Gumbrecht

Ich kann mich noch an meine Enttäuschung erinnern, als ich nach der spannenden, ja aufwühlende Lektüre von Kosellecks Aufsatz „Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe“ am Ende auf, wie es mir jedenfalls schien, eine Apologie der Freund-Feind-Semantik Carl Schmitts stieß. Es wollte mir nicht unmittelbar einleuchten, wozu an dieser Stelle die Argumentation mit der Einführung dieses Gedankens gestärkt werden könnte.

Zugleich bestand die Enttäuschung des Textes und das Befremden an ihm wegen Carl Schmitt in der beiläufigen Bestätigung der Satisfaktionsfähigkeit seiner Gedanken.

Zu jener Zeit, kurz vor der Jahrtausendwende, galt es im Universitätsbetrieb, soweit ich das beurteilen konnte, besonders unter linken Denkern als ausgesprochen mutig und ansehensfördernd im Wettkampf der intellektuellen Potenz und Maskulinität sich intensiv mit Carl Schmitt zu beschäftigen und ihn für allerlei Diskrude „fruchtbar“ zu machen.

Unbeleckt von den Debatten, die die Rezeption der intellektuellen Stützen des nationalsozialistischen Ideologie in der Nachkriegszeit beherrschten, gab es für mich allerlei Hürden, unter anderem:

– Was nützt mir jetzt die Beschäftigung mit diesen Denkern?

– Korumpiert die Vertiefung in deren Logik mein (junges) Denken?

– Worin bestehen Denksysteme: Vermitteln Sie nur auf der materiellen Ebene der Begrifflichkeit und Semantik Schlußfolgerungen oder liegt ihnen ein formales Ordnungsmuster zugrunde, welches nur außerordentlich schwer zu durchbrechen war und vice versa jeweils die konkrete Aussage in einem Text, wie auch dauerhaft die Rezeption, also die Aufnahme von Begrifflichkeiten dominiert?

Nicht zuletzt die Warnung von Max Weber, den Ideen einen angemessenen aber keinen überbewerteten Anteil an historischer Entwicklung zuzuschreiben und Ideen wie Ideologien zu historisieren spielt da eine Rolle.

Der Antwort auf die letzte meiner Frage oben hatte ich mich angenähert, nachdem ich mich mit dem Klüngel um Forsthoff und Schmitt aus rechtshistorischer Sicht kurz beschäftigt hatte. Kaum einem Text fehlte die letztbegründende Behauptung einer anthropologischen Grundkonstante und das Raunen, daß es, ähnlich wie bei Savigny, eines besonderen Zugangs zu dem Verständnis von Texten bedürfe, welcher eben nicht jedem zueigen sei. Mehreres war mir zuwider: Als Student der Geschichte mit starken Interessen in Biologie, Verhaltensforschung und Kognitionstheorie waren mir alle antrhopologischen Konstanten Ergebnis von Ignoranz, Faulheit und Überheblichkeit. Egal ob bei Rouseau, Spencer oder Carl Schmitt. Als Arbeiter in den Geisteswissenschaften flog mir außerdem nichts zu, meine Herkunft ist das Handwerk: das war mir zu eitel und elitär. Daneben bestätigte sich aber doch durch diese Aussage, daß es einer formalen Struktur existiert, die jedem Text (in weitesten Sinne) zugrund liegt und die man erkennen können muß für das Verständnis des Textes.

Reichsluftfahrtministerium

Ich bin ein großer Bewunderer von Hans-Ulrich Gumbrecht, noch mehr, seitdem er in der FAZ Woche für Woche zeigt, wie man Themen auch en-passant behandeln kann. Hier, beim Umblaetterer, ein Interview.

Vor allem sticht heraus, daß sein Denken keines Trägermediums bedarf, so wie das bei unsereinem ist. Unsereins braucht Verknüpfungen mit Daten oder Denkmustern, Hilfskonstruktionen. Man versuche mal einem eingefleischten Juristen eine andere Logik vorzustellen – man wird vermutlich scheitern. Gumbrecht scheint sich allein in der Syntax und der formalen Organisation der Texte zurecht zu finden, wie in Datenströmen oder wie Fische in den verschiedenen Strömungsmustern die die Umwelt in dem Gewässer hinterläßt. Dazu kommt eine Leichtigkeit, diese zu übersetzen und dem Publikum zu vermitteln. Ähnliches habe ich bei Jürgen Kocka erlebt.

„*“

So. Gumbrecht schreibt über Heidegger.

Wie bei Carl Schmidt fehlte mir für den das Interesse, wegen der Begründung durch unhintergehbare (emanierte, wie Max Weber vielleicht sagen würde) anthropologische Konstanten und dem einen arkanischen, elitären Zugang zum Begreifen. Das beschreibt Gumbrecht in dem Heidegger Text ja sehr schön, wie dieses Denken, die Sprache schon einen Absolutheitsanspruch vor sich her trägt …

Gumbrecht erinnert mich an meine Frage, ob es eine Notwendigkeit geben kann, z.B. Heidegger nachvollziehen zu können und. das scheint mir auch eine Frage zu sein, die nicht akademisch ist: Muß das jetzt sein oder kann man darauf warten, daß irgendwer die fruchtbaren Gedanken Heideggeres noch einmal neu formuliert irgendwann in einem Kontext, der nicht zwangsläufig Vernichtung, Hierarchie und Emphatielosigkeit einschließt.

Also haben wir die Zeit?

Und, kann man auch Teile eines Denkens fruchtbar machen mit denselben Worten oder ist es durch die formelle Struktur, Syntax und Wortwahl dann doch angelegt. Oder gilt das nur für die „artverwandten“, so daß dies wegen dem dann letztlich fehlenden sprachlichen Zugang auf diese Schichten der Sprache dem englischen, spanischen etc. Muttersprachler nicht betrifft.

Wie bedeutend ist die Architektur, das formelle Gerüst. Ist hier noch das Reichsluftfahrtministerium angelegt? Oder alles durch den Einzug des Bundesministers der Finanzen verdrängt?

Bundesminister für Finanzen

So und jetzt sollte ich seinen Text noch einmal lesen.

Wert:enorm

Der Spiegel macht uns – dankenswert – die Tonaufnahmen von Bismarck und Helmuth von Moltke (dem Urgroßonkel von Helmuth James von Moltke, selig)  zugänglich.

Mit Moltke ist das einzige Tondokument erhalten, das die Stimme eines noch im 18. Jahrhundert geborenen Menschen erkennen läßt. (Moltke war 1800 geboren.)

Man kann zwar nichts verstehen, aber es ist zuverlässig alt:

Ja da ist der Wert enorm
in des Spiegels Wertenorm.

Ich möchte den Wert dieser Dokumente natürlich nicht herunterspielen. Nur was macht den Wert aus? Auch die hohe Stimme Bismarcks halte ich nicht für so spektakulär. Man denke etwa an Honecker, der gestraft war mit seinem Organ.

Hier, in der FAZ, leider mit Werbung, ist das Tondokument mit den Worten unterlegt, was einem die Durchhörbarkeit der Aufnahme wesentlich erleichtert.

Bei allen alten Aufnahme halte ich das eigentlich Bemerkenswerte in der Melodie, den Betonungen, dem Duktus. Das gesprochene Wort wirkt weit über den verlautbarten Inhalt hinaus.

Bemerkenswert an den Aufnahmen, besonders der von Moltke, ist die Verschränkung von  Erfahrung und Erwartungen, die Antizipation der Hülle dieser Botschaften aus der Vergangenheit. Die Stimmen sind eingebettet in einen Tornister aus Schallwellen, eisigen, stahlmahlenden Röhren aus Geräuschen, die an ein kaltes eisernes Zeitalter erinnern, das wie in einer Mühle der Zeit Eisenbahnen samt Kohletender und Schienen, vereiste Schlachtfelder und Stahlfabriken gegeneinander aufreibt. Hierin nehmen sich die Stimmen sanft und vielleicht ein wenig keck aus. „Vor Kühnheit ganz leicht bebend, als traue der Sprecher sich selbst nicht so ganz“ meint Edo Reents in der FAZ. Vielleicht auch das. Die komplexe Geräuschhülle ist jedenfalls sehr genau vorweggenommen in unzähligen Filmen und Büchern, die eine Metapher suchten für die Übertragung Nachricht aus der Vergangenheit und der Zukunft, für die Überbrückung von Zeitaltern und Welten.

S.a. Vergangene Zukunft, Erfahrungsraum und Erwartungshorizont