Ich frage, erkläre die Vorgehensweise, oft zweimal und dreimal dasselbe, forsche in der Reaktion nach der Risikobereitschaft, der Verteidigungsbereitschaft, der Vergleichsbereitschaft. Es ist erstaunlich wie wenig Begriff die meisten Menschen haben von ihren Vorstellungen, von ihren Zielen, von dem Weg der Durchsetzung. Meist soll nur ein Problem, das sich aufstaut und zur Belastung wird, erledigt werden, das konkrete Ergebnis ist nachrangig, solange es sich mit dem Erwartungshorizont deckt. Meist machen Kollateralschäden, die Störung der Betriebsamkeit, den Kern des Problems aus. Das macht mir Menschen sympathisch, sowohl die geringe Reflexion über die Technik der Durchsetzung, als auch die Beliebigkeit der Ziele. Das Ding soll halt laufen, damit man Zeit hat für Anderes.
Das Verhältnis zur Umwelt ist nicht geprägt vom Fortkommen, vom Bessersein, vom Vorteil, sondern vom Auskommen und vom Anstand. Davon, dass noch etwas übrig bleibt, für Andere, für die Kinder, für die Nachkommen. Außerdem trifft man sich immer zweimal, man wartet ist betriebsam und zeigt Kompromissbereitschaft. Das gibt es und ist hier nicht nur weit verbreitet, sondern der Kern des Wohlstands.
Ich höre einem Mann zu, am Telefon, wie er mir berichtet, dass er Arbeit gefunden hätte. Dreißig Zeitarbeitsfirmen dort in der Kleinstadt. Etliche abgeklappert, nun doch, endlich, ab 1. September kann es losgehen, nur jetzt, heute war er beim Arzt, müsste er wieder ins Krankenhaus, wegen der Diabetes und absagen. Er weint, kurz und wütend.
Ich höre keinen Neid, keinen Hass, kein Ressentiment gegen andere, weil es ihn so getroffen hat. Das Schicksal, die Sau, hat er oft genug selbst durchs Dorf getrieben, so viel Ehrlichkeit muss sein. Es wird sich für den Job ein anderer finden. Arbeit auf andere Weise bekommt er in seinem Alter nicht mehr.
Ich weiß, dass es nicht leicht ist. Es ist nicht so, dass man hier nur die goldenen Bäume schütteln müsste und eben aus diesem Grund gut Reden haben und Empathie entwickeln könnte. Der Anstand kommt zuerst und auch die Erkenntnis, dass nicht jedem alles mit in die Wiege gelegt wurde.
Ärgerlich ist die Weinerlichkeit und das Ressentiment, mit dem jetzt auch Verständnis eingefordert wird für den Hass und die Bösartigkeit der Leute, die gegen die Flüchtlingspolitik oder vielmehr den humanitären Zwang zur Hilfe agitieren. Wer sich selbst Pack nennt, kann auch einfach mal Pack sein. Recht viel Sympathie verdienen und wollen die Asylgegner in Heidenau offensichtlich nicht. Da muss ma sich nichts vormachen. Die wollen kein Verständnis. das sind Real-Life-Trolle, die eine tiefe Befriedigung dabei empfinden, bei anderen, die Werte eines auskömmlichen Zusammenlebens schätzenden Menschen, Befremden und Ekel hervorzurufen. Klar schneidet man sich mit allzu starken Zuschreibungen auch den eigenen Zugang zum Verständnis ab, was in den Leuten vorgeht. „Pack“ gehört nicht so zur wirklich erhellenden Begrifflichkeit. Ich halte aber auch nichts von dem Leute-abholen-dort-wo-sie-sind. Ich will da, wo die sind nicht mehr hin. Wir alle haben gelernt mehr oder weniger, von Milieutheorie und Behaviourismus, von Memen und Sozialdarwinisten, von den Einen, die Verantwortung des Einzelnen einfordern und den Anderen, die Verständnis einfordern für die Ursachen und Bedingungen. Es geht hier aber nicht um Kommunikationstheorie oder Soziologie auf der dritten Ebene der Kontingenz. Ich war immer der Meinung, dass es einer der größten Fehler Kohls war, damals, als es anfing, nicht auf kluge Weise Position zu beziehen und deutlich zu machen, dass dieser ganze Ausländerhass, der sich im Osten Bahn brach etwas ist, was man nicht macht – und nicht nur auf die möglicherweise nachteiligen Auswirkungen auf „Investoren“ verweist. Kategorien der Bürgerlichkeit wieder etablieren. Klare Fehler, schon früher durch die systematische Vernichtung des Bürgertums, die aber nicht dazu führen können, die eigene Verantwortlichkeit aufzugeben.
Ein offenes Wort ist meist angebracht. Das ist aber etwas anderes wie der einfache Weg, verbal Fronten zu ziehen. Aber auch das offene Wort wird nichts bringen, wenn es nicht im Verständnishorizont des Anderen liegt und der kann mitunter sehr klein sein, wie der verlinkte Artikel und die Bilder und Videos aus Heidenau zeigen. Ressentiment ist nicht konstruktiv. In der Masse und auf die longue durée erreicht man durch Anstand, persönlichen, mehr.
Empathie kann man nicht fordern, sondern nur geben. Nur dann findet sie auch zurück. Die Bildzeitung schreibt heute auf der ersten Seite: „Wir helfen“. Das ist, uneingeschränkt, denke ich, ein schönes Signal, das auch klar Stellung bezieht.