St. Sebald auf dem Wertacher Hörnle

St. Sebald in Nürnberg ist eines der eindrucksvollsten Beispiel der Gegenwärtigkeit vergangener Zeitschichten. Wer einmal die verblassende, meist rötliche Freskierung und Dekorierung entdeckt hat und die Hinweise auf die vollständige Ausführung der Fenster in Glasmalerei, die den Innenraum mit Licht erfüllt hat, vor dem entsteht ein Blick in die Tiefen der Zeit.

Dabei stößt man auf den Bildersturm der Protestanten, die Dekorationswünsche Ende des 19. Jahrhunderts, dann der Nazis und dann unwillkürlich auf die Zerstörung der Nürnberger Innenstadt durch den Bombenkrieg der Alliierten, der das Gebäudes regelrecht in Fetzen riß und den Feuersturm in Nürnbergs Innenstadt ausgelöst hat.
Es finden sich dort noch unzählige weitere Beispiele kunsthistorischer Art für vergangene Zeitschichten, doch die Fehlstellen der Vernichtung sind es, die den Raum zu einem Monument machen.
Wenn ich an St. Sebald denke, dann denke ich immer zugleich auch an W.G. Sebald. nicht weil er selbst an einer Stelle den Zusammenhang zwischen den beiden Namen hergestellt hat, sondern wegen seiner Beschreibung der Zerstörungen des Luftkriegs, vielmehr der völligen Leerstelle  in der deutschen Nachkriegsliteratur, wenn es um die Beschreibung der Greußlichkeiten geht, die sich aus den Zerstörungen ergaben.
Die Zerstörungen, die sich in den Kellern ereignet haben, in denen die Leichen der Brandopfer unter dem Schutt der Häuser liegend verwesten, der Geruch verbrannten Fleisches sich ausbreitete und nur die unzähligen Massen an Ratten und Insekten und der allgegenwärtige Geruch auf das dort verwesende Fleisch deuteten. Die Zerstörungen, die sich in den Überlebenden ereigneten.
So denke ich, wenn ich an St. Sebald stehe an die Leichen der Stadt der Reichsparteitage und die anderen Opfer der Reichsparteitage.

Nicht St. Sebald sondern die Kirche von Wertach

W.G.Sebald selbst ist in Wertach im Allgäu geboren und dort mit jungen Jahren nach England gegangen, um dort zu lehren und eine der eindrucksvollsten Gegenwartsliteraturen zu schreiben. Seine Aufsätze zeugen von Wanderungen, stetigen Bewegungen in einer Topographie, von einem Autor, der einen Fuß vor den anderen setzt und das nicht nur wegen seiner Beschreibung der Wanderungen durch Suffolk.
Wertach selbst ist ein Ort, der einem das Wandern und das stetige Gehen geradezu aufzwingt. Ein Ort der Bewegung, da er niemals genug ist, sich selbst nicht und anderen nicht. Ein Ort zu klein und provinziell, um nur die Versorgung zu gewährleisten, epochenweise auch der eigenen Bevölkerung nicht, weshalb es, wie in so vielen armen und kalten Gegenden Ende des 19. Jh. zu einer Auswanderungswelle kam, als die ankommende Eisenbahn die heimische Manufaktur unproduktiv machte.


Ein Ort, der an Natur und geheimnisvollen Wegen dem aufwachsenden alles im Überfluss anbietet, so daß schwer vorstellbar ist, daß das Stetige, Gehende, der Rhythmus der Sprache Sebalds nicht auch damit zu tun hat, daß – wie wir uns gerne vorstellen – hier jemand geht, und sucht, als jemand, der dies mit der Landschaft aufgenommen hat.

 

Wenn ich jetzt von Wertach aus die Hügel hinaufgehe zum Hausberg der Wertacher hinaufgehe, zum Wertacher Hörnle und den Wertacher See, der mehr ein Weiher ist, dann stelle ich mir vor, Sebald  wäre hier gegangen und hätte hier Erfahrungen gemacht, Bilder in sich aufgenommen, aber vor allem einen Rhythmus. Denn nicht, so wollen wir seit Montesquieu wissen – und ich bin ein Anhänger dieser Ansicht – prägt uns mehr, als die Landschaft und das Klima, in der wir aufgewachsen sind.

Nach einem kurzen Aufstieg geht es über eine geteerte Straße, die es vor 30, 40 Jahren sicher noch nicht gegeben hat hinauf zur Alpe, wie hier die Almen heißen und von dort dann endlich in Ruhe, doch sehr steil hinauf, vorbei zwischen den gehörnten Kühen, den neugierigen Wesen, die einen gerne auch einmal beschnuppern kommen hinauf zum Wertacher Hörnle. Es begleiten mich dort schon Krähen, als wollten sie mir ein Zeichen geben für die Anwesenheit des Exilanten. Und tatsächlich kommt mir dann oben am Gipfel , dann auch noch ein Rabenpärchen krockernd nahe, von denen sich der Eine über mich in das Geäst eines abgestorbenen Baumes setzt.

 


Nur ein ganz klein wenig abseits, wenige Meter unterhalb des Gipfels sucht ein Pärchen und ich frage Sie, was es denn sei, das sie suchen. Ja sie sammelten Heidelbeeren, ob sie denn schmeckten frug ich sie, nun das wüßten sie nicht, die Oma hätte es ihnen aufgegeben, denn damit lasse sich der beste Kuchen machen, beteuert mir die junge Frau unter Verweis auf die Oma, ohne offenbar eigenes Interesse oder Geschmack daran zu haben.
Auch nach ausgiebiger Brotzeit auf dem Gipfel mit Rabenpärchen und Heidelbeersuchmaschinen hat mich St. Sebald nicht erleuchtet.