Datenschutz, Datenwert, freie Persönlichkeit

Wozu dient Datenschutz, was bringt mir das? Das sind die Fragen, die immer wieder aufkommen, wenn es um Datenkranken, Datensammelei, offene E-mail-Listen, Eltern und Kinder bei Facebook, Whatsapp und anderen socialmedia-Diensten geht. Meist fehlt es schon an der Kenntnis der Nutzer darüber, was im Internet passiert, über den Stand der Technik: etwa dass selbstverständlich alle E-Mails, die über googlemail, web.de, gmx, Yahoo usw. laufen, vollständig gescannt und verwertet werden: Die Themen, die Personen, die Beziehungen, die Metadaten. Oder das Profiling über den Browser, das beeindruckende und erschreckende Ausmaße angenommen hat. Oder die Algorithmen, die den Auftritt in den socialmedies steuern: Die Nachrichten, die Werbung, die Bilder, die Preise, die eingeblendet werden, folgen den Daten des Nutzers, um ihn möglichst gezielt anzusprechen und zu einer bestimmten Leistung zu bewegen. Lock in or Nudging.
Aber es fehlt auch an einem Bewußtsein darüber, was uns ausmacht in der Gesellschaft als Menschen und Bürger und dass Freiheit, Demokratie und Grundrechte keine Selbstverständlichkeiten sind. Zu den Grundlagen ein paar rasche Überlegungen.

Datenschutz ist nach der Legaldefinition des § 1 Bundesdatenschutzgesetzes: der Schutz des Einzelnen davor, „dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird.“ Das Persönlichkeitsrecht wiederum erschließt sich aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das in einigen Landesverfassungen und in der EU Grundrechtscharta explizit aufgenommen wurde und im Grundgesetz als grundrechtsgleiches Recht unter die Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Art. 2 Grundgesetz (GG) subsumiert wird: In einem langen Prozess der Rechtsfindung sammelt Art. 2 Abs.1 GG die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die wiederum durch drei Kernpunkte gestützt wird:

  1. allgemeine Handlungsfreiheit
  2. allgemeines Persönlichkeitsrecht
  3. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Das Persönlichkeitsrecht des § 1 BDSG wurde außerdem aus dem Grundrecht der Würde des Menschen, dem Selbstbestimmungsrecht und der demokratischen Willensbildung heraus entwickelt. Es geht also um die Freiheit der Person in einer demokratischen Gesellschaft, um die Teilhabe am politischen Entscheidungsprozessen und um das Recht auf Selbstbestimmung und ungestörte Entfaltung der Person, mit Betonung auf ungestört. Es ist damit auch ein eminent politisches Grundrecht, das aus der Erkenntnis entstand, dass Freiheit und Demokratie ohne die ungestörte Persönlichkeitsentfaltung nicht zu gewährleisten ist. Wem das so auf die Schnelle zu kompliziert ist oder wer mit freier Entfaltung der Persönlichkeit oder mit Demokratie nichts anfangen kann: das spielt erstmal keine Rolle. es handelt sich um ein Grundrecht, das sich als notwendig für das demokratische Gemeinwesen herausgestellt hat und auf das nicht verzichtet werden kann. Schon gar nicht für einen Anderen.

Wer am Datenschutz dreht oder drehen will, berührt und bedroht unmittelbar diesen Kernbereich des Bürgers in der Gesellschaft, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die freie Entfaltung der Persönlichkeit als eines der Standbeine des Art. 2 Abs. 1 GG. Und wer irgendetwas anderes erzählt, sollte gute Gründe anführen können, weshalb dieser zentrale Schutz des einzelnen Menschen vor Fremdbestimmung durch eine Staatsmacht oder die Gesellschaft oder wirtschaftliche Interessen nicht berührt sei – keinesfalls umgekehrt: Es handelt sich hier um ein sogenanntes Freiheitsrecht, also um ein Abwehrrecht des Bürgers vor einer Beeinträchtigung welcher Art auch immer.

Gesetzbuch

Wir halten fest: Datenschutz -> Recht auf informationelle Selbstbestimmung -> freie Entfaltung der Persönlichkeit = Artikel 2 Grundgesetz = Freiheitsrecht.

Derzeit muss man sich häufig Fragen gefallen lassen, nach denen derjenige, der sich auf ein Grundrecht beruft, sich im Erklärungsnotstand befindet. Sämtliche der Wirtschaft zugewandten Politiker (Merkel et al.: Daten sind das neue Öl!) und ein Großteil der Wirtschaft ohnehin stellen außer Frage, dass die informationelle Selbstbestimmung verhandelbar ist und zwar in Abwägung zwischen der Selbstbestimmung der Einen und dem ökonomischen Nutzen der Anderen. Ein doppelter Kategorienfehler. Die informationelle Selbstbestimmung ist ein grundrecht und der ökonomische Nutzen ein Wirtschaftsfaktor. Der der das eine verliert, hat zudem keinen Nutzen davon. Ein Beispiel davon ist auch die folgende Geschichte, in der sich die Problematik sauber spiegelt.

Ein Peter Heidkamp Head of Technology und offenbar Teil des Blog-Teams von KPMG, das sich „Klardenker“ nennt, klärt uns auf:

„Datenschutz ist wichtig, keine Frage. Und am sichersten sind die Daten, die nicht gesammelt werden. Allerdings entgeht uns damit ein noch viel größerer Nutzen. Schluss mit der Datensparsamkeit. Was wir brauchen, ist ein Datenreichtum.“

Also knapper geht´s nicht: Datenschutz ist gut, Nutzen ist besser, aber hier „noch viel größerer Nutzen“. Datenschutz hindert Nutzen, also Forderung nach Datenreichtum.

Die Klardenker von KPMG: Datenschutz ist wichtig. Aber hey, mal ehrlich: „noch viel größerer Nutzen!“ Keine Fragen mehr!

Alles andere ist (uns) geschenkt: Klardenker: am sichersten sind Daten, die nicht gesammelt werden. Sparsamkeit kann man auch mit der Differenzierung der Begrifflichkeit an den Tag legen, weil, größerer Nutzen!
Nun, Datensicherheit ist nicht Datenschutz. Hängt zwar miteinander zusammen, ist aber nicht eins. Datensicherheit betrifft (im engeren Sinn und heutzutage) den Schutz von digitalen Daten, die aus bestimmten Gründen erhoben und die prekär sind, die geschützt werden müssen. Der Ansatz ist danach schon mal nicht besonders klar gedacht, jedenfalls nicht nach herkömmlichen Maßstäben. Aber hey, „noch viel größerer Nutzen“.

Nutzen, nein, „noch viel größerer Nutzen“. Worin liegt der? Für wen? Woraus?
Nutzen wird hier vermutlich nicht im Sinne der Utilitaristen verstanden, auch wenn im Merkur (analog!) kürzlich eine erfrischende Lesart auf Bentham als Ursprung aller Selfies vorgestellt wurde. Nein, natürlich, wir sind ja nicht blöd, data are the new oil.

Aber: Datenschutz, freie Entfaltung der Persönlichkeit. Wem ist hier noch nicht klar, dass die Ökonomisierung unserer Daten mit, nein vielmehr gegen die freie Entfaltung der Persönlichkeit steht und fällt? Der Wert der Daten ist konnex mit dem Verfall der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Müsste man mal genauer beschreiben. Im Schnelldurchlauf: Die Daten haben keinen Wert an sich. Sie nutzen nur etwas, wenn man die Information verwenden kann, indem man einen Informationsvorsprung in zeitlicher oder quantitativer Hinsicht haben kann. Der Großteil des Umsatzes aus dem Verkauf unserer Daten fließt in der Werbeindustrie oder im Dienstleistungssektor, die ihre Dienste in Abhängigkeit vom persönlichen Verhalten der Bürger leisten: Versicherungen, Gesundheitsindustrie. (Die Gesundheitsindustrie war übrigens vor der IT- / BigData-Industrie der eigentliche heiße Kandidat für den nächsten Kondratieff-Zyklus)
Die Werbung will die Daten natürlich nutzen, um unser Kaufverhalten zu beeinflussen, also aktiv, das ist der Burner, nicht irgendwelche Marktanalysen a la Noelle-Neumann, die bestensfalls oberflächlich manipulativ wirken konnte. Werbung heute will mehr, sie will lenken. Sie will Einfluss nehmen und Bewußtsein steuern. Wenn Facebook die psychologischen Auswirkungen der Algorithmen an zehn- oder hundertausenden Nutzern testet, ist das keine Meinungsumfrage, sondern kognitives Engineering. Die Daten haben nur einen Wert, wenn sie zur Beeinflussbarkeit des ökonomischen handelnden Subjekts tauglich sind.
Der E macht alles mit Google. Kalender, Kontakte, E-Mail usf., Facebook zur Selbstdarstellung. Nur wer trommelt, kommt weiter und so fort. Er ist dabei vollkommen autonom, lässt sich von nichts und niemandem etwas erzählen oder aufschwatzen, sieht nicht fern und kauft nur, was er sich einbildet – und nutzt socialmedia extensiv beruflich. Er macht Personalberatung und da wird es dann schon mal heikel. Er gibt damit alle Daten preis, Kontakte, E-Mails, Berichte, Einschätzungen.
Die A arbeitet als Erzieherin, Kita. Privates, Berufliches, alles läuft nur noch über socialmedia, Facebook, Whatsapp. E-Mail gibt es da schon gar nicht mehr. Da läuft die Maschine direkt und voll durch. Personalisierte Werbung, personalisierte Preise, wo noch nicht jetzt, dann demnächst und natürlich personalisierte Algorithmen, die die Nachrichten, die Freunde, die Timeline sortieren. Hier ist der gesamte Link zur Außenwelt bereits über Big Data gesteuert. Fehlt noch entsprechendes fürs Fernsehen, nur das ist auch in Vorbereitung.
Die Gesundheits- oder Versicherungsindustrie will auf dieselbe Weise Verhalten steuern und außerdem Verträge individuell anpassen. Ich denke dann immer an den Raumfahrer von Stanislaw Lem (hab den Titel nicht parat), der nach einer langen Reise nach Hause kommt in ein emotional flurbereinigtes, risikoeliminiertes Leben, in dem Autos nicht mehr den Schwer-, Beschleunigungs- und Kurvenkräften ausgesetzt sind. Wo, liebe Versicherungen, bleibt ihr dann?

Datenschutz, freie Entfaltung der Persönlichkeit.
Ist eine Bubble, die von Socialmedia-Algorithmen gesteuert wird, noch das, worin man sich eine freie Entfaltung der Persönlichkeit vorstellen kann? Also abgesehen von dem kartellartigen Zugriff auf die Bedingungen, meine ich die gestellten Bedingungen an sich: die Petrischale, das geeignete Milieu? Zugleich wird an dem Beispiel deutlich, dass wir ein schichtenspezifisches Problem haben könnten. Weder Stand noch Klasse. Die neue Vergesellschaftung und Teilhabe am politischen Prozess und Steuerung der Wirtschaft läuft über Informationsströme und geeignete Empfänger, die Störung der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Der Konsument ist das Produkt, etc. Die neue upper-class wird sich schon sehr bald von allem social-media befreien. Low-Tech wird der neue Luxus-Hype. (Also diese drei, vier Aspekte allein hätten doch mal Potential ausgeführt zu werden.)

gotKapelle

Es geht bei KPMG natürlich noch weiter mit Vorschlägen, wie man den Datenschutz für noch viel größeren Nutzen aushebelt optimiert: Mit Hilfe von Sicherheitstechnik und Transparenz, natürlich, keine Frage, Klardenker, zack die Bohne!

„Zugleich muss das Vertrauen in die Technik steigen. Exzellente Sicherheitssysteme sind keine Illusion, sondern auf dem Markt zu haben. Helfen könnte eine transparente Initiative, die den Bürgern sagt, wie Daten wirklich sicher geschützt und verschlüsselt werden. Für diese Initiative könnten sich die großen Internet- und Softwareunternehmen mit neutralen NGOs zusammenschließen.“

Richtig verstanden? Wir fassen zusammen, was uns die „Klardenker“ von KPMG vermitteln wollen: Datenschutz ist wichtig und zu erreichen über Datensparsamkeit, was nicht geht, weil: voll „größerer Nutzen“. Also nehmen wir Datenreichtum (wie gut das klingt! So midasmäßig) plus Datensicherheit. Die Datensicherheit dürfte aber auch nicht so gut funktionieren, weil, you remember, „noch viel größerer Nutzen“ durch Daten, aber geschützte Daten sind nicht auslesbar, also nicht verwertbar. Also ja, da sind ja immer noch die Metadaten, die für sich genommen schon den halben Umsatz oder mehr machen. Nur, wenn etwas richtig, also „sicher geschützt und verschlüsselt“ ist, dann dürfte man auch die Metadaten nicht mehr nutzen können, sonst isses halt kein echter Datenschutz und keine Datensicherheit. Das weiß natürlich auch KPMG. Also wir merken: Datenschutz by KPMG = 0,00!

Weil das also nicht geht, braucht man die NGO´s, die helfen sollen zum Merchandising einer unwirksamen Technik: Die geforderte Transparenz soll sich ja nicht auf die Verschlüsselungstechnik und die Sicherheit beziehen, sondern auf die „Initiative, die den Bürgern sagt, wie Daten wirklich sicher geschützt und verschlüsselt werden“. Also vermutlich so wie bei De-Mail, die nullkommanull sicher verschlüsselt und geschützt, aber dafür sehr transparent beworben wurde.

Es ginge noch mehr sich lustig zu machen über so viel Klardenkerei. Aber ich weiß, das ist der falsche Ansatz, es ist hilflos, weil es keinen schert, der sich von KPMG beraten lässt und von diesem Beratergeschwafel nicht mehr erwartet wird, aber das Angebot eines solchen Narrativs heutzutage Voraussetzung ist, als Beiwerk für die Marktstrategie. Das nennt man dann tatsächlich Nachhaltigkeit oder Achtsamkeit oder Corporate Responsibility. Früher nannte man das bigott.

Das fällt Allen auf die Füße. Es gibt nichts umsonst. Wer die Daten der Bürger verwerten will, muss dafür zahlen, früher oder später. Wer wirklich verantwortlich handeln will, sollte vielleicht keinen Head of Technology fragen.

Freiheit, Demokratie und Grundrechte sind keine Selbstverständlichkeit. Der Weg für ihren Aufbau war lang und die Widerstände dagegen waren groß. Wer immer jetzt mit dem Argument der wirtschaftlichen Notwendigkeit eine Einschränkung verlangt, sollte auch daran denken, dass erst Freiheit, Demokratie und Grundrechte den Boden für die eine Seite der wirtschaftlichen Prosperität geschaffen haben: nur der mündige Bürger konnte auch ein guter Konsument sein.

Also mal so auf die Schnelle. Entschuldigen Sie den langen (und unstrukturierten) Brief, ich hatte wenig Zeit.

Dieser Beitrag wurde unter Miscellen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.