In der soeben beendeten Ausstellung „Monster“ im Germanischen Nationalmuseum war unter dem Stichwort Werwolf ein Stich (hier ohne den Text und unten Ausschnitt Bild 3) einer symbolischen Hinrichtung eines Wolfes zu sehen, der 1685 mehrere Kinder getötet und einige Erwachsene angefallen und verletzt haben soll. Die Opfer befanden sich meist außerhalb, auf dem Feld zum Hüten oder Kräutersammeln und die historischen Berichte lassen keinen Zweifel daran, dass die Toten mit einer Wolfsplage in Verbindung standen.
Der Wolf von Ansbach geht darauf zurück, dass das Tier schließlich in einer Wolfsgrube gefangen werden konnte oder in einen Brunnen fiel, sein Körper nach Ansbach gebracht und dort als Mensch drapiert öffentlich gehängt wurde.
Der Wolf von Ansbach ist also kein Mensch, der Wolfsgestalt annimmt, sondern ein Wolf, der als Mensch verkleidet wurde. Nicht der Mensch hat sich in einen Wolf verwandelt, sondern ein Geist oder „der Teufel“, hier der Geist eines toten, unbeliebten Menschen, es gibt verschiedene Versionen, fuhr in den Wolf und verursachte die böse Tat.
Das heutige Verständnis eines Werwolfs ist so eine Art Jeckyl and Hyde: Die unergründete und auch böse Natur, die im zivilisierten Menschen schlummert und aufbricht mit dem richtigen Elixier oder dem richtigen Mondenschein. Dann erscheint sein anderes Wesen und er verfällt damit in das Ungezügelte seiner Gier und Leidenschaft, Wooah. Ein Teil davon ist recht alt bis hin zum Gilgamesch-Epos und betrifft die Verwandlung des Menschen in einen Wolf, also im Kern eine irgendwie magische Vorstellung der Beseeltheit der Natur. Ein anderer Teil davon ist modern, weit weg vom Wolf von Ansbach: Unser Bild vom Werwolf, der sich im Mondschein verwandelt, mit Silberkugeln zu jagen ist und dessen Wunden erstaunlich schnell heilen geht auf Curt Siodmaks The Wolf Man (1941) zurück (Wiki), also im Kern eine Beschreibung, eine (rationale) Umsetzung der Vorstellung einer doppelten Natur des Menschen, die, wenn sie sich nicht bekämpft, so doch in einem unaufhebbaren, zerstörenden Antagonismus zueinander steht. Der Unterschied ist wesentlich. Zum ersten handelt es sich um eine Person in verschiedener Gestalt, der Stier ist Zeus, nicht nur die Reflexion einer Erscheinung. zum zweiten handelt es sich um ein Erklärungsprinzip, welcher Art auch immer, darüber läßt sich schön streiten: eine Metapher für (unterdrückte) Urängste, eine emotionale Anverwandlung unbewusst schlummernder Leidenschaften, die Kritik an persönlichem Schicksal und gesellschaftlicher Ausgrenzung.
Zwischen Istar-Tor und Curt Siodmak ist viel Raum.
Im Nachgang zum Dreißigjährigen Krieg hatten sich Wölfe in Franken wieder recht stark vermehrt, was auf den starken Bevölkerungsrückgang und der damit einhergehenden reduzierten Bewirtschaftung des Landes zurück zu führen ist. Die Wolfsplage findet sich auch wieder in der Umweltgeschichte: Georg Meister (Die Zukunft des Waldes) weist darauf hin, dass zu jener Zeit sich der Wald entscheidend und nachweislich erholt habe, da der Wolf den Überschuss an Rehen etc. reduzierte, weshalb sich die wertvollen, langsam wachsenden Bäume wieder haben durchsetzen können – die Triebe wurden nicht mehr weggebissen. Mit dem Wolf kommt der Wald.
Im Wald kollidieren zuerst die Interessen von Wolf und Mensch. Man muss annehmen, dass der Wolf auch seinerzeit ein scheues Tier war und grundsätzlich Abstand von den Siedlungen gehalten hat. Die Wölfe zogen sich in den Wald zurück, nur war der zugleich auch ein oft zur gemeinfreien Nutzung zugelassener Ort in dem die Tiere weiden konnten. Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung (für die schon sehr früh Nürnberg berühmt war, als Rohstoff-Ressource u.a. zur Versorgung der Papiermühlen) gab es sonst flächendeckend nicht. Auch deswegen nicht, weil das in die Nutzungsrechte der ländlichen Bevölkerung eingriff. Abseits der Siedlungen waren dann nur noch die Hirten, meist Kinder, die das Vieh hüteten. Wegen der Scheu der Tiere geht man auch davon aus, dass der Wolf von Ansbach ein alter, schwacher Gesell war, der die Tiere des Waldes nicht mehr reisen konnte.
Der Wolf jedenfalls plagte die Landschaft nach dem 30-jährigen Krieg.
Die Ansbacher also, wird überliefert, hätten eine Geschichte um einen verhassten, verstorbenen Bürgermeister gesponnen (nach anderen Quellen war´s der Pfleger Michael Leicht), dessen Seele in den Wolf fuhr. Sie haben ihm die Schnauze abgehackt, ihn in Kleider gesteckt, mit einer Gesichtsmaske und menschlichen Haaren kostümiert und öffentlich aufgehängt.
Davon berichtet der ausgestellte Stich in der Monster-Ausstellung des GNM. Auch der Text des Stiches verrät uns: Ein Geist ist in den Wolf gefahren:
Ich Wolff und Geist zu Gleich
that stets die Menschen plagen
Muss Leiden auh anjezt, das
mann zu mir tut sagen:
Sieh: du verfluchter Geist
bist in den Wolf gefahren;
hängst un am Galgen hier
geziert mit Menschenhaaren
steht da. Der Mensch verwandelt sich nicht in das Tier, als eine gefahrvolle Natur: das Monster, sondern den Wolf überkommt ein Geist, ein menschliches. Sie hängen den Geist. Die Natur ist zu fürchten, wenn etwas in sie fährt, könnte man spekulieren, während unser späteres Bild des Werwolfs die untergründige, gezwungene und triebhafte Natur im Inneren des Menschen beschwört. Ein Bild, das erst mit der Disziplinierung des Menschen im 18. Jahrhundert, mit dem Ende der Naturgeschichte entsteht und mit Mary Shelleys Frankenstein und Polidoris Der Vampyr wunderbare Metaphern erhält, die direkt auf die Entdeckung der elektrischen Reaktion in Froschbeinnerven zurückgehen.
Derselbe Stich, der in der Ausstellung des GNM verwendet wird, findet sich in Wolfgang Schilds Schilderung der Geschichte der Gerichtbarkeit (S. 66/67):
Die öffentliche Darstellung der peinlichen Strafe ist u.a. die Sühne für die verletzende Tat. Unerheblich ist im mittelalterlichen und früh-frühneuzeitlichen Strafrecht der Vorsatz oder die Zurechenbarkeit zum Bewußtsein über die Handlung: Daher wurden auch immer wieder Tiere der peinlichen Strafe zugeführt. Die vermutlich wichtigste Idee, die die Strafbarkeit einer Handlung an die (menschliche) Handlungsfreiheit band war die Imputationslehre Samuel von Pufendorfs (1632-1694), also einem Zeitgenossen unseres Wolfes hier. Pufendorf ist eigentlich eher als Historiker und Völkerrechtler bekannt und hatte dabei einen wesentlichen Einfluss auf die moderne Gesellschaftstheorie, die das Zusammenleben der Menschen nicht aus Zwang und Notwendigkeit wie bei Hobbes, sondern aus Geselligkeit und Vereinbarung ableitet und damit auf die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Notwendig war Pufendorf dabei die Herleitung der Handlungsfreiheit sowohl als Fähigkeit und souveränes Recht des Menschen. Für die Strafbarkeit erkannte Pufendorf die Notwendigkeit: verantwortlich ist der Mensch für die Handlungen, bezüglich deren es ihm freistand, ob er sie vornahm oder nicht. (s. hier bei Google) (Der Kern der modernen Ziviligesellschaft und die Begründung der gesellschaftlichen Freiheit in der Handlungsfreiheit und Kernthema dieses Blogs. Gibt der Mensch die Freiheit auf oder spricht er sie anderen ab, stellt er seine Souvernität in Frage.)
Hier könnte nun der eigentliche Grund für die Kostümierung des Ansbacher Wolfes in einen Menschen liegen. Es ist eine symbolische Hinrichtung einer zwischen magischen Naturvorstellungen und der Entstehung des Gewissens und persönlicher Verantwortung, einer zwischen Autodafé und Pädagogik, einer zwischen Schicksal und vorsätzlicher Tatbestandbegehung und Zurechenbarkeit, einer zwischen Untertan und Bürger oszillierenden Welt. Am Galgen hängt der Geist, der in den Wolfskörper gefahren ist, aber durch das Kostüm als Mensch wieder kenntlich gemacht wurde.
Der Wolf von Ansbach versteckt also einiges unter seinem Umhang, nur eher keinen Werwolf.