Dem Lobo Sascha seine wunderliche Vorstellung

It’s like a jungle sometimes it makes me wonder
How I keep from going under

Wir kriegen mal wieder fett eins auf die Mütze von Hr. Lobo.

Abgewatscht, Wut rausgelassen, Beleidigungen ausgesprochen, Anstand zu Hause gelassen, weil das, Sie müssen schon verstehen, im Kontext durch die echte und heilige Empörung des Checkers (früher Besserwissers) entschuldigt ist und damit – so fängt es gleich mal an – so gar nicht politisch inkorrekt ist, wie der Text uns weismachen will, sondern schön moralisch aufrüttelnd und damit nur in allerbester Absicht ein wenig provokant. Lobo also ein Beispiel des Wutbürgers.

Ich gebe gern zu, dass mir die ganze Person Lobo und berlinmittige Schlosse (mit Passigen Ausnahmen) nie so recht symphatisch wurde mit dem alten Audi 100 in blau und orange und dem roten Irokesen und der moralischen Attitüde, alles zusammen werbetechnisch hochgepimpt, was nicht so recht zusammenpassen will. Ich will niemandem den  Vorwurf machen, sich selbst zu vermarkten. Das ist notwendig und ein Publizist muss sehen, wo er bleibt, oder er schreibt halt nicht. Und einen moralischen Anspruch vor sich herzutragen ist auch ok, das macht der eine auf chaplineske Art, der nächste in hrabalscher Unschuld und ich meist ohne ein solches Talent – Lobo scheint mir aber den Mantel der Moral nur anzuziehen, weil die rauhen Winde da draußen ihm so kühl um die Nase blasen.

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Ich mein, es kann ja nicht jeder im Hausboot schlafen. Aber man sollte versuchen, dem Schlafenden im Hausboot etwas abzugewinnen, sein Lebensweise zu hinterfragen, bevor man ihm vorwirft, was für ein blöder Hinterwäldler er nun wieder sei und anständige Leute täten schlafen in anständigen Wohnungen und verweigerten sich nicht und hätten gefälligst die heimische Bauwirtschaft zu unterstützen. Mit anderen Worten, ich halte es für unseriös, Anderen vermeintliche Versäumnisse vorzuwerfen, um die eigene Sache zu pushen.

Worum geht es? Lobo teast mit dem Vorwurf, der Bürger sei Schuld an Deutschland als gescheitert im digitalen Wettbewerb, ein digitally failed state, weil er, der Bürger, zu faul sei und alles mit sich machen ließe. Und dabei rege er sich ständig über Kleinigkeiten auf. Er sei ein Wutbürger minus Bürger.
Mit den Stichworten Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung und NSA-BND Kooperation zur Politik- und Wirtschaftspionage geht es dann noch ein wenig wirr weiter, weil, man weiß halt nicht, wohin die Kette führt. Der Büger täte zu wenig gegen die Politik, die so etwas zulasse. Das wären ja nun aber alles Gründe, um auf Distanz zum Internet zu gehen. Der Vorwurf aber, das muss man annehmen, ist, dass die Untätigkeit der Bürger gegen all diese schlimmen Dinge Hemmschuhe für den wirtschaftlichen Erfolg des Internets hierzulande darstellen. Weshalb das so ist und weshalb etwa die US-amerikanischen Konzerne mit Massenüberwachung, Wirtschaftsspionage, digitaler Manipulation, vermutlich erst durch die enge Kooperation mit dem militärischeen Komplex der USA, usw. so erfolgreich sind, bleibt unerwähnt, was ein nicht nur lässlicher Argumentationsfehler ist, sondern schlichtweg nicht nachvollziehbar – wäre, wenn denn hier nicht die weitere Funktion des Hr. Lobo nicht allzu deutlich schimmern würde: der Macher, der Retter der Internetwirtschaft, der golden Berater des Internetzes für Dummies, der Netzloboist himself, der sich gegen die andere Seite in Stellung bringt.

Das Internet ist jedenfalls gegenwärtig allenfalls ein Großstadt-Dschungel, den man mit schweren Gerät umpflügt oder sich, wie Lobo, drin verliert.

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Denn es ist erklärtes Ziel der Regierung ebenfalls mit schwerem Gerät das Neuland Internet zu beackern, nicht nachzustehen in den Versuchen, die Infrastruktur Internet unter Kontrolle zu bringen. Das ist der Hintergrund der NSA-BND Affäre, die informationelle Überlegenheit zu gewinnen. Also wäre Lobos implizite Behauptung erklärungsbedürftig, wir würden den digitalen Staat und die wirtschaftliche Nutzbarkeit des Internets verhindern, wenn wir uns nicht gegen diese Maßnahmen wehren. Gleich, ob die Hoffnungen und Ängste von CDU-CSU-SPD in Erfüllung gehen: der Wähler folgt ihnen gerade darin auf dem Weg zur Kommerzialisierung dieser Resource.

Aber es stimmt auch hier nicht.
Das Internt ist per se nunmal kein Boomfaktor. Es wurde in persona des Disputanten selbst recht deutlich: Die Internetwirtschaft ist nicht das goldene Land in dem das Manna von den Bäumen fällt und die Werbeindustrie einem die Türen einrennt, wenn man nur laut genug HIER und ICH schreit und sich andient bis einem die Pixel aus dem Irokesen rieseln. Die Fehlschläge Lobos in dieser Richtung sind legendär und befähigen nicht zu komptenten Äußerungen: Bescheidenheit is eene Zier, doch weita komm ick ohne ihr.
Die Sueddeutsche hat letztens auf ein paar Paradoxien bezüglich Produktivität und Internet hingewiesen.
Auch wenn die Geschäftsmodelle der Samwer-Brüder oder Amazons und dergleichen dereinst greifen werden, weil die Monopolstruktur entsprechend ausgebaut werden konnte: Ist es wünschenswert oder notwendig, sich dem derzeitigen Geschäftsmodell im Internet zu unterwerfen, Herr Lobo? Müssen wir einen Dax-Konzern vergleichbar mit Google, Facebook, Apple oder eine Nummer kleiner haben? Was bringt das der deutschen / europäischen Wirtschaft dauerhaft? Ist das auch gut für die breite Volkswirtschaft, Arbeitsplätze, das Sozialversicherungssystem, usw.? Haben wir geeignete Steuerungsinstrumente?

Es wäre auch seriös zu fragen, weshalb die amerikanische Internetwirtschaft so sehr mit der NSA verflochten ist. Der militärisch-informationelle Komplex (Soshana Zuboff) sollte dem Lobo ein Begriff sein. Gerade eben haben wir die begründete Vermutung, dass die NSA offenbar auch gegen formale Vereinbarungen europäische Unternehemen und Politiker mit Hilfe des BND ausspioniert hat. Mit anderen Worten: Wollen wir eine wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben, die bisher technisch und ideologisch bedingt mit einer Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte unlösbar verknüpft sind, völerrechtliche Vereinbarungen missachtet und das Vertrauen zu unseren europäischen Nachbarn nachhaltig stört? Und sage mir keiner, das wolle der Lobo ja grade nicht: Momentan ist es ein Paket, ich nehme Alles oder nichts. Oder man ist unsicher, wie die meisten gerade oder differenziert, wie wenige. Das klagt Lobo aber im Ergebnis als zögerliche Haltung an.

Dann die angeblich nachwachsende digitale Generation, die es zu schützen gelte und schon so viel weiter sei mit ihren Smartphones: Momentan ist nicht viel mehr zu erkennen als eine vollverwertete, auf ihre Kommerzialisierbarkeit reduzierte Masse von Individuen, eingespannt in eine Hysterie der Selbstwahrnehmung und -darstellung. Was ist daran besser oder schützenswerter zur analogen Welt, etwa der jungen Citygärtner, Musiker oder Ehrenämtler? Wo ist dieses kulturelle und wirtschaftliche digital-El-Dorado?

Ärgerlich ist diese solitäre Feldherrenpose, die mit ausgestrecktem Arm auf all die Nullchecker, Versager und Zögerlinge deutet. Ärgerlich ist die Behauptung, wir würden alle überrannt, wenn wir nicht endlich mitmachten, denn die Entwicklung sei schon so viel weiter und der Fortschritt nicht aufzuhalten undswoweiterundsofort: Das ist Beratersprache, das ist das Argument von Drückern und Vertretern, Netzlobbyismus.

Tatsächlich hat bürgerschaftliches Engagement gerade wieder Konjunktur, auch in Sachen Internet, nur eben nicht in der Richtung, die sich der Lobo-Lobbyist zu wünschen scheint. Es sind (fast) ausschließlich Bürger, die sich für Datenschutz einsetzen, für Transparenz und Freiheitsrechte, eine Welt, die nicht nur kommerzialisiert ist, die sich für ein besseres Internet stark machen.

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Das ist der Dschungel des Sascha Lobo: komplexitätsreduziert, ein Aufreger, um eine nächste Kolumne abzuspielen und das Modell Bürger zu denunzieren, weil Bashing, das haben wir jedenfalls gelernt, das zieht immer im Internet.

Lobo ist die beleidigte Leberwurscht, ein Wutbürger, wie er ihn versteht: minus Bürger.

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