Das Schwein soll ficken, kotzen, sterben

Gestern waren wir in der Inszenierung der Entführung aus dem Serail von Calixto Bieito in der Komischern Oper.

Ich hatte bereits die Armida von Gluck dort gesehen, die Musik sehr genossen und der Inszenierung von Bieito, halb erleichtert, daß es kein totaler Ausfall war, hier und da etwas abgewinnen können, Etwa die Machtausübung der Armida, die Auswirkungen auf den Charakter und die Erniedrigung der Männer, die sich in diesen Zustand finden, weil sie es selbst nicht anders kennen. Die eindimensionale Sprache und Thematik Bieitos kontrastierte damals bereits unangenehm mit dem Farbenreichtum den die Musik den Charakteren gibt.

Nun halte ich schwache Inszenierungen nicht für bedeutsam. Wie bei der Musik im Einzelnen, der Einschätzung der trefflichen Kolloratur der Sänger oder der Präsenz des Orchesters, stelle ich meine bescheidenen Kenntnisse und ungeübte Wahrnehmung gerne auch in Fragen der Inszenierung in die zweite Reihe.  Ich weiß, wenn ich Nabokov lese, daß ich vermutlich nur ein dünne Schicht an der Oberfläche erkenne. Aber man weiß, ob man Nabokov vor sich hat oder Hegemann.

Besonders in der Komischen Oper hat man ja so eine Vorstellung seines Theaterpublikums, das auf eine spätsozialistische Art verstaubt und bürokratisch ist, eben eine andere Art des Konservatismus, der dann auch in gewagten Inszenierungen anders aufgebrochen wird als der Westberliner Sturkopf. Beides ist langweilig und wenig anspruchsvoll, hier wie dort. Wenn die Inszenierung schon daran geht, provokant sein zu wollen, der Antrieb der Inszenierung nicht eine eigenständige Idee ist, sondern ein Anklage an das Publikum, an die Gesellschaft, oder die Verwendung von Heizpilzen, dann frißt die Attitüde der selbstgerechten Larmoyanz jede interessante Faser des Stoffes auf.

Mit Bietio hat man sich nun des Öfteren eines Skandalregisseurs bedient, der  den Schonwaschgang beenden soll und nichts weiter macht als seine Scheuklappen, seinen Pessimismus, vor allem aber seine ins peinliche abgleitende, eingeschränkte Wahrnehmung der menschlichen Existenz und offenkundigen Narzismus pflegt und sich ergötzt an seiner Idee, der Hochkultur den Dreck der Straße vorzuwerfen.

„Ich will daß Dich ein Schwein fickt und Dich ankotzt und Du die Kotze frißt und das Schwein stirbt beim Ficken.“ (so ähnlich Bassa zu Konstanze)

Ja mei. Was soll man dazu sagen?

Das ist zutiefst niveaulos, einfältig und angestrengt. Es hat mich angekotzt das Schwein, aber ich schlucke nicht.

Es ist mir ja recht, wenn man meint, man müsse das Publikum auf einem anderen Stand abholen. (Nicht wirklich, ich halte es für Einfaltspinselei und Schwäche. Die Leute, insbesondere und vor allem die Jugendlichen werden maßlos unterschätzt in ihrer Fähigkeit Leiden und Zweifel in seinen Nuancen, Leidenschaften in Illusion und Gegenwart usf. zu erkennen)  Und Schauspieler und Profipublikum schimpfen über die Museumstheater, wenn brav (oder subversiv?) in historischen Kostümen (oder halt mal nicht nackt) inszeniert wird und halten die Einbettung der Stoffe in die Tiefe des Raums und der Zeit langweilig oder unzugänglich. Es trifft nicht mehr die Rezeptionsgewohnheit. So weit so gut oder schlecht. Das „Abholen des Publikums“ ist das Argument der ZDF-Abendgestaltung, der man entgegenhalten kann: Wenn Fernsehen nur noch Musak und Droge ist, warum sollte man das dann finanzieren? Oder wenn die Probleme in den sozialen Wohnungsbauten betrachtet werden sollen, sollte man eben nicht Bushido oder dergleichen Laffen fragen.

Bieito zieht das ganze Geschehen in den Dreck seines Furors. Ganz tief nach unten, wo nichts mehr ist, als die peinliche Erkenntnis, daß da jemand offenbar nicht genug Herz und Verstand für die ihn umgebende Welt hat. Ich war auch schon da, wo es weh tut, in Barcelonas Pinten, wo Koks mit Heroin getauscht wurde und der Flamenco sich den Aufgang mit dem Bordell teilt. Aber Bieito sieht nur faul aus dem Fenster, in dem sich sein einsames Ich spiegelt.

Er kennt offenbar keine Aufklärung, weder die der Personenführung in der Erzählung, noch die historische Bewegung im 18. Jahrhundert. Belmonte, klar in seiner Funktion angelegt Erzählung aufzuklären und auf die Aufklärung zu verweisen, wird als Zuhälter entkleidet und ist nur noch ein weinerlich Gescheiterter ohne Geschichte. (Gleichwohl überzeugend in seiner Bühnenpräsenz: Guntbert Warns).

Bieito kennt die Personen nicht, die er ausleuchten will, die Dirnen und Schwachen, die Arbeiter und Abhängigen. Er macht den klassischen Fehler des empathielos Selbstgerechten, diesen Leuten ihre Würde zu nehmen und sie nicht wenigstens auch als Subjekte ihrer Lebenswelt zu sehen. Dieser distanzierte Duktus ist es, weshalb man Bieito auch nichts abnimmt. Er ist eingeschlossen in seinen Gängen und Zimmerchen.

Bieito kennt weiter nicht die mozartsche Lebenswirklichkeit, die doch niemals ausgeblendet werden kann. Das Nannerl, Konstanze, das Ärschchen und die Fürze, ausgelassen Freude, aber auch Kot und Dreck, Unterdrückung, Not, Abhängigkeit, Schmerz und Tod prägten Alltag und Lebenswirklichkeit. Woraus sich, wäre es doch passend zu fragen: trotz oder gerade deswegen?, die Feinheiten, das Zärtliche, das Abgründige, das Gutmütige im Schmerz und das Lindernde im Leid entwickeln?

Schließlich gäbe es noch mehr zu den Auswüchsen der einfältigen Sichtweise zu sagen, allein, es wären nur Variationen

Zu danken ist dem Orchester und den Sängern, die bei all der Plattheit es vollbringen, sich noch einigermaßen gegen die Sinnlosigkeit eines schmelzenden Fagotts angesichts der Niveaulosigkeit der Inszenierung zu Wehr zu setzen und mehr gegen die Plattheit anspielen und die Musik verteidigen. Mozarts, wie alle gelungene Musik ist in der Lebenswirklichkeit  angelegt, weist aber über die Wirklichkeit hinaus. Hier wird noch nicht einmal die erkannt.

Ich gestehe, mir ist es nur mit großer Mühe gelungen, die Musik zu verfolgen. Er hat mich angekotzt.

(Bilder zeigen alle die Komische Oper. Wie sie ist. Ausreichend vollständig. Bestimmt)

Thtrkrtk – Kritik als Attitüde

Ich verstehe nicht, was die zwanghafte Fixierung des Zuschauers auf eine metaphorische Verdichtung der Kritik für einen Erkenntnisprozeß oder nur Effekt hervorrufen kann, der außerhalb des Betrachters (Zuschauers)  liegen könnte. Dieses Theater ist nichts weiter als die Selbstbeweihräucherung durch Perpetuierung einer gemeinsamen Geisteshaltung, die sich aufgeklärt, gebildet und vor allem kritisch – individuell wähnt. Alles Zuschreibungen die nur die Form betreffen, nicht den Inhalt.

Was will dieses Theater von mir? Was geht mich das an? Was will ich vom Theater?

Ich will vom Theater nicht die Wiederholung von Diskursen, die dort spannend sind, wo sie betrieben werden und ansonsten nur den Schauspieler verdecken. Mit anderen Worten: das Durchkauen von Theorien oder Konzepten, Foucault oder Derrida, was auch immer, kommt auf dem Theater in etwa so, wie meine Kritik am Theater: Dilletantisch. Nur indem ich als Zuschauer ein Interesse habe, meine Liebhaberei oder mein Interesse zu erklären, ist von dem bezahlten Regisseur zu erwarten, daß er ein Stück abliefert und nicht halbgare Rezeptionen aus dem gehobenen Soziologieseminar, die Lücken aufgefüllt mit Ketchup und Speichel, Brustpiercing und Afterrosetten.

Es sei denn, die Erwartung geht aus von einem erzogenen Theatertheaterpublikum: Schaubühnentheaterpublikum, Volksbühnentheaterpublikum. Doch mehr, als daß ein Theater in Spielplan, Aufführungspraxis und Regie in eingespielten Einvernehmen mit dem Publikum  steht – und umgekehrt das Publikum sich suhlt in der kontrollierten Überschreitung der emotionalen Grenzen – in gedämpften Eskapismus und bärtig nickend in der Wiedererkennung der kritischen Affektion – mehr kann ich mir eine Verknöcherung von Kunst gar nicht vorstellen. Die gegenseitige Anbiederung in verschwörerisch bündnerischem Einverständnis zu den Verständigen zu gehören ist der Gipfel der Verknöcherung, denke ich in meinem Ohrensessel. Wenn Lars Eidinger dem Gast hinterherpflaumt und ihn quasi zum Duell fordert, weil dem das ganze Getue gegen den Strich läuft und das auch verlautbart, ist der berühmte Dialog mit dem Publikum ein unerwünschter – so dann doch nicht.

Der Schauspieler wird groß, wenn er Personen, Charaktere spielt und nicht Diskurse, Metaphern oder Eitelkeiten. Das ist das für den auf diesem Gebiet gebildeten Zuschauer so unglaublich langweilig, ein Theaterstück, am besten noch ein klassisches, in eine Theorie übersetzt zu sehen, die für uns eine unter vielen und so austauschbar wie sonstwas ist. Auch wenn die Bühnen sich ein Publikum hergezogen haben, was beim nächsten nackten Schniedel wieder kichert und sich wohlig in der Wiedererkennung einer Provokation suhlt. Das ist es sicher nicht, was eine Bearbeitung groß macht. Der Text ist groß und spannend, wenn er inhaltlich konkret wird und in der Theorie unklar bleibt.

Ich halte Faßbinder als Ursache für diese Entwicklung. Faßbinder war ein unmöglicher Mensch, ein Widerling, Menschenvernichter, Berserker und Diktator. Aber er hatte eine klare inhaltliche Vorstellung seiner Werke und hat seine Schauspieler gezwungen, Personen zu spielen, Charaktere zu formen, die sie nicht sind. Er war menschlich kein Vorbild. Er ist aber Vorbild geworden als Egoman und Bezwinger des neuen deutschen Kinos – offenbar nicht wegen seiner Stoffbehandlung, denn die steht doch ganz devot vor dem Text, wie es mit scheint.

Nun ist man nicht gut und geistreich, weil man Egoman ist und seine Schauspieler erniedrigt, ihre Rosetten vorzuzeigen. Sowenig wie der Rausch Inspiration ist, sondern nur verspricht.

Einige Regisseure heute imitieren Faßbinder wie Che Guevara … Wie diesem fällt Ihnen außer der Attitüde des Kampfes nichts ein. Faßbinder war vielleicht groß, weil er sich einen Dreck scherte um alles, was ihm bei der Durchsetzung seiner Ideen im Wege stand. Den Imiteuren des Stils fehlen aber die Ideen, die zu erreichen sie so gerne skrupellos wären. So fällen Sie Ihre Schauspieler unter dem Druck Faßbinderscher Methoden, degradieren sie soweit, daß sie kaum mehr die Würde der Charaktere spiegeln können, die sie verkörpern sollen.

Schauspieler, entledigt euch der Regisseure (und euren Regieallüren.) Natürlich findet Ihr es langweilig, zum zehnten Mal eine klassische Inszenierung des Käthchens zu sehen. Aber Ihr dürft eure Professionalität nicht mit der des Publikums verwechseln.

Und wer war Käthchen?