. Nicht nur hier fehlte es an jeder verständigen Moderation.
Vergleichbar kann auf die Kritik an Timothy Snyder erinnert werden. Er untersucht die Genozide im zwieten Weltkrieg penibel ohne Fixierung auf die nationalsozialistische Einzigartigkeit, was deren Verbrechen in keiner Weise banalisiert. Im Gegenteil, je genauer die Morde erforscht werden, umso detailreicher unser Bild davon wird, umso mehr können wir tatsächlich erfassen und erkennen. Auch hier hat die deutsche Geschichtswissenschaft sichtlich Probleme mit einem international gefeierten Autor, so Dirk Schümer in der Welt. (En passant stellt sich die Frage, warum Schümer diese Feststellungen nach Schirrmacher nicht mehr in der FAZ trifft, sondern in der Welt?)