Dem Lobo Sascha seine wunderliche Vorstellung

It’s like a jungle sometimes it makes me wonder
How I keep from going under

Wir kriegen mal wieder fett eins auf die Mütze von Hr. Lobo.

Abgewatscht, Wut rausgelassen, Beleidigungen ausgesprochen, Anstand zu Hause gelassen, weil das, Sie müssen schon verstehen, im Kontext durch die echte und heilige Empörung des Checkers (früher Besserwissers) entschuldigt ist und damit – so fängt es gleich mal an – so gar nicht politisch inkorrekt ist, wie der Text uns weismachen will, sondern schön moralisch aufrüttelnd und damit nur in allerbester Absicht ein wenig provokant. Lobo also ein Beispiel des Wutbürgers.

Ich gebe gern zu, dass mir die ganze Person Lobo und berlinmittige Schlosse (mit Passigen Ausnahmen) nie so recht symphatisch wurde mit dem alten Audi 100 in blau und orange und dem roten Irokesen und der moralischen Attitüde, alles zusammen werbetechnisch hochgepimpt, was nicht so recht zusammenpassen will. Ich will niemandem den  Vorwurf machen, sich selbst zu vermarkten. Das ist notwendig und ein Publizist muss sehen, wo er bleibt, oder er schreibt halt nicht. Und einen moralischen Anspruch vor sich herzutragen ist auch ok, das macht der eine auf chaplineske Art, der nächste in hrabalscher Unschuld und ich meist ohne ein solches Talent – Lobo scheint mir aber den Mantel der Moral nur anzuziehen, weil die rauhen Winde da draußen ihm so kühl um die Nase blasen.

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Ich mein, es kann ja nicht jeder im Hausboot schlafen. Aber man sollte versuchen, dem Schlafenden im Hausboot etwas abzugewinnen, sein Lebensweise zu hinterfragen, bevor man ihm vorwirft, was für ein blöder Hinterwäldler er nun wieder sei und anständige Leute täten schlafen in anständigen Wohnungen und verweigerten sich nicht und hätten gefälligst die heimische Bauwirtschaft zu unterstützen. Mit anderen Worten, ich halte es für unseriös, Anderen vermeintliche Versäumnisse vorzuwerfen, um die eigene Sache zu pushen.

Worum geht es? Lobo teast mit dem Vorwurf, der Bürger sei Schuld an Deutschland als gescheitert im digitalen Wettbewerb, ein digitally failed state, weil er, der Bürger, zu faul sei und alles mit sich machen ließe. Und dabei rege er sich ständig über Kleinigkeiten auf. Er sei ein Wutbürger minus Bürger.
Mit den Stichworten Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung und NSA-BND Kooperation zur Politik- und Wirtschaftspionage geht es dann noch ein wenig wirr weiter, weil, man weiß halt nicht, wohin die Kette führt. Der Büger täte zu wenig gegen die Politik, die so etwas zulasse. Das wären ja nun aber alles Gründe, um auf Distanz zum Internet zu gehen. Der Vorwurf aber, das muss man annehmen, ist, dass die Untätigkeit der Bürger gegen all diese schlimmen Dinge Hemmschuhe für den wirtschaftlichen Erfolg des Internets hierzulande darstellen. Weshalb das so ist und weshalb etwa die US-amerikanischen Konzerne mit Massenüberwachung, Wirtschaftsspionage, digitaler Manipulation, vermutlich erst durch die enge Kooperation mit dem militärischeen Komplex der USA, usw. so erfolgreich sind, bleibt unerwähnt, was ein nicht nur lässlicher Argumentationsfehler ist, sondern schlichtweg nicht nachvollziehbar – wäre, wenn denn hier nicht die weitere Funktion des Hr. Lobo nicht allzu deutlich schimmern würde: der Macher, der Retter der Internetwirtschaft, der golden Berater des Internetzes für Dummies, der Netzloboist himself, der sich gegen die andere Seite in Stellung bringt.

Das Internet ist jedenfalls gegenwärtig allenfalls ein Großstadt-Dschungel, den man mit schweren Gerät umpflügt oder sich, wie Lobo, drin verliert.

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Denn es ist erklärtes Ziel der Regierung ebenfalls mit schwerem Gerät das Neuland Internet zu beackern, nicht nachzustehen in den Versuchen, die Infrastruktur Internet unter Kontrolle zu bringen. Das ist der Hintergrund der NSA-BND Affäre, die informationelle Überlegenheit zu gewinnen. Also wäre Lobos implizite Behauptung erklärungsbedürftig, wir würden den digitalen Staat und die wirtschaftliche Nutzbarkeit des Internets verhindern, wenn wir uns nicht gegen diese Maßnahmen wehren. Gleich, ob die Hoffnungen und Ängste von CDU-CSU-SPD in Erfüllung gehen: der Wähler folgt ihnen gerade darin auf dem Weg zur Kommerzialisierung dieser Resource.

Aber es stimmt auch hier nicht.
Das Internt ist per se nunmal kein Boomfaktor. Es wurde in persona des Disputanten selbst recht deutlich: Die Internetwirtschaft ist nicht das goldene Land in dem das Manna von den Bäumen fällt und die Werbeindustrie einem die Türen einrennt, wenn man nur laut genug HIER und ICH schreit und sich andient bis einem die Pixel aus dem Irokesen rieseln. Die Fehlschläge Lobos in dieser Richtung sind legendär und befähigen nicht zu komptenten Äußerungen: Bescheidenheit is eene Zier, doch weita komm ick ohne ihr.
Die Sueddeutsche hat letztens auf ein paar Paradoxien bezüglich Produktivität und Internet hingewiesen.
Auch wenn die Geschäftsmodelle der Samwer-Brüder oder Amazons und dergleichen dereinst greifen werden, weil die Monopolstruktur entsprechend ausgebaut werden konnte: Ist es wünschenswert oder notwendig, sich dem derzeitigen Geschäftsmodell im Internet zu unterwerfen, Herr Lobo? Müssen wir einen Dax-Konzern vergleichbar mit Google, Facebook, Apple oder eine Nummer kleiner haben? Was bringt das der deutschen / europäischen Wirtschaft dauerhaft? Ist das auch gut für die breite Volkswirtschaft, Arbeitsplätze, das Sozialversicherungssystem, usw.? Haben wir geeignete Steuerungsinstrumente?

Es wäre auch seriös zu fragen, weshalb die amerikanische Internetwirtschaft so sehr mit der NSA verflochten ist. Der militärisch-informationelle Komplex (Soshana Zuboff) sollte dem Lobo ein Begriff sein. Gerade eben haben wir die begründete Vermutung, dass die NSA offenbar auch gegen formale Vereinbarungen europäische Unternehemen und Politiker mit Hilfe des BND ausspioniert hat. Mit anderen Worten: Wollen wir eine wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben, die bisher technisch und ideologisch bedingt mit einer Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte unlösbar verknüpft sind, völerrechtliche Vereinbarungen missachtet und das Vertrauen zu unseren europäischen Nachbarn nachhaltig stört? Und sage mir keiner, das wolle der Lobo ja grade nicht: Momentan ist es ein Paket, ich nehme Alles oder nichts. Oder man ist unsicher, wie die meisten gerade oder differenziert, wie wenige. Das klagt Lobo aber im Ergebnis als zögerliche Haltung an.

Dann die angeblich nachwachsende digitale Generation, die es zu schützen gelte und schon so viel weiter sei mit ihren Smartphones: Momentan ist nicht viel mehr zu erkennen als eine vollverwertete, auf ihre Kommerzialisierbarkeit reduzierte Masse von Individuen, eingespannt in eine Hysterie der Selbstwahrnehmung und -darstellung. Was ist daran besser oder schützenswerter zur analogen Welt, etwa der jungen Citygärtner, Musiker oder Ehrenämtler? Wo ist dieses kulturelle und wirtschaftliche digital-El-Dorado?

Ärgerlich ist diese solitäre Feldherrenpose, die mit ausgestrecktem Arm auf all die Nullchecker, Versager und Zögerlinge deutet. Ärgerlich ist die Behauptung, wir würden alle überrannt, wenn wir nicht endlich mitmachten, denn die Entwicklung sei schon so viel weiter und der Fortschritt nicht aufzuhalten undswoweiterundsofort: Das ist Beratersprache, das ist das Argument von Drückern und Vertretern, Netzlobbyismus.

Tatsächlich hat bürgerschaftliches Engagement gerade wieder Konjunktur, auch in Sachen Internet, nur eben nicht in der Richtung, die sich der Lobo-Lobbyist zu wünschen scheint. Es sind (fast) ausschließlich Bürger, die sich für Datenschutz einsetzen, für Transparenz und Freiheitsrechte, eine Welt, die nicht nur kommerzialisiert ist, die sich für ein besseres Internet stark machen.

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Das ist der Dschungel des Sascha Lobo: komplexitätsreduziert, ein Aufreger, um eine nächste Kolumne abzuspielen und das Modell Bürger zu denunzieren, weil Bashing, das haben wir jedenfalls gelernt, das zieht immer im Internet.

Lobo ist die beleidigte Leberwurscht, ein Wutbürger, wie er ihn versteht: minus Bürger.

Korrektur

In diesem Beitrag habe ich den Eindruck erweckt, dass durch das Maut-System Toll-Collect in Deutschland KFZ-Kennezichenerfassung betrieben wird und das von den Verwaltungsgerichten abgesegnet wird. Beides stimmt nicht: Die Erfassung der Kennzeichen erfolgt nicht durch das Maut-System und daher wurde es auch durch die Gerichte nicht abgenickt.

Am Ende des Artikels hatte ich zwar darauf hingewiesen, dass die Erfassung der Kennzeichen durch mobile Geräte der Polizei erfolgt, das wird aber aus dem Text zuvor nicht ausreichend deutlich. Also muss ich mich korrigieren und habe das hoffentlich deutlich genug nachgetragen.

informationelle Überlegenheit

Einer der Effekte in der aktuellen Krise wegen der Bedrohung der informationellen Selbstbestimmung und weiterer Grundrechte durch die Praxis der Geheimdienste aller Länder ist das massive Ungleichgewicht der Glaubwürdigkeiten.

Gegen einige offensichtlichen Negativkriterien und offenbare Erfahrungswerte stehen nicht überprüfbare Behauptungen unter dem Sigel der staatlichen Seriösität, deren Widerlegung so monströs wären, dass es schwer fällt damit umzugehen, weil die Glaubwürdigkeit der gesamten westlichen, rechtstaatlichen Welt damit bedroht wäre.

flug

Allein die Behauptung, der ganze billionenschwere Überwachungsapparat von Five Eyes und den europäischen Staaten diene der Terrorismusbekämpfung ist so ein Humbug, der immer wiedergekäut wird, jedoch sich jeglicher Nachweisbarkeit und tatsächlich auch dem gesunden Menschenverstand entzieht. Weder gibt es nachweisbare Erfolge, die auch reproduzierbar dem Einsatz der Überwachungstechnik zuzuordnen wären, noch ist die Technik und deren Einsatz auf die Aufdeckung von Terroristen zugeschnitten, noch würden die Ausgaben den Einsatz irgendwie rechtfertigen.

Nun sind wir nicht in der Lage ein Negativgutachten über die Gründe und strategischen Ziele der Überwachungspolitik zu fertigen: Es fehlen uns die Informationen. Und unsere Beobachtungstechniken aus dem Feld der klassischen Soziologie, Politik- und Geschichtswissenschaften führen uns zu der Annahme einer vollständigen Täuschung unserer Politiker über die Hintergründe.
Selbstverständlich geht es nicht um Terroristen. „It´s the Economy, stupid.“

economy

Es geht um Macht, um Einflusssphären und Schlüsseltechnologien. Es geht um den Aufbau einer Infrastruktur im Neuland und die eingebildetet Gewissheit, um die mit dem Stichwort Alternativlosigkeit bezeichnete Hysterie der Politik, am Ende zu den Gelackmeierten zu gehören, wenn man den Zug in dieses Land verpasst. Alle Hoffnungen der westlichen Staaten das Wirtschaftswachstum beizubehalten beruhen auf der möglichst vollständigen Ökonomisierung der Infrastruktur Internet, sei es Werbung, Unterhaltungsindustrie, Medizin, Finanzsektor, Consumerbereich oder Produktionstechniken. Das heißt, wer die Kontrolle über die Technik und die Verkehrswege des Internets hat, die Infrastruktur, der bleibt im Spiel. Der Rest wird Vasall.

Es wird enorm viel unternommen, diese bescheidenen Schlüsse aus den Offensichtlichkeiten als Verschwörungstheorie oder wutbürgerlich verrannt zu diffarmieren. Man sehe nur beispielhaft unter vielen die FAZ, die mit dem Altenbockum ein Ziehpferd auf der ersten Seite rennen lässt, das sich für nichts zu schade ist, insbesondere nicht, die eigenen Leser für so unterbelichtet zu halten, dass hinter dem BND-Gebaren trotzdem irgendwelche hehren sicherheitspolitischen Motive stünden, obwohl durch die Selektorenliste bekannt wird, dass tatsächlich, was sonst, klassische Wirtschafts- und Politikspionage betrieben wird.

Es geht, wie Gerhard Baum es nun ausdrückt, um informationelle Überlegenheit.

„Denn Snowden legte die Wirkungen eines monströsen Überwachungsapparates offen. Dessen Ziel ist nicht mehr und nicht weniger als die informationelle Überlegenheit. Keine Information soll dem Zugriff entzogen sein, keine Kommunikationsverbindung, kein Rechner oder Smartphone. Betrachtet man die einzelnen Instrumente der NSA und ihrer Verbündeten, der „Five Eyes“, insgesamt, ist man überrascht, wie nahe sie ihrem Ziel schon gekommen sind. Und das betrifft jeden Einzelnen von uns.“ schreibt Gerhard Baum in der Süddeutschen.

schilf

Manchmal sind die Dinge auch einfach. In der Praxis nimmt man die plausible Erklärung und keine, deren Prämissen nicht nachweisbar sind. Mit der aktuellen Krise machen wir es gerade umgekehrt und verlieren den Glauben an uns selbst, an die Werte, mit denen wir aufgewachsen sind. Und wir verlieren das Vertrauen in die Politik und die Medien, indem wir uns Erklärungen selbst zumuten, die nicht plausibel sind und den Verrat demokratischer Grundwerte zur Folge haben. Denn es reicht nicht, mit dem Finger auf „die Politik“ zu zeigen. Wir sind es selbst, die uns daran gewöhnt haben, offensichtliche Einsichten wahrzunehmen, sei es die Herkunft unseres Essens, die Arbeitsbedingungen bei der Produktion unserer Kleidung, die Klimafolgen unserer Energieversorgung oder das Schleifen unserer Grundrechte durch die gewählte Ökonomie.
Wir sind die Spieler.

update: Natürlich wissen wir das Alle(s) schon längst.

geheime Polizei, Fragment 1840

Zu dem misslichen Versuch der Allwissenheit, wird die geheimen Polizei da verleitet, wo man sich nichts Gutes bewusst ist. Sie errichtet ein geheimes Kundschaft- und Angeberei System, und bedient sich da nicht selten der unsittlichen Forschungsmittel, unter anderen der Entweihung des Briefgeheimnisses (§. 444), der Bestechung der Hausgenossen, der so genannten Lockspione (agens provokateurs), und während sie rechtliche Leute plagt, haben Schurken freies Spiel. …  Daher betrachtet man, nach dem Missbrauch, jenes Institut vielfältig als „erkünstelte Ausgeburt der eingerissenen Regierungssucht und des Hanges zur Despotie“. Staaten mit stellvertretender Verfassung, sind dem Missbrauch der Polizei weniger ausgesetzt als andere.

Johann Ludwig Klüber, Öffentliches Recht des teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Ausgabe 1840, § 381 c

Weniger heißt nicht nicht.

Baltimore – bargaining by riot

wird ein komplexes System der Verhandlung von Rechten im speziellen der Maschinenstürmer zur Zeit der Industrialisierung im frühen 19. Jh. genannt. Aber auch für die frühe Neuzeit wird im Alten Reich eine Struktur der Verhandlung zur Ausformung von Rechten festgestellt, die ohne die latente Drohung oder tatsächliche Anwendung von Gewalt nicht auskommt. Die Gewalt ist dann etwa das, was uns als Bauernkriege oder Bauernaufstände bekannt ist. Diese Struktur der Verhandlung von Rechten, die Einforderung von Partizipation und Interessen ist wird offenbar von Generation zu Generation weitergegeben und läßt formalisierte Abläufe erkennen, was als Beweis für eine aktive Rolle der Bauernschaft, der Untertanen dient. Das frühere Bild des Bauern als reines Subjekt der Herrschaft wird damit revidiert und damit auch die lange durch die Geschichtswissenschaft vertretene Auffassung des Untertanen als einer Verhandlungsmasse und nicht als Objekte eigener Interessen und eigener Handlungsmöglichkeit. Die stärkere Ausprägung im süd- und südwestdeutschen Raum wird unter anderem als Ursache für das Beibehalten der Grundherrschaft in diesem Raum, das geringe Feststellbarkeit dieser Widerstandstradition im nord-ostdeutschem Raum als (Mit-) Bedingung für die Herausbildung der Gutsherrschaft gesehen und damit der Möglichkeit stärkeren Durchgriffs des Landesherrschaft auf den einzelnen Untertanen, sowohl was dessen ökonomische Verwertung anging, als auch dessen Disziplinierung.

Gewalt – und der Verzicht auf Gewalt durch eine Institutionalisierung von Verhandlungsmechanismen zur Teilhabe am politischen Prozeß nimmt eine wichtige Rolle im Zivilisationsprozess ein, der geprägt ist von Verrechtlichung, Gleichberechtigung, Partizipation.

Nichts davon ist in der gegenwärtigen Diskussion der Polizeigewalt gegen die schwarze, arme Bevölkerung der USA, jetzt wieder speziell in Baltimore erkennbar. Wer David Simons Bücher zu den Praktiken des Baltimore Police Departments gelesen hat, wird sich keine Illusionen über die haltlosen, teilhabelosen Zustände für die schwarze Bevölkerung machen, die eine faktische Verweigerung von sozialen und gesellschaftlichen Teilhaberechten nahelegen. Eine Institutionalisierung von Handlungsabläufen lässt sich dagegen auf der anderen Seite feststellen, wenn bei einer Bevölkerungszahl von 640.000 in einem Jahr 100.000 Festnahmen vorgenommen werden.
Die Festnahmen sind meist orientiert an einer Strafverfolgungsorganisation, der offenbar keinerlei gesellschaftliche Strafzweckdiskussion zugrunde liegt. Ohne die Todesstrafe wäre zweifellos der Schusswaffengebrauch bei Festnahmen überhaupt nicht mehr haltbar. Mir scheint jedoch das größere Problem an der Todesstrafe in den USA zu sein, dass sie eine notwendige Diskussion, einen notwendige gesellschaftliche Verständigung über den Sinn und den Zweck des Strafens verhindert und in einem Zustand nahe des Talionsprinzips verharrt mit der Folge, dass eine Kriminalisierungsspirale in Gang gesetzt wird durch Ordnungswidrigkeiten, Lappalien wie Strafzettel wegen Falschparkens, der ein durchschnittlicher schwarzer junger Mann kaum mehr entgehen kann und in der Folge als Straftäter einer ständigen Bedrohung durch einen kaum als staatliche Behörde zu nennenden Verfolgungsapparat schlecht ausgebildeter städtischer Beamter ausgesetzt wird. Nicht der Rassismus der Täter ist die ausschlaggebende Ursache an diesen nun gehäuft medial verbreiteten Tötungen, sondern die offensichtlich strukturelle Kriminalisierung der schwarzen, schlecht ausgebildeten Bevölkerungsschicht im Verbund mit einer Deindustrialisierung, die Arbeitsplätze für einfache Arbeiter vernichtet.

David Simon ist er Autor der TV-Serie The Wire und hat zwei beachtenswerte Bücher über die Polizeiarbeit in Baltimore geschrieben. Auf seinem Blog wirbt er jetzt um Zurückhaltung und Gewaltfreiheit – um eine Eskalation zu vermeiden – first things first. Er wird deshalb (und wegen einiger offenbarer Missverständnisse seinerseits, für die er sich entschuldigt) heftig angegriffen. Eine spannende Diskussion, die ein wenig Einblick gibt in die Verhältnisse und den sehr schwierigen und hilflosen Umgang der Zivilbevölkerung mit der Problematik.

Zu dem Vorwurf, dass die Gewalt nun von Kriminellen ausginge, gäbe es sehr viel zu überlegen. Angesichts einer derart massiven Kriminalisierungsrate wegen Kleinigkeiten stellt sich aber die Frage: Wer darf dann dort noch die Stimme erheben? Zweifellos ist Gewalt kein Mittel für Verhandlungen und überall zeigt sich in der Geschichte, dass durch Gewalt regelmäßig keine Veränderung von gesellschaftlichen Verhältnissen erreicht wird – keine. Gewalt ist das Mittel des Status Quo, es verhindert Entwicklung und stärkt die vorhandenen Machtverhältnisse.

Collective bargaining by riot funktioniert ebenfalls nicht ohne Gewalt – nur ist es nicht die Anwendung der Gewalt, die wirkt, sondern die abgestufte Drohung der Radikalisierung, das Beispiel der Ernsthaftigkeit, das Aufzeigen der Nachteile, die man bereits ist, hinzunehmen: Haft, Schmerzen, Tod. Etwas besseres als den Tod findet man überall. Es muss eingebunden sein in einen Verhandlungsprozess über Rechte, die wahrzunehmen den Bürger erst ausmachen. In keinen der Berichte über die Polizeigewalt in den USA wird nur ansatzweise über solche Mechanismen berichtet. Weil es sie nicht gibt?

Schlagzeite

Hin und wieder verpasse ich, in die richtige Straße einzubiegen, die Ausfahrt zu nehmen. In der Regel geschieht das wegen Aufmerksamkeiten, wegen Maigret auf der Rue Auber oder dem Oboenkonzert von Cimarosa. Schon hat man den Zug verpasst oder die Ausfahrt. (Bei der Suche nach einem geeignetem Beispiel für das Oboenkonzert bietet sich sofort wieder Gelegenheit abzugleiten in Beobachtungen über ungeahnte Selbstdarstellungen der Oboisten, deren ausladende Innigkeit im Gestus sehr schön korrespondiert mit der innigen Intonation der Noten, die dadurch zusehends Schlagseite bekommen, wegzukippen drohen vom Notenblatt hin zum Künstler.)

KunstGeorgicum

Unaufmerksamkeiten sind unerwünschte Aufmerksamkeiten. Wenn die Amsel auf dem Dach dem Schüler wichtiger erscheint als die Tafel mit Rohrspatz heißt das ja nicht, dass er nicht zu einem Ziel gelangen könnte. Aber der Tafel ist ihre Präsenz zwingend und der Eigensinn ein Abgleiten.

So bekommt die Präsenz der Personen Schlagseite. Sie sind anwesend, suchen aber den ganzen Tag in der Erinnerung nach dem doch vermissten Kuss beim Verlassen des Hauses, den sie unbeholfen nicht empfangen und dann nicht eingefordert haben. Oder sie pflügen eine Furche durch die Tage und Nächte mit einem starren Beharren auf Regeln und Naturgesetze, deren Einforderung in der Realität den Übrigen nur Starrsinn sein muss.

Ich räume ein, dass ich bei mir selbst schamvoll die Unduldsamkeit gegen die Fahrer auf der Mittelspur beobachten muss. In der Soziologie der Autofahrerei (Habermas!) lassen sich hierüber weitläufige Betrachtungen anstellen über Länder, Infrastrukturen und Charaktere, auch über Zeitempfinden, Geschwindigkeiten und Präsenz. Selten hat der Mittelspurfahrer die Lässigkeit der Langsamkeit für sich beansprucht, die das Rechtsfahrgebot aus Gründen der eigenen Ökonomie berücksichtigt. Das Touchieren mit den Flüchtigkeiten der rasenden Vertreter stört den Fluß des genügsamen Autoflaneurs dafür doch allzusehr.

Land langsam

Das Fahren auf der Mittelspur ist gerne offensives Vertreten der eigenen Präsenz einer als Öffentlichkeit begriffenen gemeinsamen Bewegung. Es ist erkennbar etwa die Noblesse und die Unerfahrenheit des Italieners und Schweden mit dreispurigen Autobahnen und das offensive Beharren der eigenen Stellung durch, nun, andere Nationen, die lange an ein Tempolimit gewohnt waren, die eigene ausdrücklich nicht ausgenommen. Die Wahl der Fahrspur ist dann Darstellung des Anspruchs auf Gleichheit, des Rechts auf gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft und nicht verwiesen zu bleiben auf die rechte, die nachrangige Spur (wenn das nur auch sonst so wäre), die Spur der Langsamen oder der Transporteure – oder aber nur die Angst vor dem Spurwechsel oder aber nur Träumerei. Als Negation und gegen die Freiheit der unbegrenzten Geschwindigkeit, die aber zweifellos zur Gewähr der Verkehrssicherheit das Mitwirken und die unbedingte Aufmerksamkeit aller Anderen erzwingt. Die Ausübung der Freiheit setzt damit ebenso eine zwingende Struktur wie die Gleichheit.

Porsche - Nails

Schlagseite, Geschwindigkeit, Schlagzeit. Divergierende Geschwindigkeiten in der Wahrnehmung kreuzen sich mit Gewohnheiten im Raum. Der eine kreuzt schnell, der andere steht gerne abseits, der nächste macht sich wichtig.

Das dachte ich mir so als ich zurückfuhr, nach Hause, der Kirschblüte entgegen.

Kirschblütenschuppen

Pfeifen

Mit einem gebrochenen, gelblichen Pfeifen
das Andante der Pastorale
windet sich der Tag, das Tal
im April in den Frühling

TTIP-Meldungen

Man muss sich wirklich langsam fragen, was da läuft.

Der rechtspolitische Irrsinn, der in TTIP beschlossen wird, ist oft genug geschildert worden, auch hier. Die Missachtung der Verbraucherinteressen, die negativen Auswirkungen auf Entwicklungsländer, mittlerweile ist alles tapfer zur Kenntnis genommen. Jetzt wird mehr und mehr die faktische Kollission zwischen EU-Recht und Entscheidungen von Schiedsgerichten offenbar (in Verfahren Vattenfall gg. Deutschland oder Gebr. Micula gg. Rumänien) , der Laie wundert sich, der Fachmann ist entsetzt.

Aber jetzt kommt auch noch der Präsident des Bundesverbands für mittelständische Wirtschaft

O-Ton Zeit-Interview: „Ich bin als Verbandspräsident politisch neutral. Und auch kein Gewerkschaftler. Ich vertrete ausschließlich die Interessen unserer Mitglieder. Und genau deswegen habe (ich) auch mit dem Ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske einen gemeinsamen Brief an Wirtschaftsminister Gabriel geschrieben, in dem wir vor den Fallstricken warnen, die in TTIP lauern.“

Von allen guten Geistern verlassen.