freiheitliche demokratische Grundordnung: Verfassungs minus Schutz

Man muss im Grunde dankbar für das wunderbar in die Wüstenhitze hineinfallende Eskapieren der Anstrengungen des Bundesamts für Verfassungsschutz, sich freizukämpfen aus einer massiven Legitimationskrise, die das professionelle Selbstverständnis der Mitarbeiter, die Tauglichkeit des Amtes für die gestellten Aufgaben und die Zweckbestimmung der Institution an sich erfasst hat.

Aufgabe der Behörde ist nch § 1 Bundesverfassungsschutzgesetz „der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder“. Die fdGO ist für unsere Chefzyniker ein unbestimmter Rechtsbegriff, auf den nicht viel zu geben wäre. Allein die Definition des Bundesverfassungsgerichts lohnt einen Blick auf die Entscheidung von 1952: „Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“.

Wer jetzt einen Schritt weitergehen wollte und die ebenfalls als Zweck der Behörde definierte Sicherheit des Bundes und der Länger befindet sich inmitten der Diskussion Freiheit gegen Sicherheit. Aber auch das ist lediglich Spiegelfechterei. Die Freiheit lässt sich nicht gegen Sicherheit ausspielen und auch diese Diskussion lenkt nur von dem einfachen Sachverhalt der Inkompetenz ab und dem schwierige Sachverhalt, was das BfV denn eigentliche für Zwecke verfolgt:

Bereits das NPD-Verbotsverfahren war an der übergrßen personellen Verflechtung des BfV mit der rechten Szene gescheitert, aber spätestens der NSU-Ausschuss hat zu Tage gefördert, dass die Behörde nicht nur die Bedrohung rechten Terrorismus nicht auf der Agenda hatte, sondern professionell offenbar auch gar nicht in der Lage war, dessen Auftreten zu erkennen. Die Angelegenheit zeigt, dass die Ermittlung in dieser Richtung nicht Teil des „operativen Geschäfts“ war und zusätzlich die Mitarbeiter auf fachlicher Ebene reihenweise versagten und weiter eine gefährliche Nähe zur Nazi-Szene besteht. Die Aktenvernichtung quasi vor den Augen der Öffentlichkeit und des NSU-Ausschusses war schließlich das eigentliche Desaster, das den Zusammenbruch jedes behördenmäßigen Verwaltungshandelns und jeder Verantwortung vor dem eigentlichen Dienstherren, dem hiesigen Souverän (Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz) offenbarte.
Nicht anders, aber stärker auf den eigentlichen Zweck der Behörde hinweisend ist die systematische Zusammenarbeit mit der NSA. Es kann dahingestellt sein, ob auch hier die Fachblindheit, staatsbürgerliche Ignoranz und offensichtliche deformation professionelle durch die Technikverliebtheit es den Amis vielleicht zu leicht machte, ihre Interessen so unverblümt hier in Amtshilfe ausführen zu lassen. Die Darstellungen wollen das glauben machen und appelieren an unsere Naivität. Der nach wie vor aktive Schutz der Aufsichtsbehörde, der Bundesminister des Inneren, die Verhinderung jeder Transparenz des Behördenhandelns unter verschleiernder Argumentation, die faktische Verweigerung  von Unterlagen und Zusammenarbeit mit dem Untersuchungsausschuß offenbaren eine ganz andere Zweckbestimmung als die ursprünglich gesetzlich normierte: Der Schutz der fdGO ist es jedenfalls nicht mehr. Terroristen jagen wohl auch nicht, es sei den die europäische Elite in Politik und Wirtschaft hat sich doch verdächtig gemacht. Der Mißbrauch des Auftrags allein wäre ein zwingender Grund, die Behörde aufzulösen und die Aufsichtsbehörde gleich mit. Was der Zweck nun ist, braucht uns daher hier nicht weiter zu interessieren: (die Hysterie der letzten 10 – 20 Jahre entwirft ein Bedrohungsszenario, das sich selbst frisst: nicht die freiheitlich demokratische Grundordnung, nicht die Sicherheit des Bundes und der Länder: bedroht erscheint der Bestand des Bundes und der Länder an sich und dies offenbar auf ökonomischer Ebene – ein funktionierendes Paradox für das Zusammenwirken der reichsten Länder der Erde in ihrem Bemühen. Es geht vermutlich um Macht und Einflußsphären.)

Die Legitimationskrise des BfV betrifft also aus nachvollziehbaren Gründen alle Ebenen der Behörde: den ursprünglichen Aufgabenbereich, die Behördenstruktur, die fachliche Ebene, wie die personelle und schließlich stimmt die öffentliche Wahrnehmung nicht mit Selbstverständnis, Zweckbestimmungen und Erwartungen überein. Verursacht wird das nicht zuletzt durch eine zunehmend offensive Stellung derjenigen, die hier geschützt werden sollen: Die Öffentlichkeit – nicht nur die vierte Gewalt – schaltet sich nicht mehr mit Parolen und politischen Meinungen wie zu Gevatter Stammtischs Zeiten in eine Diskussion ein, sondern mit Sachverstand, technischer und politischer Bildung und hohem Aufwand an Recherche. Die breite Masse der ernsthaft an dem Bestand der fdGO Interessierten bildet erst den Grundstock, der netzpolitik.org ein (vermutlich einigermaßen) Überleben, jedenfalls auch den moralischen Background sichert. Und in dem Momentum, in dem für die Behörde alles schiefläuft, das Versemmeln des NPD-Verbots, das Versagen bei der NSU-Aufklärung, die Entblößung des Verkaufs unserer Grundrechte, der politischen und wirtschaftlichen Integrität an die NSA, der Offenbarung einer völligen Fehlentwicklung im Hause kommen die transatlantischen Partner und machen sich unverfroren lustig über die Probleme, die das Amt nun hat. Man darf alles, nur erwischen lassen darf man sich halt nicht.

Die Behörde war daher um seiner Selbst willen gezwungen, Maßnahmen der Rehabilitation zu ergreifen, die Definitionsmacht über seine Aufgaben und die zu wählende Techniken wieder zu erlangen und zugleich den Bundesanwalt als unbedingt Verbündeten mit ins Boot zu holen. Sind dies doch beides jene  Institutionen, die in der Bundesrepublik das Selbstverständnis der Gewährleistung der inneren Funktionen, der Verwaltung, des Staates in seiner inneren Architektur für sich in Anspruch nehmen. Insofern handelt es sich nicht nur um die Eröffnung der ermittlungstechnischen Möglichkeiten, wie Markus Kompa und DonAlphonso treffend anmerken, sondern ebenso sehr um eine Maßnahme, die Stellung der eigenen Häuser im Gefüge der Macht zu positionieren und zu festigen.

Kompa und DonAlphons weisen zu Recht darauf hin, dass die Ermittlungen den Zweck verfolgten, das Arsenal der möglichen Ermittlungsmethoden zu erschließen, also Telefonüberwachung etc. Ob das jetzt auch auf die Vorratsdatenspeicherung zutrifft, bin ich mir nicht so sicher. Die Vorratsdatenspeicherung ist ja eigentlich im Moment nicht möglich, d.h. wegen der Rechtsprechung am EuGH und BGH 2014 ist das entsprechende Gesetz unwirksam und kann derzueit nicht als Rechtsgrundlage für entsprechende Forderungen an die Telekommunikationsanbieter und Provider dienen.

Die Vorratsdatenspeicherung ist dennoch als Zielvorstellung der notwendigen Technik auch eines der Ziele im Stellungskrieg um den Erhalt des Amtes und dessen ungeschriebenen Aufgaben, Sicherung und Ausbau der technischen Mittel und der Wiedererlangung der Definitionsmacht über die eigenen Angelegenheiten.

Wir müssen also dankbar sein für das Schauspiel. Zeigt es uns doch, wie die alten Institutionen der Sicherung der Demokratie, der fdGO einem Strukturwandel unterworfen werden, der deutliche Züge einer Entdemokratisierung gleichkommt und zugleich dieser Prozess von einer Öffentlichkeit begleitet und aufgedeckt wird, die sich zunehmend der eigenen Angelegenheiten, des Staatswesens und der Demokratie annimmt und auf die Wahrung der demokratischen Rechte, Bürgerrechte vor allem einfordert.

Dieser Beitrag wurde unter Miscellen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.