Berliner Ästhetik

Die U-Bahn-Wagen in Berlin sind großteils mit einem Sitzbezug versehen, der nicht nur den Schmierern von Schmierereien die Lust nimmt, ihre Tags oder sonstwas dort zu setzen, sondern auch gleich manchen Fahrgast das Setzen überhaupt.

Was dazu geführt hat, daß die Scheiben der Wagons mit geeigneten Mitteln verkratzt wurden. Nachvollziehbar in der Logik, sollte man glauben. Darauf hin haben die Verkehrsbetriebe die Scheiben beklebt mit verdrehten kleinen Brandenburger Törchen.

Eine Eskalation des schlechten Geschmacks, orientiert an der Frage, wie Verwüstung möglichst einzudämmen und Schäden im Rahmen zu halten sind.

Da ist keine Idee von lebenswertem Raum.

Irgendwo hat es eine Ladung giftfroschgrüner Parkbänke gegeben, die vermutlich aus dem U-Bahn-Projekt übrig geblieben sind und nun behutsam in den öffentlichen Raum entlassen werden.

Erst eine über Nacht zum Test.

Dann, nachdem das Überleben ohne Graffiti und Edding festgestellt wurde, eine ganze Horde. Ein Erfolg.

Das ganze färbt ab.

Weltstadt! Modestadt! Geschmack? Modebewußtsein?

Das alles hat Tradition.

Letzthin, in der Pause zu Luisa Miller, in der Deutschen Oper, standen an den reservierten Stehtischen ein Ehepaar älteren Semesters, Zehlendorf, sehr gepflegt, Blond toupierte Haare sie, grauer, leicht glänzender Anzug er und aßen Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat Berliner Art (natürlich Mayonnaise) und kleines Bierchen dazu. Ein hoch sympathisches Bild, das man unwillkürlich ins Herz schließen muß, so artig, zart und genügsam wie beide da standen.

Aber es bleibt doch ein etwas unfröhlicher und bedrückter Nachgeschmack der Bescheidenheit in ästhetischen und kulinarischen Dingen.

Es ging und ging vorbei.

Es regnete und war grau. Ein Januar in Berlin.

Die fashion week ging vorbei und war, abgesehen von der Verkehrsbelästigung nicht da. Zu grau und feucht das Wetter. Zu exklusiv der Kreis. Limousinen, Vip-Partys.

Mode wird nicht vorgestellt. Es zeigt sich Saisonware, ein Vermarktungskonzept, ein Sympton. Mode als Ausdruck einer Person, einer Selbstreflexion, als Stellungnahme zu und Stellung in eine Gesellschaft findet nicht mehr statt. Mode heute ist Symptom einer Persönlichkeit, die über die Person hereinfällt nach der Wahl ihres sozialen Netzwerks und der Marke ihrer Gadgets.

Arktisjacken mit Fellbesatz. OMG

True Religion

Mama,

die Leute mit dem weißen Porsche Cayenne sind da.

Modemesse Berlin öffnet

True Religion!

Steck Sie zu den Anderen, die mit den Mercedes in Carbon-Optik gekommen sind.

Es ist Modemesse in Berlin, Bread and Butter.

Brot und Butter gibt es auch sonst – nicht überall. Und Religion auch.

Selbstbehauptung und Selbstbeschreibung manifestieren sich dort, wo die Gesellschaft wackelt, mit nachlassender Gewissheit, mit nachlassendem Inhalt, mit nachlassender Achtung. Woran es liegt, wenn es an Selbstverständnis und Selbstachtung fehlt spielt keine Rolle. Die weißen Porsche Cayenne da mit erstaunlich greuslicher Casual-Mode, bitchy, ostentativ vergänglich, bewußt Applikation zum Sein. Die Hemden hängen raus, Jacket knittert drüber weg, sauteure Saisonstiefel aus dem Weiher geangelt. Alles schick und irre und so spannend. Da kommt nicht mehr viel.

Applikationen gibt es auch anderswo. Religion ist auch da ein Erklärungsmodell.

True Religion?

True Religion?

Ich habe nichst dagegen, wenn es wackelt, wenn die Gesellschaft in Bewegung bleibt. Das ist Bedingung ihrer Stabilität.