Maut und Datenschutz. Warum jetzt die Aufregung?

Es ist unheimlich und unheimlich lähmend die Aufregung zu erleben über die Mautpläne von Verkehrsminister Dobrindt. Natürlich werden die Kennzeichen der Kraftfahrzeuge gescannt. Absolut absurd geradezu wäre es, wenn das von Anfang an für die LKW-Maut vollkommen überdimensionierte Mautsystem nicht auch für die KFZ-Maut und auf eine vollständige Überwachung der Verkehrsströme und von Einzelpersonen genutzt würde. Was machen wir uns eigentlich vor? (Edit: diese Darstellung ist nicht ganz zutreffend und täuscht daher, so dass ich mich selbst ein wenig in die Irre geführt habe: Das Mautscanning ist technisch in der Lage, wird aber nicht zur Erfassung genutzt; dazu dienen eigene mobile Erfassungsgeräte der Polizei, s. bereits am Ende!)

Schon bei Einführung der LKW-Maut, die meiner Erinnerung nach vor allem Wolfgang Schäuble on die jetzige Form goß, war die Auslegung der Technik auf größere Ziele augenfällig. Es ist darüberhinaus längst systemimmanent, dass Daten in großem Maßstab zu allem möglichen genutzt werden und Datenschutz im Sinne eines Bürgerrechts von den Volksvertretern jedenfalls dann nicht geachtet wird, wenn sich nur irgendwo ein Quäntchen wirtschaftlicher Verwertung erkennen läßt.

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Dazu hatte ich bereits andernorts darauf hingewiesen: Im Rahmen der Verhandlungen des Koalitionvertrags zum Kabinett Merkel III wurde verschiedentlich der Vorstoß von (dem damaligen) Minister Friedrich (CSU, Bayern) kritisiert, die durch die Maut-Anlagen der Toll-Collect gesammelten Daten zu sichern und zur Gefahrenabwehr zu nutzen.

Es scheint dabei kaum bekannt zu sein, dass die Speicherung der Daten von Toll-Collect und deren Abgleich mit zur Fahndung ausgeschriebenen KFZ-Kennzeichen bereits in etlichen Bundesländern praktiziert wird. (Edit: also auch hier meine Beschreibung nicht richtig!)

Der bayerische Verwaltungsgerichtshof sieht mit Urteil vom 17. Dezember 2012 (edit: mit der Erfassung der Kennzeichen durch mobile Geräte der Polizei) kein Problem, so wie unser derzeitiger (damaliger) Innenminister.

Argument ist in dem Urteil unter anderem, dass keine dauerhafte Datenspeicherung erfolge, also die Daten sofort wieder gelöscht würden. Insbesondere sei deshalb die Erstellung eines Bewegungsprofils nicht möglich.

Im Umkehrschluss ist daher die Erstellung eines Bewegungsprofils technisch sehr wohl möglich. Es wird lediglich darauf vertraut, dass eine dauerhafte Datenspeicherung nicht erfolge und damit ein Datenabgleich mit früheren Standorten nicht möglich sei.

Die Erwägung verläuft zwischen den Fronten „informationelle Selbstbestimmung“ / Freiheit und „Gefahrenabwehr“:

„Der Gesetzgeber hat in dieser Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet, den rechtsstaatlichen Erfordernissen bei einem Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung entsprechend nachzukommen und deshalb die Gefahrenabwehr als Zweck der automatisierten Kennzeichenerfassung erneut – wie schon in der Begründung zum Gesetzentwurf vom November 2004 (LT-Drs. 15/2096) – in den Mittelpunkt seiner Erwägungen gestellt (LT-Drs. 15/10522 S. 1 f.).“

Entgegen der Argumentation von Innenminister Friedrich, der mit dem angeblichen Supergrundrecht Sicherheit jede Grundrechtssystematik aushebelt, gibt sich der Gerichtshof Mühe, die widerstreitenden Grundrechtsinteressen gegeneinander abzuwägen.

Wie auch immer, es findet eine ansatzlose Rasterfahndung auf deutschen Autobahnen statt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nachrangig.
Die Dimensionierung der Maut-Anlagen gab bereits bei der Ausschreibung Anlaß zur Annahme, dass weit Größeres geplant ist. Heute stellt sich die Frage, ob dies den Ausbau der Maut auf PKW betraf oder bereits damals die Gewinnung von Daten zur „Gefahrenabwehr“. Federführend war damals meiner Erinnerung nach der damalige Innenminister Schäuble.

Vertrauen auf die Einhaltung einer quasi-Selbstbeschränkung bei der Erfassung von Daten und deren unverzüglichen Vernichtung heißt in heutigen Zeiten nichts weiter als Naivität gegenüber der tatsächlichen Praxis der Datensammler an den Tag zu legen. Das Urteil datiert vor dem Bekanntwerden des NSA-Skandals und der Beteiligung auch bundesdeutscher Behörden.

Meines Wissens sind Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt.

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Soweit damals, ich bin jetzt (Nov. 2014) nicht auf dem Stand, wie das weiterging. Auf effektiven Schutz des Bürgers vor Überwachung im Rahmen der bisherigen Vorstellungen über Rechtsstaatlichkeit zu vertrauen, halte ich für Quatsch.

Nachtrag: Kürzlich ist tatsächlich Urteil durch das BVerwG erlassen und erwartungsgemäß die bisherige Praxis bestätigt worden.
Zur Klarstellung: Es handelt sich um Kennzeichenerfassung durch mobile Geräte der Polizei, was technisch selbstverständlich und ohne weiteres auch durch die stationären Anlage erledigt werden kann. Weitere links zur Sache: Die Revisionsbegründung. Gurndsatzurteil des BVerfG.

Die Kennzeichenerfassung wird natürlich nicht nur in Bayern praktiziert.

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