Mentalitätsveränderungskuriositäten

Zur Frage, wie sich Wahrnehmung und damit Mentalitäten, Lebsensauffassung, Denksysteme verändern, gibt es einen spannenden Aufsatz von Bernd Hüppauf. Über Muybridge kommt er zu Frank Hurley, der im ersten Weltkrieg erstmals durch Ausbelichtung eines Abzugs mit mehreren Negativen die Illusion eines realistischen Kriegsgeschehens vermitteln wollte. Die Brechungen in den Rechtfertigungen, ob Manipulation der Wahrnehmung oder Überwindung der technischen Grenzen zur Vermittlung eines realistischen Eindrucks sind die Eckpunkte der Beurteilung der Arbeitsweise. Ausgangslage war die Beobachtung der Kriegsfotografen und der Teilnehmer, dass sich mit dem ersten Weltkrieg erstmals die Schlachtfelder als leer gezeigt haben. Die Kriegsführung durch Schützengräben, Artillerie weit hinter dem Frontverlauf und nur gelegentlichen Durchbrüchen im Kampfgeschehen führte dazu, dass ein Eindruck der spezifischen Grausamkeiten im „Schnappschuß“ nicht einzufangen waren. Aus diesem Grund ging Hurley, wie wohl schon vorher, dazu über, verschiedene Motive ineinander zu belichten, um die Dramatik von Soldaten, Mörserbeschuß, Nebel- / Gasschwaden einrucksvoll vermitteln zu können. Teilweise wurden Gefechtsszenen nachgestellt, die ganze Trickkiste. Er entfernt sich von der Wirklichkeit als (künstlich durch den Krieg geschaffenen) Erfahrungsraum der Leere zugunsten angenommener Erlebnisstrukturen oder Sinnzusammenhänge. Die Abzüge wurden in Großformaten ausbelichtet, gerahmt und mit entpsrechendem Atelierambiente (Palmen rechts und links) ausgestellt. Die Resonanz war enorm.

Bereits vorher habe, so Hüppauf, die Fotografie von Muybridge den Glauben an die Wahrnehmung der Realität unterminiert, indem es durch die Darstellung der Bewegungsabläufe, die vorher so nicht erkennbar waren, den Zweifel an die Objektivität der Wahrnehmung gesät hat. Die Zweifel an der Wahrnehmung des Dargestellten bewegte sich von dem Objekt oder den Bedingungen hin zu einem Zweifel am Wahrnehmungsapparat, den menschlichen Sinnen, die von der Technik überlaufen werden.

Muybridge man

Die Darstellung einer objektiven Wahrheit war jedoch schon vorher nicht in Stein gemeißelt.
In der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jh. wird etwa in der Darstellung der Wolken der Wahrnehmung, wie sie sich durch Erfahrungswerte bildet, entsprochen. Die Abbildung des realsitischen Wolkenhimmels als Still würde keine adäquate Wahrnehmung der tatsächlichen Wetterlage hervorrufen. Daher bedienten sich die Großmeister wie Ruisdael der Verfremdung von Wolkenformationen.

Ruisdael himmi

Zurück zu Hurley, dem dann in der Folge mehrfach die Manipulation durch seine technischen Veränderungen vorgeworfen wurde. Er drehte noch vor der Invasion der Missionare in Papua-Neuguinea Filme, Pearls and Savages, die für Anthropologen heute Gold wert sind. Damals hat Hurley wohl die Ureinwohner glatt bestohlen und betrogen. Die Aktionen der Ureinwohner dürften ebenso manipuliert sein, wie seine übrigen Bilder.

Kurios aber sind und eine weitere Ebene der Dissonanz vermitteln die archivierten Filme Hurleys durch die eingespielte Musik. Es läßt sich auf den ersten Blick nicht feststellen, wer diese ausgewählt hat, ob etwa damals schon eine entsprechende Begleitmusik festgelegt wurde. Jedenfalls wird dazu die Sonate C-Moll KV 330, das Allegretto eingespielt. Es erinnert eher an modernen Tanz in besten Sinn. Beachtenswert auch die Darstellung der Betrunkenen, sehr fein beobachtet und choreografiert. Sehenswert in jeder Beziehung.

Bernd Hüppauf, Kriegsfotografie an der Schwelle zum neuen Sehen, in: Annäherungsversuche, hrsg. von Löwenstein
Frank Hurley, Pearls an Savages, Bilder zur Kriegsfotografie im Imperial War Museum London und hier in Australien
zu Muybridge
Mozart, Sonate K 330, das Allegretto so ab der 13 Minute.

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