In Bayern werden „dynamische Wechselwegweiser mit integrierter Stauinformation“ dWiSta installiert. Zur Steuerung der Verkehrswege und des Verkehrsflusses und zur Ermittlung der Reisezeiten werden sowohl die KFZ-Kennzeichen, als auch per Bluetooth die Kennung von Geräten in den Fahrzeugen erfasst. Die Daten werden, wie es einhellig und vermutlich zutreffend unter Verwendung eines Textbausteins heißt, „sofort nach Empfang unumkehrbar anonymisiert und die Originaldaten gleichzeitig unwiederbringlich gelöscht. Der Bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz hat hierzu die datenschutzrechtliche Freigabe erteilt.“ Hier, hier und hier
Es werden über Autobahnen Hightech-Monitore angebracht, die unsere Autos mit hypersensiblen Messinstrumenten nach Bluetooth-Geräten scannen und die Kennzeichen aufnehmen, um den täglichen Verkehrskollaps anhand der Verkehrswege und Geschwindigkeiten der einzelnen KFZ zu optimieren.
Soll man jetzt wieder besorgt sein, wegen der ungehemmten Erfassung individueller Daten, wegen des möglichen Eingriffs in eine Bewegungsfreiheit, wegen des Aufbaus der Technik, die die ungebremste Kontrolle unserer Bewegungsprofile ermöglicht? Klar ist, dass hier ein weiteres Mosaik einer möglichen Überwachungstechnik vorliegt.
Im Focus scheint mir hier derzeit jedoch nicht die Überwachung von kriminellen Autoschiebern und Drogendealern, Demonstranten der nächsten G-5, G-8, G-20-Gipfel oder der böse Salafist zu liegen, die allesamt nicht besseres zu tun haben, als auf Autobahnen mit dem Handy nach verfügbaren Netzen und den nächstbesten Weg zu Flucht oder Attentat zu suchen. Das Stichwort ist Sicherheitstechnik, das mittlerweile als Deckmantel für allerlei dient, nur nicht für die Sicherheit des Bürger und auch längst entkoppelt ist von einer Zweck-Nutzen-Relation. Das Vorspiegeln von Sicherheit ist der Wirtschaft (und Politik) im privaten wie öffentlichen Sektor längst ein Spiel mit Gefühlen und Symbolen geworden, die jeder Grundlage entbehren, außer vielleicht psychologischen Experimenten mit den Adressaten. Wie die Folter seit Jahrhunderten als untaugliches Mittel bekannt ist, stellt sich die Sicherheitstechnik als für den angeblichen Zweck untauglich heraus. dWiSta könnte sich als ein schönes Beispiel erweisen, wie die Wirtschaft Infrastrukturprojekte etablieren kann und Techniken verbaut und immer weiter ausreizt, die dann, wenn sie da sind, unser Leben verändern, weil es eben geht. Der Ingenieur sitzt im Zug mit seinen Kollegen, fährt von der Tagung nach Hause, trinkt ein zwei Bier und entwickelt Machbarkeitsvorstellungen aus seinem technischem Verstand heraus, ganz ohne die Qual der Technikfolgenabschätzung oder von Nachhaltigkeitsstudien, sondern allein aus der Lust am Ausloten seines Wissens und der Möglichkeiten. Das geht in die Projektentwicklung und irgendwann sitzt der Vorstand oder wer auch immer mit dem Staatssekretär oder Verkehrsminister zusammen und erzählt, wie toll es doch wäre den leidigen Stau um München oder auf der A3 in den Griff zu bekommen.
Das Projekt zeigt, dass die Möglichkeiten totaler Überwachung längst günstig und praxisreif herumliegen und genutzt werden. Die Technik ist ausgereift und viel weiter als unsere dummen Apps, die den Kinokartenkauf und die Kontrolle unserer Leibesübungsfortschritte so überwältigend vereinfachen. Und es läßt sich damit Geld verdienen, so um die 1 Mio pro Tafel mit Installation etc.pp., d.h. es winkt ein schöner Auftrag, wenn das Pilotprojekt Erfolge zeigt und bundesweit an Verkehrsknotenpunkten eingesetzt wird. In Norditalien, etwa am Kreuz bei Vicenza bis nach Bozen ist die Mitteilung der erwartbaren Fahrtzeiten schon installiert. Ob das mit einfacher Zählung der KFZ funktioniert oder auch per Kennzeichen- und Bluetooth-Kennung, weiß ich nicht, vermute aber, es geht auch einfach durch Kenntnis des Verkehrsaufkommens. Mit KFZ-Kennung und Bluetooth soll dann gewußt werden, wohin die Reise geht, wieviel Jugendliche im Wagen sitzen, wieviel Kinder auf dem iPad Filme sehen, welches Navi wohin weist, wann die Blase drückt und die Ausfahrt zur Raststätte ansteht. Kosten-Nutzen?
Es geht um Arbeitsplätze, Subventionen, Förderung von Industriesparten, Wirtschaftspolitik. Die Förderung der Infrastruktur auf einem Gebiet, auf dem der Kollaps längst akzeptierte Realtität ist. Die Verkehrsballungsräume sind ohne sog. intelligente Verkehrstechnik nicht mehr befahrbar, jedenfalls, wenn man auf die derzeitigen Arbeitgeber, die KFZ-Industrie schielt. Eine entsprechend konsequente Förderung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, der Verlagerung des Tranpsortwesens auf die Bahn, eine auch nur halbwegs entsprechende Subventionierung des Schienennetzes durch den Steuerzahler kommt nach wie vor nicht in Betracht und würde das Problem sicher nicht schlicht weiter an die Grenzen des ökonomisch und ökologisch überhaupt noch Machbaren treiben.
Das Geschehen liegt in den Händen der Industrie, der großen Interessenverbände und nach deren Überzeugungslkraft in der Entscheidung der Politik. Treibende Kraft des Ausbaus der Überwachungs- und Sicherheitstechnik sind Ingenieurverbände und Industriesparten, weniger geschickt umworbene Sicherheitspolitiker. Wie Märkte geöffnet und etabliert werden, hat Siemens als Paradebeispiel vorgemacht. Die Transparenzoffensive gegen Korruption, die letter of Intent und code of conducts waren alles nichts wert. Gerade jetzt wird wieder der nächste Fall von Korruption mit Beteiligung von Siemens wegen Anlagenbau in Israel offengelegt.
Gemacht wird nach wie vor das, was möglich ist. Die Welt ist Alles was der Fall ist. Wir haben die Konsequenzen dieses unbedingten Fortschrittsglaubens immer noch nicht nachdrücklich genug vor Augen. Und nicht die Alternativen. Die Alternativen sind nach wie vor nicht im Bewußtsein, weder deren Existenz, noch die Möglichkeiten eine (anderen) Arbeitsmarkt und andere Wirtschaftszweige zu etablieren und zu stärken.

