Als wir vor ca. 20 Jahren uns mit der Fruchtbarkeit von Datenbanken und der Kommunikation über „das Internet“ für die Geisteswissenschaften beschäftigten, kam es zu einer kurzen, unfruchtbaren Diskussion über die Behauptung, das Internet würde das Denken erweitern, weil es die lineare Struktur der Erzählstrategie in Büchern oder Aufsätzen verlassen würde.
Diese simple Aufassung, daß das Denken an ein Medium gebunden sei, war seinerzeit recht schnell aus den Angeln gehoben, verschwindet damit aber nicht. Daß sich mit der Struktur von HTML allenfalls die Rezeption einer Erzählung nicht mehr an dem Aufbau einer Argumentationsstruktur abbarbeiten musste, sondern sich willkürlich durch das Medium verteilen konnte, war weder spektakulär, noch neu. Da schimmerte dem einen oder anderen doch ähnliche Gedanken in Picabias Ausspruch “ der Kopf ist rund …“, in den Rhizomen und was da noch alles an Kritik der schrittweisen (scholastischen?) Argumentation durch die Geschichte geisterte. Und die Rezeption bewegt sich auch nicht anders als meandernd und selektiv durch Literatur, Bibliotheken und Archive. Wenn man es denn macht, das Lesen und Forschen.
Heute werde ich oft durch Vertreter einer behaupteten Generation Internet (oder so) an diese unzulänglichen Behauptungen erinnert. Daß uns das Internet irgendetwas Unverzichtbares mitgeben würde für die soziale Gemeinschaft, unser Bewußtsein erweitert oder das ewige technische Argument des notwendigen Fortschritts, der als originäre Qualität an sich nicht in Frage gestellt wird. Ich denke dann immer an den Rhein-Main-Donau-Kanal.
Natürlich leben wir darin und damit. Aber es geht auch anders. Hinter jedem Fenster befinden sich die gleichen Gänge. Aber auf den Gängen sind nicht die gleichen Bewegungen, nicht die gleichen Menschen. Der eine geht weiter in Raum 111, ein Anderer bleibt stehen.
Offensichtlich anders ist jedenfalls die Wahrnehmung und Logik der Generation, die direkte mit jetzt schon vergangenen Chat-Techniken und Facebook und What´s App aufgewachsen ist. Da hat sich etwas herausgebildet, das so selbstverständlich Bedingungen des Internet als Lebenswelt akzeptiert, wie die Generation vor 68 eine heute befremdliche Hinnahme von Machtmechanismen der Wirtschaft und Politik an den Tag legte. Wo Demokratie selbstverständlich vor dem wirtschaftlich als notwendig Vorgestellten zurücktreten musste, wie heute noch Umweltzerstörung und Belastung der Enkelgeneration ein vielleicht diskutiertes aber letztlich unhinterfragtes Dogma im Dienste der wirtschaftlichen Superiorität und Potenz gilt, so nehmen diese Jugendlichen die Preisgabe ihrer Identität als irgendwie notwendigen Einsatz in einem irgendwie notwendigen Spiel names soziales Leben hin.
Daß alle diese Firmen dabei gezielt auf eine Altersgruppe zusteuern, die traditionell, vermutlich sogar biologisch, die allergrößten Probleme mit dem Fassen und Definieren, Erkennen und Annehmen einer Idetntität haben, halte ich für gewollt. Das muß alles noch genauer gefasst werden. Wie sich eine Generation Praktikum andient und Sozialtechniken entwickelt, die sie selbst nicht versteht und die „Entscheider“ und CEO´s ihren eigenen Zynismus nicht mehr zu fassen bekommen in Zeiten, in denen Gier als notwendige Qualifikation kapitalistischen Wirtschaften formuliert wird.
(Titel aus: Lail Arad, Over my Head)


