Wozu brauchen Puppen Regenschirme

Vor gut sechs Jahrzehnten wünschte sich ein kleines Mädchen in Bad Hindelang einen Regenschirm für ihre Puppen.
Bad Hindelang war mit Obersdorf in den Nachkriegsjahren ein beliebter Kurort für allerlei Mühsal des Lebens. Die gute Luft war damals noch ein Argument.

Bad Hindelang 011

Besonders im Winter drückte der Rauch aus den Kaminen. Der Kuraufenthalt war nicht nur mondän aus den Erinnerungen an Marienbad, Meran oder die anderen, teils untergegangen Aufenthaltsorte von Goethe oder Sissi und ihren Schwestern. Der Kuraufenthalt war als Widerpart untrennbar verbunden mit der deutschen Arbeitsgesellschaft. Keine Anstrengung ohne die Aussicht auf Kur. Der Kuraufenthalt war das Symbol der sozialen Marktwirtschaft.

Obersdorf Alme

Es fuhren also zur Kur der Zimmerer und der Bahnerer und die Chefin vom Bäcker. Sie sahen vorn in die moderne, soziale Arbeitswelt und nach hinten ins Mondäne, kauften sich neue Wolljacken mit Zopfmuster oder Dirndl und vielleicht auch einen Regenschirm, weil im Allgäu hat es viel Regen. Und da will das kleine Mädchen, das seine Mutter auf der Kur besucht einen Regenschirm für die Puppen. In der Auslage spiegelt sich die Welt des Wirtschaftswunder und mischt sich mit dem Heimatfilm, mit Sissi und Maria Theresia und dem Cabrio von der Frau Direktorin.

Aber: „Puppen brauchen keinen Regenschirm.“ Damit war das Thema beendet und vorbei. Jahrzehntelang schmerzt die Abweisung und überdeckt so einiges an anderen Erinnerungen. Der Puppenregenschirm trägt die Erinnerung jahrzehnte hinweg und erhält den Kuraufenthalt der Mutter und Bad Hindelang und Obersdorf wie ein Duft, der uns  unweigerlich zurückführt in die Kindheit.

Kloster Turm 007

Dann, mit Anfang Dezember waren die Puppen verschwunden. Ein Fädchen tauchte auf aus goldenem Garn. Das hatte das Christkind liegenlassen, das der Mutter half bei den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest. Ein Stückchen Stoff lag herum, ein Knöpfchen. So verging die Weihnachtszeit in Vorfreude und Erregung.
Am Weihnachtsabend lagen dann die Puppen unter dem Weihnachtsbaum und hatten neue Kleider, natürlich selbstgenäht, alle. Ein Regenschirm war nicht dabei, den konnte man nicht selbst machen. Für den Vater waren es ein Hemd und eine Kravatte. Man schimpfte, als das Wachs auf das Paket tropfte und Flecken machte auf das schöne weiße Leinen. Praktische Geschenke, wenige und bescheidene. Man wusch sich den Hals, weil der Schweiß die Krägen ruinierte. Die Kleider der Puppen waren aus den Resten der Stoffe, die man selbst benötigte. Keine Auspackarien und nichts, was in den nächsten Tagen umgetauscht werden konnte.

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Ich will die Nachkriegszeit nicht beschönigen. Nur wer Weihnachten mit Kindern kennt, weiß, dass da etwas schiefläuft, heute.

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