wird ein komplexes System der Verhandlung von Rechten im speziellen der Maschinenstürmer zur Zeit der Industrialisierung im frühen 19. Jh. genannt. Aber auch für die frühe Neuzeit wird im Alten Reich eine Struktur der Verhandlung zur Ausformung von Rechten festgestellt, die ohne die latente Drohung oder tatsächliche Anwendung von Gewalt nicht auskommt. Die Gewalt ist dann etwa das, was uns als Bauernkriege oder Bauernaufstände bekannt ist. Diese Struktur der Verhandlung von Rechten, die Einforderung von Partizipation und Interessen ist wird offenbar von Generation zu Generation weitergegeben und läßt formalisierte Abläufe erkennen, was als Beweis für eine aktive Rolle der Bauernschaft, der Untertanen dient. Das frühere Bild des Bauern als reines Subjekt der Herrschaft wird damit revidiert und damit auch die lange durch die Geschichtswissenschaft vertretene Auffassung des Untertanen als einer Verhandlungsmasse und nicht als Objekte eigener Interessen und eigener Handlungsmöglichkeit. Die stärkere Ausprägung im süd- und südwestdeutschen Raum wird unter anderem als Ursache für das Beibehalten der Grundherrschaft in diesem Raum, das geringe Feststellbarkeit dieser Widerstandstradition im nord-ostdeutschem Raum als (Mit-) Bedingung für die Herausbildung der Gutsherrschaft gesehen und damit der Möglichkeit stärkeren Durchgriffs des Landesherrschaft auf den einzelnen Untertanen, sowohl was dessen ökonomische Verwertung anging, als auch dessen Disziplinierung.
Gewalt – und der Verzicht auf Gewalt durch eine Institutionalisierung von Verhandlungsmechanismen zur Teilhabe am politischen Prozeß nimmt eine wichtige Rolle im Zivilisationsprozess ein, der geprägt ist von Verrechtlichung, Gleichberechtigung, Partizipation.
Nichts davon ist in der gegenwärtigen Diskussion der Polizeigewalt gegen die schwarze, arme Bevölkerung der USA, jetzt wieder speziell in Baltimore erkennbar. Wer David Simons Bücher zu den Praktiken des Baltimore Police Departments gelesen hat, wird sich keine Illusionen über die haltlosen, teilhabelosen Zustände für die schwarze Bevölkerung machen, die eine faktische Verweigerung von sozialen und gesellschaftlichen Teilhaberechten nahelegen. Eine Institutionalisierung von Handlungsabläufen lässt sich dagegen auf der anderen Seite feststellen, wenn bei einer Bevölkerungszahl von 640.000 in einem Jahr 100.000 Festnahmen vorgenommen werden.
Die Festnahmen sind meist orientiert an einer Strafverfolgungsorganisation, der offenbar keinerlei gesellschaftliche Strafzweckdiskussion zugrunde liegt. Ohne die Todesstrafe wäre zweifellos der Schusswaffengebrauch bei Festnahmen überhaupt nicht mehr haltbar. Mir scheint jedoch das größere Problem an der Todesstrafe in den USA zu sein, dass sie eine notwendige Diskussion, einen notwendige gesellschaftliche Verständigung über den Sinn und den Zweck des Strafens verhindert und in einem Zustand nahe des Talionsprinzips verharrt mit der Folge, dass eine Kriminalisierungsspirale in Gang gesetzt wird durch Ordnungswidrigkeiten, Lappalien wie Strafzettel wegen Falschparkens, der ein durchschnittlicher schwarzer junger Mann kaum mehr entgehen kann und in der Folge als Straftäter einer ständigen Bedrohung durch einen kaum als staatliche Behörde zu nennenden Verfolgungsapparat schlecht ausgebildeter städtischer Beamter ausgesetzt wird. Nicht der Rassismus der Täter ist die ausschlaggebende Ursache an diesen nun gehäuft medial verbreiteten Tötungen, sondern die offensichtlich strukturelle Kriminalisierung der schwarzen, schlecht ausgebildeten Bevölkerungsschicht im Verbund mit einer Deindustrialisierung, die Arbeitsplätze für einfache Arbeiter vernichtet.
David Simon ist er Autor der TV-Serie The Wire und hat zwei beachtenswerte Bücher über die Polizeiarbeit in Baltimore geschrieben. Auf seinem Blog wirbt er jetzt um Zurückhaltung und Gewaltfreiheit – um eine Eskalation zu vermeiden – first things first. Er wird deshalb (und wegen einiger offenbarer Missverständnisse seinerseits, für die er sich entschuldigt) heftig angegriffen. Eine spannende Diskussion, die ein wenig Einblick gibt in die Verhältnisse und den sehr schwierigen und hilflosen Umgang der Zivilbevölkerung mit der Problematik.
Zu dem Vorwurf, dass die Gewalt nun von Kriminellen ausginge, gäbe es sehr viel zu überlegen. Angesichts einer derart massiven Kriminalisierungsrate wegen Kleinigkeiten stellt sich aber die Frage: Wer darf dann dort noch die Stimme erheben? Zweifellos ist Gewalt kein Mittel für Verhandlungen und überall zeigt sich in der Geschichte, dass durch Gewalt regelmäßig keine Veränderung von gesellschaftlichen Verhältnissen erreicht wird – keine. Gewalt ist das Mittel des Status Quo, es verhindert Entwicklung und stärkt die vorhandenen Machtverhältnisse.
Collective bargaining by riot funktioniert ebenfalls nicht ohne Gewalt – nur ist es nicht die Anwendung der Gewalt, die wirkt, sondern die abgestufte Drohung der Radikalisierung, das Beispiel der Ernsthaftigkeit, das Aufzeigen der Nachteile, die man bereits ist, hinzunehmen: Haft, Schmerzen, Tod. Etwas besseres als den Tod findet man überall. Es muss eingebunden sein in einen Verhandlungsprozess über Rechte, die wahrzunehmen den Bürger erst ausmachen. In keinen der Berichte über die Polizeigewalt in den USA wird nur ansatzweise über solche Mechanismen berichtet. Weil es sie nicht gibt?