Beltracchi, Lempertz, Kunst kommt von Täuschung

Jung und rein liegt das Leben vor einem. Unverfälscht und unbeschwert. Die Kindheit ist erfüllt von dem direkten Zugang auf die Beseeltheit der Dinge. Vielleicht ist die Seele der Dinge nur das, was sich unmittelbar zwischen zwei Dingen abspielt, ohne die Rationalisierungen, die sich mit der Zeit dazwischenschieben. Das Vorurteilen, der Ruf nach Originalität und Geniekult, Neid, aber auch Skrupel und Scham.  Die (gelungene?) Kopie eines Picasso mit 14 Jahren ist ohne diesen direkten Zugriff auf die Seele eines Bildes vermutlich nicht möglich.

Der Kopf muß frei sein.

Pollaiuolo David Ausschnitt Gemäldegalerie Berlin

Man braucht natürlich auch eine Menge Geschick und handwerkliche Kunst für das Kopieren von Kunstwerken, wie für das Erschaffen von keinen oder nur vorübergehenden Kunstwerken.

Diese Woche und heute, 30. Sept. 2011 berichten alle großen Zeitungen über den Fall Beltracchi, den Fälschungsskandal über die angebliche Sammlung Jägers.
Dabei erklären alle ihre Sympathie mit dem Fälscher und bedingte Sympathie mit der Fälschung.

Der Fälscher Beltracchi hat offenbar mehr als Talent, er ist im Besitz der Kunstfertigkeit, die den Künstler ausmacht. Aber er kann sich nicht auf dem Kunstmarkt durchsetzen, weil dem Kunstmarkt Kunstfertigkeit nichts bedeutet. So fängt es an. Die Versprechungen der Welt an das Kind erweisen sich als Lüge. Damals in den Sechzigern und Siebzigern. Die Reden und Ermunterung, die ausgebreitete Moral, das Bild der lichten Unbeschwertheit, die vor einem liegt, sei man nur frohen Mutes, ehrlich und übe sein Handwerk fleißig aus bis zur Könnerschaft, alles Lüge, das alles stimmt nicht. Gestern nicht und heute nicht weniger.

Was zählt ist nicht der Kopf, der Fleiß und das Können, sondern der Magen, die unteren Innereien. Das Fortkommen auch ohne Talent. Das Fortpflanzen auch ohne Seele.

Die Finger! Da liegt sie, die Gespreiztheit, eine Distanzierung zwischen dem was war und dem was kommt.

Sympathie hat der Fälscher aber eher wegen der Nasführung des Kunstmarktes, der Eulenspiegelei, ein Werk zu schaffen, das nicht da war, aber erwartet wird. Als Kunst? Ja, aber notwendig auch als Anlageobjekt. Es ist vollkommen gleichgültig, zunächst, ob das Werk echt in dem Sinne ist, daß es von dem unterzeichneten Künstler herrührt. Das ist das Wesen der Kunst. Das Werk muß anrühren oder abstoßen, in jedem Fall einen Mehrwert der Wahrnehmung bieten. Das haben wir gelernt und wird auch so manchem Sammler im Hintergrund die Entscheidung für den Kauf bei nicht einwandfreien Papieren erleichtern. Das Werk ist gut und einen Preis wert. Der Sammler ist auch ein Spieler, der  die Kraft und Güte seiner Wahrnehmung auf die Probe stellt. Hält die Einschätzung auch auf Dauer der öffentlichen Wahrnehmung stand? Die öffentliche Wahrnehmung wird nur noch durch den Kunstmarkt bestimmt, von den Schwankungen, die die Willkür der Moden und der Marktmacht starker Akteure und dem fehlenden Selbstbewußtsein vieler kleiner Akteure verursachen.
Der Preisverfall nach dem Entdecken, daß der Ersteller nicht der Ausgestellte ist, nimmt das Feuilleton offenbar, um sich seiner Till-Eulenspiegel-Kindheit zu erinnern. Das liest sich im Kunstmarkt am Wochenende, wenn es um die Erlöse der Versteigerungen geht, ganz anders.

Man freut sich, zu Recht, daß einer den Mut hatte, das Schwert am Haupte anzusetzen.

Der ganze deutsche und wohl auch ausländische Kunstmarkt ist voll von durch die Nazis den rechtmäßigen Eigentümern geraubten Kunstwerken. Dazu gehören natürlich vor allem – im weitesten Sinne – arisierte Kunstwerke. So viel gebildetes Bürgertum, das seine Identitätssuche und die Altersvorsorge gleichermaßen in Immobilien und Mobilien in Form von Kunst oder Kunsthandwerk umsetzte wie zwischen 1880 und 1930 gab es wohl selten. Der Großteil davon waren Juden, was einen Großteil unserer Vorfahren sauer aufgestoßen war. Bildung und Kunstsinn, auch das sind Legenden der beseelten Kindheit, immer noch (s. das neue Buch von Götz Aly).

Ohne die Massen an wie auch immer offenkundig arisierten oder unter der Hand verschobenen Kunstwerken, die in der Zeit von 1933 bis 1945 „freigesetzt“ wurden, hätte sich niemals ein solcher ausnehmend unseriöser Kunstmarkt entwickeln können, der, was die Provenienzforschung angeht, immer den Verdacht hegt und hegen muß, daß die Unrechtmäßigkeit der früheren Entziehung des Eigentums auffliegt und Probleme bereitet. Von Lempertz ist bekannt, daß solche Anfragen wegen der Provenienz zögerlich bis gar nicht beantwortet werden. Es gibt wohl keinen Kunsthandel mit Tradition, der das Thema Provenienz anders hält. Begründet wird das, fadenscheinig, mit den Interessen der Eigentümer auf Anonymität. Freilich mag es da ein steuerliches Interesse geben, aber noch vielmehr einen Kodex unter Hehlern.

Der Kunstmarkt ist von daher in seiner Anfängen und Ursprüngen vollkommen korrupt, unehrlich und unseriös. Geeigneter Boden für eine Doppelmoral. Dem Sachverständigen ist es daher auch vollkommen selbstverständlich, daß die Familien, die Kunst auf den Markt werfen, über die Herkunft keine Aussagen machen.

Die Lebensdaten des Sammlers Jäger erzählen bereits eine eigene Geschichte, welche Art von Kunst auf welchem Markt gekauft wurde. Die Werke, um die es sich handelt stellen einen Querschnitt der unter kunstsinnigen Bürgern beliebten, wie unter Nazis verfemten und geächteten Stile dar. Es wäre ja eine Illusion zu glauben, daß sich hier ein autonomer Kunstverstand Hitlers oder der Nazis ausgebildet hätte. Deren Idee lebt doch immer nur von der Negation, der Antimoderne, anti-westlich, anti-kapitalistisch, anti-jüdisch.

Der Kunstmarkt fragt da bei diesen Voraussetzungen nicht nach Provenienz. Er kennt sie doch zur Genüge.

Das Feuilleton hat sich auch eine ganze Weile nicht mit Ruhm becklekert, wenn es um den Ursprung dessen geht, was diesen prominenten und andere Fälle ungeklärter Provenienz angeht Es schimmerte da häufig eine Ansicht auf, daß auch solche Zustände nun nicht mehr Anlaß für große Aufregung geben sollten und empörenswert doch der Versuch wäre, nicht durch Arbeit sondern durch Geburt (Erbschaft) oder Stand (Anwalt) Geld zu machen. Unsittlich wäre es vielmehr, den Museen die hohe (arisierte) Kunst zu nehmen und dem Volke das Vergnügen der Betrachtung. Die Stimmung hat sich zugegeben in den beiden großen Zeitungen geändert, es liegt aber noch viel im Argen.

Leider kommen auch die Museen nicht zu der gebotenen Offenheit im Umgang mit ihren Erwerbungen von 1933-1945.