Geld in Massen und Mieten satt

Rainer Hank und Christian Siedenbiedel schreiben sich heute in der FAS ihren Frust über die Regulierung der freien Marktwirtschaft von der Seele. Lasst dem Geld freien Lauf.

In regelmäßiger Wiederkehr erleben wir in der FAZ durch Hank und andere die Irritation, wie heutzutage noch althergebrachte Lehrsätze durch die Manege geschleift werden, die heute durch nichts mehr zu rechtfertigen sind und vermutlich niemals wirklich Berechtigung hatten.

Heute: In der Marktwirtschaft ist nur das Geld wirklich knapp

und

Angebot und Nachfrage.

Bar jeder praktischen Erfahrung, dafür mit den Stimmen einiger Lobyyisten angereichert quälen die Autoren die Mietpreisbremse als schädlich für den Wohnungsmarkt durch. Geringe Miete verhindert die Investition, verhindert ein Gleichgewicht von angebot und Nachfrage und damit eine Selbstregulierung der bezahlbaren Mieten nach dem, was der Markt so hergibt.

Früher war es ein gängiges Modell sein Erspartes für sich und eine Familie als Mietshaus anzulegen und dann mit einigem Geschick und guter Bausubstanz über 120 Jahre für gute Rente zu sorgen.

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Heute steckt kein Bäcker mehr seinen Ertrag in ein Mietshaus.

Die Illussion von Angebot und Nachfrage ist spätestens mit dem Bäcker um die Ecke untergegangen – und war bereits damals ein Diktat des Angebots an die Nachfragenden: Friß oder stirb.

Heute geht es nicht mehr um Renten, sondern um Renditen. Die Wohnhäuser in Berlin werden wenn möglich nach Straßenzügen erworben von Fondsmanagern, die dann sogleich zu den Bürgermeistern marschieren und über den Milieuschutz reden. Bäcker Hempel hat sein Alters-Häuschen in Britz und ist froh, wenn Sohnemann die letze Investitionsmasse des Familienunternehmens nicht in ein Start-Up gesteckt hat. Die alte Ökonomie hat die alten ordnungspolitschen Maßnahmen überwuchert.

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Auf den Resten baut sich längst ein System auf, das nichts mehr zu tun hat mit den Investitionssummen, Abschreibungen und Renditen.

Die Wohnungswirtschaft lebt längst von Rentenkassen, die in großem Stil Wohnungen kaufen und Renditeerwartungen an Marktentwicklungen von Regionen und Währungen knüpfen. Die Häuser bewerten sich nicht mehr nach den tatsächlichen Erträgen. Wenn der Blumenladen, deren Betreiber das Geschäft eher als Lebensaufgabe sehen und auch in diesen zeitlichen Dimensionen rechnen, durch das nächste Casino verdrängt wird, hat das den Hintergrund in kurzerfristigen Gewinnen – aber vielmehr in der kurzfristigen Wertsteigerung nach dem Ertragswert des Gebäudes auf dem Papier. Da stehen dann Mieten satt in den Büchern – egal, wie lange der Mietvertrag hält. Das ist dem Fondsmanager natürgemäß viel wichtiger für die Bilanz als die tatsächliche Realisierung der Mieteinnahme. Und wenn wir uns auch als Hip und auf dem Laufenden halten, wenn wir neue Viertel aus dem Winterschlaf der Sozialviertel erwachen sehen – der Portfoliomanager war längst da.

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Geld, meine Herren, ist nämlich im Gegensatz zu 1554 oder 1895 im Überfluß da. Und wenn nicht, dann wird welches gemacht und je mehr die Banken verbraten haben, je mehr haben sie zurück bekommen. Was auch immer da im Größen geschieht – ob es sich tatsächlich um eine Art Wirtschaftskrieg oder Vorteilsnahme handelt, es ist selten naiv, in solchen Platitüden zu denken, die Weisheiten der Marktwirtschaft würden tatsächlich gelten.

Angebot und Nachfrage, Knappheit von Geld und Knappheit von Gütern etc. pp. funktioniert nur, solange man genug Dumme findet, die daran glauben.

Und die vielen kleinen Eigentumswohnungen springen solange er rumpelt und Krach macht auf denselben Zug. Die Zugführer geben nicht Bescheid, wenn sie die Maschine verlassen.

Nur wirtschaftspolitische Maßnahmen können so ein Marktgebaren verhindern und damit die Gefahr, dass der Zug entgleist und die Wortschaft brummt und die Erträge der Arbeit als Rente gesichert sind. Und nur solange Arbeit sich auch lohnt kann dieser Kreislauf funktionieren, nicht mit reiner Geldbewirtschaftung.

Noch ein extra Punkt: Die beiden Autoren wissen ganz genau, was für ein Unsinn, da steht, sonst bräuchten sie sich nicht auf Diffarmieren verlegen. Wenn vor 20 Jahren noch der Intellektuelle die Kreise des gesunden Menschenverstandes störten, muss jetzt das verantwortungsvolle Bürgertum herhalten, die Ökos, Bio-Spinner, Bionade-Bürgertum. Das unsachliche Abwerten des Anderen, ist immer das Rufen aus dem abgehängten Zug.

Ein anderer Hank ist mir da lieber: Mind your own Business

Schau mal einer an.

Die Doktorsucht und Abschreiberei ist nicht akzeptabel. Gar nicht. So wie Doping das ganze System unterbricht und grundsätzlich falsche Akzente setzt. Da ist der Zug an den Unis vermutlich auch schon abgefahren. Dem einen will man nichts verbauen und der andere hatte wohl nicht genug Interesse. Die Umstände sind immer Erwägungen der anderen. Larmoyanz oder Meckerei. Stört halt.

Und aus Sicht des pragmatischen Wissenschaftsbetriebs sind Fehler unvermeidlich. Ohne ein gewisses Laissez-Fair in der Quellenauswahl und der Zitate sind solche Arbeiten neben dem Beruf oder dem Amt nicht zu schaffen. Da überlagern dann die neuen moralischen Standards (Das Fressen und Wir müssen die besseren Sein und nur wer schreibt der bleibt) die alten  (Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen). Irgendeine Ausrede für Bigotterie findet sich immer. Das weiß jeder, der auf eine Doktorarbeit verzichtet hat, weil er es ökonomisch neben Beruf und Familie nach seinen Standards nicht im Kreuz hatte und sieht, wie es bei anderen doch geht.

Steinmeier eiserne Brücke

Ich bin trotzdem nicht schadenfroh und sehe die Plagiatsjägerei dann auch im Einzelfall kritisch.(Nachtrag: Hier mehr zum Hintergrund der Vorwürfe.)

(Nachtrag II: In der FAZ v. 16.10.13, Wissenschaftsteil, wird die Unzuverlässigkeit der Software des Plagiatsjägers Kamenz am Beispiel der Vorwürfe dokumentiert.)

Aber im Hause Steinmeier war die Laune sichtlich schon mal besser. Dafür macht man doch Karriere, oder?

Absahner, Ideologe

>> Es gibt nicht viele Menschen, die sich leisten, was ich mir leiste: Sie sagen nicht auf der einen Seite: „Ich nehme alles Geld mit, das ich kriege“, und auf der anderen gebärden sie sich als blöder, querulatorischer Anarchist. Ich habe mit diesem ideologischen Widerspruch, der kein dialektischer ist, nicht einmal ein Problem. <<

Doch, es gibt eine ganze Menge davon, eigentlich ist das eine weit verbreitete Haltung. Absahnen was geht und sich dabei als individueller Outlaw fühlen, das ist die klassische Rechtfertigung des Egoisten, der wohl irgendwie die Unvereinbarkeit der moralischen mit den materiellen, auch nachhaltigen Ansprüchen der Gesellschaft ahnt, sich darum aber nicht schert oder schlicht nicht die Energie oder das Vermögen hat, solche Widersprüche aufzulösen oder auszuhalten.

Inhaltslose Gesten brauchen zunehmend drastische Darstellung. So bildet sich Hilflosigkeit in der Erklärung der Welt ab. Die Verwahrlosung und Redundanz des Provokativen als Leere Hülle scheint damit zu tun zu haben, daß die Untauglichkeit und Unzulänglichkeit der ideologischen Ansprüche erahnt werden.

Derart waren meine nächsten Gedanken auf den ersten Seiten des Interviews mit Castorf im Cicero aus dem das Eingangszitat stammt. Aber je mehr man weiterliest, umso schlimmer wird es. Trostlos, perspektivlos, gedankenarm. Ein armes von den eigenen Illussionen geschlachtetes Tier, das, sich im Kreis drehend, wild um sich beißt und wie ein Junkie die nächste Dosis steigert. Berlin.

Peinlich für einen Theatermann, auf diese Weise selbstgerecht und blind zu sein, die Grundhaltung unserer Gesellschaft für sich als heroisches Außenseitertum zu beanspruchen. Nicht Occupy Wall-Street, sondern Occupy Wall-Street-Attitude.

Und dann noch diese ekel-gefallsüchtige Faschismus-Selbstbeschreibung. L.v. Trier oder Zizek, Künstler oder Intellekutelle die durch und ausgelaugt sind, brauchen wohl das Suhlen in einer Ästhetisierung des Faschismus und des Unmenschlichen in den Ditkaturen allgemein. Da passt Wagner ungemein gut.

Bayreuth wird sicher lustig.

 

Wahn, Schuld, Vernunft

Zum Geisteszustand von Anders Behring Breivik sind zwei psychiatrische Gutachten erstellt worden und etliche Kommentare beschäftigen sich nun mit der Funktion von Schuld und Strafe in unseren westlichen Rechtssystemen. Es geht dabei etliches durcheinander, angefangen von den Zwecken des Strafens bis zur Funktion der Bewertungskriterien, hier vor allem der Kategorien Schuldfähigkeit und Zurechnungsfähigkeit.

In aller Regel haben sich die westlichen Staaten von dem Gedanken eines Vergeltungsstrafrechts abgewendet. Dies hatte zur Folge, daß nicht Buße und Sühne (oder die Negation der Bösen Tat und dergl. mehr) durch die Strafe bewirkt werden soll; Strafzweck soll die Wiederherstellung der sozialen Ordnung sein, vor allem durch die Resozialisierung des Täters.

Kerngedanke und Perspektive ist eine soziale Ordnung aus der der Täter durch sein (abweichendes) Verhalten ausschert. Das soziale Gefüge ist wiederhergestellt durch die Wiedereingliederung des Täters in die soziale Norm. Diese Dominanz der sozialen Ordnung, angesiedelt zwischen Volonté générale und Volksgemeinschaft, führt zu einer Fixierung der Straftheorie auf die Mehrheitsgesellschaft und zur Vernachlässigung der Opfer, wie des beeinträchtigten Rechtsgutes. Das ist natürlich nicht immer so gewesen. An der Schnittstelle der Entwicklung des bürgerlichen Strafrechts, um 1800, wurde intensiv die Funktion des Strafrechts diskutiert, unter anderem anhand des überlieferten Strafzwecks „quia peccatum est“: Die Strafe folgt der Verletzung des Rechtsguts, nicht einem abweichendem Verhalten. Ich halte die Gründe für die spezifische Fixierung des Strafrechts in Deutschland auf die Verletzung der Rechtsordnung nicht geklärt. Sicher spielt hierfür aber eine Rolle, daß die Protagonisten allesamt aus dem bürgerlichen Lager stammten und einerseits der ethischen Betrachtung der bösen Tat (Verbrechen als Sünde wider die göttliche oder ständischen Ordnung) und andererseits der Willkür der (disparaten) Ständegesellschaft ein Ordnungsmodell einer funktionierenden, bürgerlichen Gesellschaft gegenüberstellen wollten. Gesellschaft als Ansammlung von Individuen gleichen Ranges, Ansehen und Rechte. Verbrechen als Verletzung einer Übereinkunft dieser Gesellschaft:

»nulla poena sine lege«, »nulla poena sine crimine« und »nullum crimen sine poena legali«.

 (Es gibt auch einen anderen Weg, Verbrechen zu betrachten und nicht den Umweg über die Verletzung der Ordnung einer Gesellschaft nimmt, sondern von der rechtsverletzenden Handlung ausgeht: Ist ein Rechtsgut definiert, folgt die Strafe auf seine Verletzung. Die Schuldfähigkeit oder Zurechnungsfähigkeit als Einpassung in das Ordnungssystem Gesellschaft spielt da allenfalls eine sekündäre Rolle bei der Vollstreckung der Strafe.)

Das Problem, ob über die Person des Täters die soziale Ordnung wiederhergestellt werden kann, wird unter anderem den beiden Polen: Schuldfähigkeit und Zurechnungsfähigkeit verhandelt: Ist der Täter schuldfähig, kann er bestraft werden, ist er zurechnungsfähig besteht Hoffnung, daß er wieder in die Gesellschaft integriert werden kann. Die Zurechnungsfähigkeit wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts mit Aufkommen der Psychologie entwickelt. Dabei wird die hinter der Resozialisierung stehende Gesellschaft zu einem teleologischen Gespinst, das nivellierend und normsetzend wirkt, aber hinter der vorgeblich naturwissenschaftlichen Methode der Bestimmung einer Schuld- oder Zurechnungsfähigkeit zurücktritt.

Man kann das Kriterium der Zurechnungsfähigkeit auch aus einer anderen Perspektive betrachten: Eine Art von „Medikalisierung“ eines Bedingungszusammenhangs und der Erkenntnis, daß sich in das Modell der Resozialisierung nicht alles eingliedern läßt. Die Zurechnungsfähigkeit als psychologischer Kategorie drückt sich dabei um eine Entscheidung über das, was eine Gesellschaft (nicht dulden) will.

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Einen (bisher dritten) Weg im Zusammenhang mit Grenzfällen von wahnhaft überzeugten Tätern oder überzeugten Wahntätern hat Gustav Radbruch genommen, der erste linke Justizminister Deutschlands und Vorkämpfer für ein humanes Strafrecht und ein Jugendstrafrecht im Sinne einer wirklichen zivilisierten Gesellschaft, ein Vertreter des Humanismus und immer von der Warte eines pragmatischen Sozialstaats ausgehend.

Sein Entwurf zu einem Strafgesetzbuch Radbruch von 1922 ist geprägt von zwei Leitlinien. Zum einen strebt er nach der Einschränkung des kriminalisierten Bereichs auf die wesentlichen Tatbestände, der „Ausscheidung der Rechtssätze zweiter Ordnung“, wie sie etwa das Polizeiunrecht, die Ordnungswidrigkeiten darstellen. Zum ande­ren ist das Strafensystem nach kriminalpolitischer Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit ausgerichtet. D.h. die (weitere) Abkehr von der Vergeltungsstrafe und eine Reform der Freiheitsstrafen mitsamt einer Reform des Strafvollzugsystems.

Gegenüber dem alten Erziehungs- und Sicherungsstrafrechts, das den Täter in den Vordergrund der Betrachtung setzte, legt Radbruch den Akzent auf den Menschen in seinen sozialen Bezügen.

Das sozialstaatliche Prinzip Radbruchs kommt auch in der umstrittenen Behandlung des Überzeugungstäters zum Ausdruck. Der Überzeugungstäter ist nach Radbruch einer höheren Norm verpflichtet, er ist der Andersdenkende. Radbruchs Auffassung vom Staat, von der sozialen Gerechtigkeit und von dem Relativismus der Werte zwingt ihn auch zu einer Tolerierung des Andersdenkenden. Da der Staat nur die sittliche Berechtigung zur Strafe hat, wenn er die Person des Verurteilten achtet, muß er bei Ansehnung der Würde auch des Überzeugungstäters von dessen potentieller Sittlichkeit ausgehen. Da er jedoch nicht besserungsfähig sein kann, trifft ihn die Strafe der Einschließung (§ 71 des Entwurfs Radbruch), die eine Art Festungshaft in Strafvollzugsanstalten sein sollte.

Radbruch hatte mit Haarmann, Denke und Großmann sowohl Erfahrung mit hochgradig gestörten Serienmördern, mit politisch motivierten Morden (Erzherzog Franz Ferdinand 194, Rathenau 1922) als auch mit Terroranschlägen (Wallstreet 1920).

Die Voraussetzungen für die Abwägung in Form verschiedener Vorkommen schwerer Straftaten lagen daher zu Tage. Mehr noch vielleicht als heute dürften Hemmungen bestanden haben, die Ausübung von Gewalt vorschnell als krankhafte Störung zu bezeichnen. Auch wenn die Kriegs- und Gewaltbegeisterung vor und im Ersten Weltkrieg nicht die kolportierten Ausmaße angenommen haben, Gewalt war nicht in dem Maße wie heute diskreditiert.

Insofern fiel der politische Extremismus aus dem Raster des Schuld- und Zurechnungsfähigen einerseits und des krankhaft Gestörten andererseits. Nur: tertium non datur. Den Überzeugungstäter gibt es nicht, er ist keine Abwandlung vom Tyrannenmörder und jede Sonderstellung begünstigt die Verbrecher, die – nicht geisteskrank – mit Gewalt ihre rationalen Interessen gegen eine Gesellschaft stellen.

Würde man in dieser Konstellation weitergehen, so geht man dem Wahn des Breivik in die Falle: Politisch war seine Tat eben nicht. Auch wenn es Gruppen geben sollte, die die Tat an sich begrüßen – das Verbrechen des Anders Breivik ist die Tat eines alleinstehenden, empathielosen Narzißten, der seine Emotionen und Fähigkeiten im Videospiel formulierte, naiv genug den Lügen von Hetzern und Faschisten aufsaß und offenbar dem Wahn unterlag, er stünde mit anderen in einer wirklichen Gemeinschaft.

Ob er geisteskrank ist oder nicht spielt für die Opfer keine Rolle.

Das Schwein soll ficken, kotzen, sterben

Gestern waren wir in der Inszenierung der Entführung aus dem Serail von Calixto Bieito in der Komischern Oper.

Ich hatte bereits die Armida von Gluck dort gesehen, die Musik sehr genossen und der Inszenierung von Bieito, halb erleichtert, daß es kein totaler Ausfall war, hier und da etwas abgewinnen können, Etwa die Machtausübung der Armida, die Auswirkungen auf den Charakter und die Erniedrigung der Männer, die sich in diesen Zustand finden, weil sie es selbst nicht anders kennen. Die eindimensionale Sprache und Thematik Bieitos kontrastierte damals bereits unangenehm mit dem Farbenreichtum den die Musik den Charakteren gibt.

Nun halte ich schwache Inszenierungen nicht für bedeutsam. Wie bei der Musik im Einzelnen, der Einschätzung der trefflichen Kolloratur der Sänger oder der Präsenz des Orchesters, stelle ich meine bescheidenen Kenntnisse und ungeübte Wahrnehmung gerne auch in Fragen der Inszenierung in die zweite Reihe.  Ich weiß, wenn ich Nabokov lese, daß ich vermutlich nur ein dünne Schicht an der Oberfläche erkenne. Aber man weiß, ob man Nabokov vor sich hat oder Hegemann.

Besonders in der Komischen Oper hat man ja so eine Vorstellung seines Theaterpublikums, das auf eine spätsozialistische Art verstaubt und bürokratisch ist, eben eine andere Art des Konservatismus, der dann auch in gewagten Inszenierungen anders aufgebrochen wird als der Westberliner Sturkopf. Beides ist langweilig und wenig anspruchsvoll, hier wie dort. Wenn die Inszenierung schon daran geht, provokant sein zu wollen, der Antrieb der Inszenierung nicht eine eigenständige Idee ist, sondern ein Anklage an das Publikum, an die Gesellschaft, oder die Verwendung von Heizpilzen, dann frißt die Attitüde der selbstgerechten Larmoyanz jede interessante Faser des Stoffes auf.

Mit Bietio hat man sich nun des Öfteren eines Skandalregisseurs bedient, der  den Schonwaschgang beenden soll und nichts weiter macht als seine Scheuklappen, seinen Pessimismus, vor allem aber seine ins peinliche abgleitende, eingeschränkte Wahrnehmung der menschlichen Existenz und offenkundigen Narzismus pflegt und sich ergötzt an seiner Idee, der Hochkultur den Dreck der Straße vorzuwerfen.

„Ich will daß Dich ein Schwein fickt und Dich ankotzt und Du die Kotze frißt und das Schwein stirbt beim Ficken.“ (so ähnlich Bassa zu Konstanze)

Ja mei. Was soll man dazu sagen?

Das ist zutiefst niveaulos, einfältig und angestrengt. Es hat mich angekotzt das Schwein, aber ich schlucke nicht.

Es ist mir ja recht, wenn man meint, man müsse das Publikum auf einem anderen Stand abholen. (Nicht wirklich, ich halte es für Einfaltspinselei und Schwäche. Die Leute, insbesondere und vor allem die Jugendlichen werden maßlos unterschätzt in ihrer Fähigkeit Leiden und Zweifel in seinen Nuancen, Leidenschaften in Illusion und Gegenwart usf. zu erkennen)  Und Schauspieler und Profipublikum schimpfen über die Museumstheater, wenn brav (oder subversiv?) in historischen Kostümen (oder halt mal nicht nackt) inszeniert wird und halten die Einbettung der Stoffe in die Tiefe des Raums und der Zeit langweilig oder unzugänglich. Es trifft nicht mehr die Rezeptionsgewohnheit. So weit so gut oder schlecht. Das „Abholen des Publikums“ ist das Argument der ZDF-Abendgestaltung, der man entgegenhalten kann: Wenn Fernsehen nur noch Musak und Droge ist, warum sollte man das dann finanzieren? Oder wenn die Probleme in den sozialen Wohnungsbauten betrachtet werden sollen, sollte man eben nicht Bushido oder dergleichen Laffen fragen.

Bieito zieht das ganze Geschehen in den Dreck seines Furors. Ganz tief nach unten, wo nichts mehr ist, als die peinliche Erkenntnis, daß da jemand offenbar nicht genug Herz und Verstand für die ihn umgebende Welt hat. Ich war auch schon da, wo es weh tut, in Barcelonas Pinten, wo Koks mit Heroin getauscht wurde und der Flamenco sich den Aufgang mit dem Bordell teilt. Aber Bieito sieht nur faul aus dem Fenster, in dem sich sein einsames Ich spiegelt.

Er kennt offenbar keine Aufklärung, weder die der Personenführung in der Erzählung, noch die historische Bewegung im 18. Jahrhundert. Belmonte, klar in seiner Funktion angelegt Erzählung aufzuklären und auf die Aufklärung zu verweisen, wird als Zuhälter entkleidet und ist nur noch ein weinerlich Gescheiterter ohne Geschichte. (Gleichwohl überzeugend in seiner Bühnenpräsenz: Guntbert Warns).

Bieito kennt die Personen nicht, die er ausleuchten will, die Dirnen und Schwachen, die Arbeiter und Abhängigen. Er macht den klassischen Fehler des empathielos Selbstgerechten, diesen Leuten ihre Würde zu nehmen und sie nicht wenigstens auch als Subjekte ihrer Lebenswelt zu sehen. Dieser distanzierte Duktus ist es, weshalb man Bieito auch nichts abnimmt. Er ist eingeschlossen in seinen Gängen und Zimmerchen.

Bieito kennt weiter nicht die mozartsche Lebenswirklichkeit, die doch niemals ausgeblendet werden kann. Das Nannerl, Konstanze, das Ärschchen und die Fürze, ausgelassen Freude, aber auch Kot und Dreck, Unterdrückung, Not, Abhängigkeit, Schmerz und Tod prägten Alltag und Lebenswirklichkeit. Woraus sich, wäre es doch passend zu fragen: trotz oder gerade deswegen?, die Feinheiten, das Zärtliche, das Abgründige, das Gutmütige im Schmerz und das Lindernde im Leid entwickeln?

Schließlich gäbe es noch mehr zu den Auswüchsen der einfältigen Sichtweise zu sagen, allein, es wären nur Variationen

Zu danken ist dem Orchester und den Sängern, die bei all der Plattheit es vollbringen, sich noch einigermaßen gegen die Sinnlosigkeit eines schmelzenden Fagotts angesichts der Niveaulosigkeit der Inszenierung zu Wehr zu setzen und mehr gegen die Plattheit anspielen und die Musik verteidigen. Mozarts, wie alle gelungene Musik ist in der Lebenswirklichkeit  angelegt, weist aber über die Wirklichkeit hinaus. Hier wird noch nicht einmal die erkannt.

Ich gestehe, mir ist es nur mit großer Mühe gelungen, die Musik zu verfolgen. Er hat mich angekotzt.

(Bilder zeigen alle die Komische Oper. Wie sie ist. Ausreichend vollständig. Bestimmt)

Gumbrecht

Ich kann mich noch an meine Enttäuschung erinnern, als ich nach der spannenden, ja aufwühlende Lektüre von Kosellecks Aufsatz „Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe“ am Ende auf, wie es mir jedenfalls schien, eine Apologie der Freund-Feind-Semantik Carl Schmitts stieß. Es wollte mir nicht unmittelbar einleuchten, wozu an dieser Stelle die Argumentation mit der Einführung dieses Gedankens gestärkt werden könnte.

Zugleich bestand die Enttäuschung des Textes und das Befremden an ihm wegen Carl Schmitt in der beiläufigen Bestätigung der Satisfaktionsfähigkeit seiner Gedanken.

Zu jener Zeit, kurz vor der Jahrtausendwende, galt es im Universitätsbetrieb, soweit ich das beurteilen konnte, besonders unter linken Denkern als ausgesprochen mutig und ansehensfördernd im Wettkampf der intellektuellen Potenz und Maskulinität sich intensiv mit Carl Schmitt zu beschäftigen und ihn für allerlei Diskrude „fruchtbar“ zu machen.

Unbeleckt von den Debatten, die die Rezeption der intellektuellen Stützen des nationalsozialistischen Ideologie in der Nachkriegszeit beherrschten, gab es für mich allerlei Hürden, unter anderem:

– Was nützt mir jetzt die Beschäftigung mit diesen Denkern?

– Korumpiert die Vertiefung in deren Logik mein (junges) Denken?

– Worin bestehen Denksysteme: Vermitteln Sie nur auf der materiellen Ebene der Begrifflichkeit und Semantik Schlußfolgerungen oder liegt ihnen ein formales Ordnungsmuster zugrunde, welches nur außerordentlich schwer zu durchbrechen war und vice versa jeweils die konkrete Aussage in einem Text, wie auch dauerhaft die Rezeption, also die Aufnahme von Begrifflichkeiten dominiert?

Nicht zuletzt die Warnung von Max Weber, den Ideen einen angemessenen aber keinen überbewerteten Anteil an historischer Entwicklung zuzuschreiben und Ideen wie Ideologien zu historisieren spielt da eine Rolle.

Der Antwort auf die letzte meiner Frage oben hatte ich mich angenähert, nachdem ich mich mit dem Klüngel um Forsthoff und Schmitt aus rechtshistorischer Sicht kurz beschäftigt hatte. Kaum einem Text fehlte die letztbegründende Behauptung einer anthropologischen Grundkonstante und das Raunen, daß es, ähnlich wie bei Savigny, eines besonderen Zugangs zu dem Verständnis von Texten bedürfe, welcher eben nicht jedem zueigen sei. Mehreres war mir zuwider: Als Student der Geschichte mit starken Interessen in Biologie, Verhaltensforschung und Kognitionstheorie waren mir alle antrhopologischen Konstanten Ergebnis von Ignoranz, Faulheit und Überheblichkeit. Egal ob bei Rouseau, Spencer oder Carl Schmitt. Als Arbeiter in den Geisteswissenschaften flog mir außerdem nichts zu, meine Herkunft ist das Handwerk: das war mir zu eitel und elitär. Daneben bestätigte sich aber doch durch diese Aussage, daß es einer formalen Struktur existiert, die jedem Text (in weitesten Sinne) zugrund liegt und die man erkennen können muß für das Verständnis des Textes.

Reichsluftfahrtministerium

Ich bin ein großer Bewunderer von Hans-Ulrich Gumbrecht, noch mehr, seitdem er in der FAZ Woche für Woche zeigt, wie man Themen auch en-passant behandeln kann. Hier, beim Umblaetterer, ein Interview.

Vor allem sticht heraus, daß sein Denken keines Trägermediums bedarf, so wie das bei unsereinem ist. Unsereins braucht Verknüpfungen mit Daten oder Denkmustern, Hilfskonstruktionen. Man versuche mal einem eingefleischten Juristen eine andere Logik vorzustellen – man wird vermutlich scheitern. Gumbrecht scheint sich allein in der Syntax und der formalen Organisation der Texte zurecht zu finden, wie in Datenströmen oder wie Fische in den verschiedenen Strömungsmustern die die Umwelt in dem Gewässer hinterläßt. Dazu kommt eine Leichtigkeit, diese zu übersetzen und dem Publikum zu vermitteln. Ähnliches habe ich bei Jürgen Kocka erlebt.

„*“

So. Gumbrecht schreibt über Heidegger.

Wie bei Carl Schmidt fehlte mir für den das Interesse, wegen der Begründung durch unhintergehbare (emanierte, wie Max Weber vielleicht sagen würde) anthropologische Konstanten und dem einen arkanischen, elitären Zugang zum Begreifen. Das beschreibt Gumbrecht in dem Heidegger Text ja sehr schön, wie dieses Denken, die Sprache schon einen Absolutheitsanspruch vor sich her trägt …

Gumbrecht erinnert mich an meine Frage, ob es eine Notwendigkeit geben kann, z.B. Heidegger nachvollziehen zu können und. das scheint mir auch eine Frage zu sein, die nicht akademisch ist: Muß das jetzt sein oder kann man darauf warten, daß irgendwer die fruchtbaren Gedanken Heideggeres noch einmal neu formuliert irgendwann in einem Kontext, der nicht zwangsläufig Vernichtung, Hierarchie und Emphatielosigkeit einschließt.

Also haben wir die Zeit?

Und, kann man auch Teile eines Denkens fruchtbar machen mit denselben Worten oder ist es durch die formelle Struktur, Syntax und Wortwahl dann doch angelegt. Oder gilt das nur für die „artverwandten“, so daß dies wegen dem dann letztlich fehlenden sprachlichen Zugang auf diese Schichten der Sprache dem englischen, spanischen etc. Muttersprachler nicht betrifft.

Wie bedeutend ist die Architektur, das formelle Gerüst. Ist hier noch das Reichsluftfahrtministerium angelegt? Oder alles durch den Einzug des Bundesministers der Finanzen verdrängt?

Bundesminister für Finanzen

So und jetzt sollte ich seinen Text noch einmal lesen.

Schlecker, weil es geht, weil wir es erlauben.

Die nächste alternativlose Situation. Unterstützung der Mitarbeiterinnen von Schlecker.

Durch Unternehmer wie Schlecker wurde die Vielfalt und Unabhängigkeit der kleinen und mittelgroßen Läden vernichtet. Durch einen Preiskampf auf direkter Ebene und extensive Rationalisierung der Kostenfaktoren, vor allem der Arbeitskraft zunächst. Dann durch den Hype, der auf die Lokalpolitiker ausgeübt wurde.

Diese Zeitung:

Axel Springer: Morgenpost

Axel Springer Verlagsgebäude

erzählt schonmal, daß Bedenken in Stadträten gegen den nächsten Discounter, die Ausweisung des nächsten Gewerbegebiets tatsächlich volksfeindlich sei. Denn, wo sollte dann noch die Omi von nebenan einkaufen gehen können?

Es wurde ein Handels- und Vertriebssystem etabliert, das alle Alternativen zerstört. Man nennt das Lock-in, ein großes Ding im Internet- und Software-Gewerbe. Verhältnisse schaffen, die den Kunden einschließen und einen Wechsel des Produkts, besser noch einen Verzicht auf eben dieses Produkt technisch oder ökonomisch unmöglich machen.

Alternativlos.

Und es gibt kaum mehr einen Bereich, in dem einem das nicht vorgemacht wird, es gäbe keine Alternative.

Diese Zeitung, so muß vermutet werden, weiß es besser. Die Tatsachen sind niemals, wie sie uns erscheinen.

Axel Springer, Bildzeitung

Axel Springer Verlagsgebäude Eingang

Die Tatsachen sind, wie sie beschrieben werden und wenn das zu lange dauert, dann kann man Tatsachen auch schaffen. Damit daran kein Zweifel aufkommt, erzählt Kai Diekmann von dem gewissen Einfluß des Blattes. Bild misst nicht die Stimmung des Volkes, die Temperatur, Bild sagt, wie es sich anfühlt.

Hier:

Schleckerarbeiterinnenwohnungen

Das wird dann natürlich irgendwann unhintergehbar. Es ist offensichtlich absurd, wenn wir uns gestatten, Vertriebssysteme zu protegieren, die nur funktionieren, indem alle alternativen Vertriebswege ausgeblendet werden.

Nur weil es geht; Massen an Arbeitern an den Rand des Existenzniveaus zu drücken und dann wundern, wenn man die sozialen oder ökonomischen oder ökologischen Folgen tragen muß.

Schlecker ist kein Einzelfall.

 

Nachtrag 30-03-2012: Jetzt scheitert die Auffanggesellschaft an dem Einspruch der FDP, ein Witz, einerseits.

Denn entgegen den Verlautbarungen der FDP stützt deren Modell ja nicht den Einzelhandel, sofern man den Zynismus nicht mitmachen möchte, Schlecker als Teil eines Kartells, als Einzelhandel zu bezeichnen. Die FDP verfolgt genau den Weg, über die möglichst geschickte Ausbeutung von Resourcen, vulgo Rationalisierung von Arbeitskraft, Rohstoffen, Infrastruktur zu Lasten der Bürger dem akteur am Markt einen Vorteil zu verschaffen.

Andererseits ist dieses Wirtschaftsmodell, der quasi Monopolbetrieb, auch bei Aufteilung auf ein Kartell, wenn es denn vom Staat betrieben wird, nichts weiter als planwirtschaftlicher Sozialismus.

Ich habe auch einen Namen für die Auffanggesellschaft: Schlecker Intershop.

Postprivacy

Postprivacy bräuchte zunächst einmal eine Privatheit, die man überwinden oder abschaffen könnte (wenn man das wollte).

Privatheit ist weit mehr als ein theoretisches Konzept, sondern die tatsächliche Konzeption des täglichen Leben, der sozialen Aufstellung des Bürgertums in dem Moment, in dem (und mit dem) die Emanzipation von direkten Durchgriffen vertikaler Machtverhältnisse gelang. Die Privatheit ist so betrachtet die Abkühlung, die Entropie der Macht auf dem Weg zur (ideelen) gleichmäßigen Machtverteilung. Das Alles funktioniert nicht, wenn eine Distanzierung und Etablierung des Menschen von der Masse Untertan als Citoyen oder Bürger nicht entsteht, wobei das Private dabei immer ein Gegenbegriff zum Öffentlichen, zur Arbeit, zur Zusammenarbeit, zur Dienstbarkeit ist.

Diese Privatheit als ein Merkmal der Moderne ist keineswegs selbstverständlich, weder als Konzept, noch als gelebte Realität.

Postprivacy bräuchte für sich zunächst einmal Privatheit als Realität und nicht als polemischen Kampfbegriff. Wer in Kreuzberg sein Mittagessen öffentlich macht, hat vermutlich noch nicht einmal einen Begriff davon.

Wert:enorm

Der Spiegel macht uns – dankenswert – die Tonaufnahmen von Bismarck und Helmuth von Moltke (dem Urgroßonkel von Helmuth James von Moltke, selig)  zugänglich.

Mit Moltke ist das einzige Tondokument erhalten, das die Stimme eines noch im 18. Jahrhundert geborenen Menschen erkennen läßt. (Moltke war 1800 geboren.)

Man kann zwar nichts verstehen, aber es ist zuverlässig alt:

Ja da ist der Wert enorm
in des Spiegels Wertenorm.

Ich möchte den Wert dieser Dokumente natürlich nicht herunterspielen. Nur was macht den Wert aus? Auch die hohe Stimme Bismarcks halte ich nicht für so spektakulär. Man denke etwa an Honecker, der gestraft war mit seinem Organ.

Hier, in der FAZ, leider mit Werbung, ist das Tondokument mit den Worten unterlegt, was einem die Durchhörbarkeit der Aufnahme wesentlich erleichtert.

Bei allen alten Aufnahme halte ich das eigentlich Bemerkenswerte in der Melodie, den Betonungen, dem Duktus. Das gesprochene Wort wirkt weit über den verlautbarten Inhalt hinaus.

Bemerkenswert an den Aufnahmen, besonders der von Moltke, ist die Verschränkung von  Erfahrung und Erwartungen, die Antizipation der Hülle dieser Botschaften aus der Vergangenheit. Die Stimmen sind eingebettet in einen Tornister aus Schallwellen, eisigen, stahlmahlenden Röhren aus Geräuschen, die an ein kaltes eisernes Zeitalter erinnern, das wie in einer Mühle der Zeit Eisenbahnen samt Kohletender und Schienen, vereiste Schlachtfelder und Stahlfabriken gegeneinander aufreibt. Hierin nehmen sich die Stimmen sanft und vielleicht ein wenig keck aus. „Vor Kühnheit ganz leicht bebend, als traue der Sprecher sich selbst nicht so ganz“ meint Edo Reents in der FAZ. Vielleicht auch das. Die komplexe Geräuschhülle ist jedenfalls sehr genau vorweggenommen in unzähligen Filmen und Büchern, die eine Metapher suchten für die Übertragung Nachricht aus der Vergangenheit und der Zukunft, für die Überbrückung von Zeitaltern und Welten.

S.a. Vergangene Zukunft, Erfahrungsraum und Erwartungshorizont

Karl Schlögel im Interview

Karl Schlögel (z.B. Im Raume lesen wir die Zeit) hat ein Interview im Standard gegeben.

Ich hatte einen kurzen Faden an bestimmten Parallelen zur Krisenzeit vor dem ersten Weltkrieg gesponnen. Vor dem Hintergrund sollte man sich die folgende Passage aus dem Interview mal in Ruhe ansehen. Geschichte ist ein Dickschiff. Wir haben dort, nun ja, Passage? Oder geht noch was?

Schlögel: Ich würde es so formulieren: Es gab keine geschichtliche Mechanik, dass es so gelaufen ist. Es war aber auch nicht so, dass der Schuss von Sarajewo fiel und danach alles außer Kontrolle geriet. Es gab eine Konditioniertheit, eine Verfasstheit der Imperien, die dazu führte, dass es dann so aufeinanderknallte und diesen Ausgang nahm. Ich würde nicht sagen, dass man um diese Katastrophe herumgekommen wäre, wenn es ein anderes politisches Personal gegeben hätte, das weniger hysterisch, weniger panisch, weniger kurzsichtig gewesen wäre. Die Großaufstellung der Industriepotenziale, der kolonialen Appetite, der Möglichkeiten, interne Konflikte aus Europa zu exportieren in die Kolonien, Reichtümer zu akquirieren, um solche Städte wie London, Paris, Petersburg oder Wien aufzubauen, dahinter stehen große Formationen, die in vielen Jahrhunderten gewachsen sind. Hinter dem, was dann mit ungeheurer Gewalt eskaliert ist, steckt diese Kraft und Zerstörungskraft.