Von Grafenrheinfeld nach Frankfurt, DE-CIX

Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld wurde am 27. Juni 2015 abgeschaltet. 1981, bei Inbetriebnahme der Anlage, waren die Gegner der Kernenergie nicht nur als spinnerte Ideologen gebrandmarkt, sie galten als Störenfriede im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinn, als Feinde der Sicherheit der Gesellschaft.

Die Sicherheit wurde damals selbstverständlicher und jedenfalls unverblümter noch als heute als wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Reibungslosigkeit verstanden. Ein schönes Stimmungsbild hierzu gibt dieser Spiegelartikel zur Wahl 1987. Tschernobyl war 1986 und hat an der verblendeten Technikgläubigkeit nichts geändert. Kohls geistig-moralische Wende war die Reaktion des gekränkten konservativen Selbstverständnisses auf die integrative und hochtolerante Diskurspolitik der Linken und 68`er durch Reduktion der Welterklärung auf vermeintliche wirtschaftliche Vernunft. Kohls Ordnung seines Einflussbereichs und seiner Klientel funktionierte daher auch maßgeblich durch eine quasi-feudale Zuweisung von Steuergeschenken, jedenfalls durch eine konsequente Unterordnung der Politik unter eine fiskalische Logik. Wie alle moderne Macht entschuldigt er seine Entscheidungen mit dem Verweis auf wirtschaftliche Zwänge: „It´s the Economy, stupid“ (Bill Clinton).

In der Nachschau waren und sind die Argumente der Atomkraftgegner aufgeräumt rational: Keine Beherrschbarkeit der Risiken, keine Lösung der Endlagerung und daher immense Folgekosten für die Gesellschaft. Technikfolgeabschätzung, Umweltverträglichkeit, Dezentralisierung. Spätestens Fukushima hat uns die Hybris und Irrationalität einer sich auf strenge Wissenschaft berufenden Industrie und einer sich auf wirtschaftliche Zwänge berufenden Politik offenbart. Es hätte ein Offenbarungseid werden müssen.

Eines der großen Argumente für die Kernenergie waren nicht zuletzt auch positiven Aspekte der Zentralisierung der Energieproduktion für die Politik. Große Wirtschaftskonglomerate gehen gerne eine Symbiose mit großen Parteien ein. Die Synergieeffekte sind enorm, die Leistungen darstellbar, die Verhandlungen fokussiert auf wenige Personen.

Insofern ist die Geschichte der Bundesrepublik eine Geschichte der großen Volksparteien und großen Konzerne – der Mittelstand lief immer so mit, der Handwerksbetrieb blieb Spielball, der Selbständige letztlich unbeachtet in seinen Bedürfnissen – es ging ihm einfach zu gut in den 70´ern und 80´ern. Wenn man Tarifverträge nur ansieht oder das Steuerrecht, quellen einem nicht nur die Eitelkeiten von Funktionären und Bedürfnisse von Verwaltungen entgegen, sondern vor allem schlichte und situative Klientelpolitik – Politik und Großkonzerne, die den Arbeitsmarkt regulieren und schon von daher Kleinbetriebe ausschließen, die sich an diesem Prozess nicht beteiligen können. Mach mit oder bleib draußen. Stringente Sachpolitk war das niemals.

Ähnlich ist es jetzt mit dem Umgang der Internet-Technik, nur ist die Machtakkumulation, die derzeit durch das symbiotische Zusammenwirken der großen BigDate-Konzerne mit dem Staat entsteht, noch stärker greifbar. Auch hierzulande besteht kein Zweifel daran, dass an der wirtschaftliche Verwertung der persönlichen Daten der  Bürger kein Weg vorbeiführt, wenn Wachstum gesichert oder nicht wenigstens das Abdriften in in die Bedeutungslosigkeit verhindert werden soll. Die Versprechungen sind Heilsversprechen, Verlockungen der Zukunft, Chiffren des Glücks. Wie mit der Kernkraft werden die Argumente in die Wohnzimmer gebracht: Teilhabe am Fortschritt, eine sorglose, saubere und intelligente Lösung der Alltagsprobleme. Als Beispiel der Smart Meter für smart people. Eine Technik ohne erkennbaren Mehrwert für den Nutzer. Also soll er nicht nur für das Gerät bezahlen – sondern gleich noch seine Daten verwertet werden.
Kritik wird als Verhinderung von Entwicklungschancen gebrandmarkt – obwohl die tatsächlichen Wertschöpfungen angezweifelt werden müssen und gegenwärtig nur aufgrund des Glaubens an die Wirksamkeit bestehen. Kritiker gelten als spinnerte Ideologen und als Störenfriede im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinn, als Feinde der Sicherheit der Gesellschaft.

Im Unterschied zur Atomtechnik rechtfertigt sich die auf BigData aufbauende Informationstechnologie im Internet nicht nur mit der kaum zu haltenden Behauptung, es gelte die Feinde der Gesellschaft abzuwehren. Die Wirtschaftlichkeit der Geschäftsmodelle ist fast ausschließlich verknüpft mit der Geldbewirtschaftung – derzeit ist es ein Zuschußgeschäft für Venturekapital, das auf den Aufbau und die Durchsetzung monopoistischer Strukturen setzt. Die Technik basiert auch im Innern offenbar zunehmend auf den Techniken der militärischen Anwendung.
Der größte Unterschied für die Technikfolgenabschätzung besteht aber in der Eigenart der BigData-Industrie, eine direkten Zugriff auf mentalitätsbildende Faktoren zu entwickeln und diese nicht nur zu testen sondern auch auszunutzen. Der bekanntgewordene psychologische Massentest der Auswirkungen von gezielten Eingriffen auf die Timeline von Facebooknutzern steht nicht allein für die offensiven Versuche, Nutzerverhalten im Hintergrund zu manipulieren. Dem zur Seite steht die quasi redaktionelle Auswahl der Informationen nicht nur aus Sicht der größtmöglichen wirtschaftlichen Verwertbarkeit (da dürfte kein großer Unterschied etwa zu Fox und deren Unterstützung der konservativen Teile der Republikaner bestehen).
Unbenommen davon sind die Auswirkungen auf die Veränderung der Infrastruktur unserer Wahrnehmung auf technischer Seite bereits jetzt immens. Diese technischen Strukturveränderungen und ihre Auswirkungen auf die Lebenswelten waren bisher eine Art Naturgesetz. Die Entdeckung und Nutzung der Elektrizität, der automobilen Mobilität, der Gerätemedizin gelten als unabwendbare Ereignisse, denen sich der Mensch anpasst. Die jetzige technologische Revolution vollzieht sich aber nicht nur mit dem Wissen dieser Auswirkungen, sondern wird bewusst mit diesem Wissen gesteuert.

Grafenrheinfeld wurde vor 35 Jahren hochgefahren. Den Atommüll will jetzt keiner haben, besonders nicht die damaligen Verfechter der Technik. Die Störenfriede von damals müssen auch jetzt wieder die Verantwortung übernehmen.

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