Die demografische Transition und der Meister des Marienlebens

Die Sattelzeit um 1800 zeichnet sich neben dem politischen und technisch-industriellen Wandel auch durch eine sogenannte demographische Transition aus. Dabei wandelt sich die demographische Entwicklung von einem Überhang der Sterberate zugunsten der Geburtsrate, soll heißen, es werden durchschnittlich mehr Kinder geboren, als Menschen versterben, so daß es nach einer langen Zeit in Folge des Dreißigjährigen Kriegs zu einem stabilen Wachstum der Bevölkerungzahlen kam.

Rubens, betlehemitischer Kindermord, Alte Pinakothek

 

Was ein wenig technisch daherkommt hat eine – immer noch in vielen Ländern virulente – Tragödie zum Hintergrund. Nicht den betlehemitischen Kindermord, sondern den Kindstod (und oft genug auch den Tod der Mutter im Kindsbett) aus hygienischen Gründen.

Um 1800 kam es zu einem entscheidenden und nachhaltigen Wandel des Bewußtseins über die Hygiene bei der Geburt. Das war neben den Neuerungen beim Ackerbau und der Steigerung des Ernteertrags der entscheidenden Faktor für den Rückgang der Säuglings- und Kindersterblichkeit.

Hier hat man alle Komponenten, die nötig sind in einem Bild vereint. Eine gießt das saubere, heiße Wasser in die Schüssel, eine prüft die Temperatur, eine legt die schmutzigen Tücher weg, eine andere bringt die sauberen Tücher aus der Truhe, die nächste reicht das saubere Tuch zum Neugeborenen. Im Hintergrund wird die nächste Schwangere eingewiesen. Ein Lehrbild des Meisters der Marienlebens, 1460-1490.

Die Erkenntnis, die Aussage ist eindeutig. Es braucht doch alles sehr lange in der historischen Entwicklung und meist reicht nicht ein Bestandteil um Entscheidendes voranzubringen. Gut 300 Jahre, bevor sich der Rückgang des Kindstods in der Bevolkerungsstatistik niederschlägt, sind die hygienischen Maßnahmen schon bekannt. Aber es braucht immer mehr und noch etwas dazu, um sich auch weitläufig durchzusetzen. Und da war sicher auch die Stärkung der Stellung der Frauen gegen 1800 hin, die Emanzipation des Bürgers vom Untertanen, Bildung und die merkantilistischen Wohlfahrtspolizei von maßgeblicher Bedeutung. Mutterschutz, Waisenhäuser, Hygiene.

Meister des Marienlebens, 1460-1490, Alte Pinakothek