Wir müssen die Kategorien korrigieren, nach denen die Verhandlungen über Handelsabkommen beurteilt werden. Es werden weniger die Interessen der beteiligten Nationen gegeneinander verhandelt, sondern die ökonomischen Interessen der multinationalen Konzernen gegen die sozialen und ökologischen Interessen der Nationen. Das löst die Nationen auf und befreit die Konzerne von nationalen Regulierungen.
Der politische Umgang mit der Kritik an TTIP zeigt: Es hat in der deutschen Politik wieder mal die Mode konjunktur, den Kritiker als blind und uneinsichtig oder unerfahren in ein Bällebad der Erklärungsfloskeln wie alternativlos oder wirtschaftsfeindlich herabzulassen. Was sich dahinter verberge, weshalb Alternativen nicht in Frage kämen, was der Wirtschaft, dem „Markt“ so gründlich zuwiderlaufe wird nicht erklärt. Ein paternalistisches Konzept der Herrschaftsausübung, die in einer Demokratie irritieren muss.
Besonders wichtig macht sich da Sigmar Gabriel, dem nichts mehr einfällt außer harter Stoff der allein den Rücktritt nahelegt, etwa, wenn er die Vorratsdatenspeicherung mit Breivik oder den NSU-Morden rechtfertigt oder TTIP mit, nun, (eine ganze lange Pause, dann noch eine), mit der Notwendigkeit, den Transatlantischen Handel zu befördern, genau. Argumente auf dieser Ebene sind nicht nur peinlich, sondern gefährlich. Anders: die Argumente für die Handelsabkommen sind außer der Vereinheitlichung von Blinklichterzulassungtests erstaunlich mau.
Aber auch die Argumentation gegen TTIP oder Ceta krankt daran, nach den vielen problematischen Sachfragen (ökologischen und sozialen Standards, Schatten-Schiedsgerichte ohne Instanzenzug und Bindung an nationale Gesetzgebung, Arbeitsrechte) nicht die Problematik der inhaltlichen und systematischen Verfassung (oder Verfasstheit) dieser Abkommen in den Blick zu nehmen. Das fängt schon damit an, dass die Handeslabkommen als jeweils nationales Problem angesehen werden, also idR als Problem für den nationalen Wähler (Das Chlorhühnchen der bösen Amerikaner, Bedrohung unserer Standards..). Allenfalls werden noch die Auswirkungen auf kleinere Staaten in den Blick genomme.
Da wundert es, dass auch andere Länder aus denselben Gründen allergrößte Bedenken gegen die Handelsabkommen an sich haben. Etwa die Demokraten in den USA, die mehrheitlich gegen TPP, das Abkommen mit den Pazifik-Anrainern, in Stellung gehen, steht im New Yorker. Es sind offenbar u.a. Befürchtungen, dass Arbeitsplätze verlorengehen wie bei NAFTA, Patente auf Medikamente ausgeweitet werden, Umweltstandards verlorengehen und die Schiedsgerichte ISDS. Auch trifft die Geheimhaltung der Verhandlungsunterlagen auf Unverständnis. Allgemein ist es der Verlust demokratischer Regelungskompetenz, der überall befürchtet wird.
„… Environmental regulations, public-health measures, and even minimum-wage laws can be challenged under I.S.D.S., which is already a feature of many trade agreements …“
Diese Handelsabkommen tragen so für alle beteiligten Nationen sichtlich den Kern einer Entwertung der demokratischen Teilhabe am Gemeinwesen in sich und laufen den Interessen der Wähler zuwider. Es werden auch in allen Ländern Befürchtungen laut, dass nach derzeitigen Informationen die Interessen multinationaler Konzerne bevorzugt werden. Und überall, auch in den USA, werden die genauen Verhandlungsziele und Zwischenergebnisse durch Geheimhaltung vor den eigenen Leuten verheimlicht. Und alle Regierungen nehmen für sich in Anspruch, dass die Abkommen eine neue Stufe des Wachstums und der Prosperität für das eigenen Land zünden. Wie soll das gehen? Mal abgesehen von dem bisher ungelösten Problem der endlichen Resourcen, kann es Wachstum überall gleichermaßen geben? Dann hätten wir ja nicht das Problem der Interessen konkurrierender Märkte, die hier bedient werden sollen.
Was also sagt uns das? Die nationalen Märkte sind nicht die Parteien der Vereinbarungen. Parteien sind die multinationalen Konzerne, die sich aus dem Korsett der nationalstaatlichen Regulierungen befreien wollen, einerseits und die Konsumenten der internationalen Märkte andererseits, die durch die nationalstaatlichen Regulierungen geschützt werden. Das ist (wegen der Geheimhaltung bisher nur aufgrund der Indizien) der Hintergrund der Geheimhaltung der Verhandlungen. Die Politik traut dem nationalen Publikum nicht zu die Konsequenzen des weltumspannenden Handels zu realisieren und meint außerdem in alten Argumenten (Wir für unser Land) die besten Wahlchancen zu erkennen. Die Notwendigkeit internationaler Regelungen sind längst erkannt, so wie jetzt die Decarbonisierung auf dem G7 Gipfel beabsichtigt wurde. Ähnlich ist es mit all den anderen Erkenntnissen, den Umweltstandarts, den Arbeitsrechten, den Forderungen an Rechtstaatlichkeit und Gleichberechtigung, Zugang zu Bildung. Solange aber die Nationen sich noch in einem sinnlisen Wettbewerb glauben, nimmt sich jeder so viel wie er grade kriegen kann, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
Wir befinden uns nicht in einem Interessenkonflikt mit Amerikanern oder mit Kanadiern, mit Koreanern oder Chinesen (solange letztere nicht als Handelsnation, als Konzern an sich gesehen werden). Wir befinden uns in einem Interessenkonflikt mit den Verhandlungsführern, die die Standards der demokratischen Auseinandersetzung fallen lassen zugunsten einer Ökonomisierung kultureller Standards und damit befinden wir uns mittendrin auch in der dauerhaften Krisensituation, die wir Demokratie nennen: die offene, demokratisch organisierte Gesellschaft ist eben keine statische Festlegung von Rechten und Pflichten, die den Menschen Platz, Ordnung und Wahrheit zuweisen, nach der sich alles zurichten ließe. Es muss alles ständig neu verhandelt werden und selbst die Verhandelbarkeit der Ordnungen selbst unterliegt einem stetigen Wandel und konjunkturellen Phasen eines zuwenig und zuviel.
Das ist der eigentliche Grund, weshalb die Handelsabkommen in der jetzigen Form abzulehnen sind. Sie nehmen uns die Möglichkeit der demokratischen Verhandlung unserer Angelegenheiten und stellen sie unter ein ökonomischen Regime, das von den Interessen internationaler Konzerne diktiert wird.