Von Hütchen und Hebeln

Hebelung der EFSF-Kredite.

Ein alter Herr hat einmal von einem größeren Autohaus in Wiesbaden nach dem Krieg erzählt. Als die Firma neues Kapital brauchte, stellte der Eigentümer sämtliche Motorräder, Kraft- und Lastwagen, die verfügbar waren, gewaschen und poliert vor die Firma. Dort standen dann die Vorkriegsmodelle Mercedes, Maybach und ein großer Teil amerikanische Lastwagen, die Motoren des Wiederaufbaus. Der Bankangestellte, der sich die Lage ansehen kam, zeigte sich beeindruckt von dem Lagerbestand und den ausgestellten Sachwerten. Die Bank war zufrieden und der Kredit wurde bewilligt.

Der Hebel hat funktioniert.

Nur, wie so oft, die Sachwerte waren nicht Eigentum der Firma, sondern der Kunden. Als das Mißverhältnis zwischen besicherten Werten und Kreditrahmen auffiel, war die Firma längst zu groß, um das Kreditgeschäft rückgängig zu machen. Im Wirtschaftswunder wuchs die Werkstatt und der Wohlstand der Landeshauptstadt Wiesbaden. Bis zu den Gewinnmargen von 0,5 bis 1,0 % für einen Neuwagen im Jahr 2000 war es noch ein langer Weg.

Ist das Betrug, oder Einwilligung, betrogen zu werden?

Heutzutage wird nicht mehr mit Arbeit, Infrastruktur, Transport und Produktion Geld verdient, sondern mit Geld. Nach wie vor gilt, viel macht viel her und Geld kommt zu Geld und nur wer groß genug ist, ist wer – too big to fail.

Wenn ich die Hebelwirkung für die EFSF-Kredite richtig verstehe, bedienen wir uns nun jener Finanzmarktinstrumente, die einen maßgeblichen Anteil an der Finanzkrise haben.
Man nehme Geld, was nicht da ist, (die Kreditsicherungszusagen der europäischen Länder), werfe es auf den Markt, um Gewinne mittels eines weiteren Schuldversprechens als Hebel zu generieren, um Schulden zu besichern, die durch die ungeschützte Verfügbarkeit ungesicherter Schuldverschreibungen entstanden sind. Die reine Form der Geldbewirtschaftung. Geld ist ein Samen, aus dem sich Gewinne in Form von mehr Geld ergeben.

Was stört daran? Der Finanzmarkt funktioniert nicht ohne ein Grundgeschäft und ohne eine Grundsicherung in Form von z.B. Immobilien. Auch wenn der Markt inzwischen entkoppelt ist von dem Wert der Grundgeschäfte oder des Grundkapitals und auch die Gewinne im Finanzmarkt mittlerweile abgekoppelt sind von den Sach-, Marken- oder den Firmenwerten, ohne Grundgeschäft ist alles Nichts. Und es ist auch wahrscheinlich, daß dort draußen irgendein smarter Banker ein Finanzgeschäft entwickelt hat, das tatsächlich keinen Bezug mehr hat zum einem Grundgeschäft – nur das dürfte und darf dann wohl keiner erfahren. So ist das wie mit dem Hütchenspiel.

Unter keinem Hütchen ist immer die Kugel.

Das Spiel funktioniert so: Jeder weiß, daß der Spieler die Kugel unter den Hütchen verschwinden läßt. Aber es finden sich immer welche, die glauben, sie wären schlauer und schneller als der Betrüger.

Die Finanzgeschäfte erwirtschaften Gewinne unabhängig von den zugrundeliegenden Produktions- und Sachwerten, was zur Folge hat, daß Gewinn nicht auf das Grundgeschäft zurückfällt. Und die Arbeit, die in das Grundgeschäft gesteckt wird, korrespondiert nicht mehr mit dem Wert des Unternehmens.

Die Verluste tauchen aber nur im „alten Markt“ auf, im Extremfall, indem die Banken als unverzichtbarer Teil der Bewirtschaftungskreislaufs vom Steuerzahler gestützt werden müssen.

Dieses Mißverhältnis ist ein gesellschaftliches, kein wirtschaftliches Problem. Das Finanzsystem ist keine Naturkunde, sondern durch Personen gebildet.

Wir befinden uns mit unserem Gesellschaftssystem an der Schwelle, an der sich der Sozialismus vor 25 Jahren befand. Wie der Sozialismus sich als Gesellschaftsanschauung verstand, als bloßer Antagonismus zum Kapitalismus, aber reine Wirtschaftsideologie ohne tatsächliche gesellschaftliche Idee war, so wurde der Kapitalismus durch die Hybris der westlichen Welt als teleologischer Endpunkt der Zivilisation in die Gesellschaftstheorie transformiert. (geändert 1.11.2011)

Es wird  nicht mehr lange dauern, daß es vollkommen gleichgültig ist, wie die Lage nun tatsächlich ist oder wie die Sachzusammenhänge waren, spätestens jedenfalls dann, wenn außerhalb der paar autonomen Spinner die Leute beginnen, etwas zu unternehmen – und das wird aller Erfahrung nach nicht schön.

Es gibt immer einen, der glaubt, er kann ihn schlagen (sieht aber nicht dem Mann im Hintergrund)

Die ganze Situation erinnert auch ein wenig an die Jahre vor dem ersten Weltkrieg:

Der krude Nationalismus der europäischen Länder führte geradewegs in den ersten Weltkrieg. Jeder wußte oder hätte wissen können, daß die eigene Haltung der anderen Seite ähnlich ist und unweigerlich auf internationaler Ebene zum Disaster führt, soweit nicht ein Einlenken stattfindet. Dieses Einlenken – ein Akt der schlichten Vernunft und Selbstbeherrschung – konnte oder wollte nicht vermittelt werden. Jeder wollte weitermachen, der eine klug und bedacht, der andere mit dem glühenden, eisernen Schwert geschmiedet in der Esse seiner Selbstgerechtigkeit. Wie damals wird es das nicht geben. Die wirtschaftliche Verflechtung verbietet solchen Eskapismus.
Die internationale Politik und die Finanzwirtschaft behaupten, die offenbaren Paradoxien wären selbsterklärend, jedenfalls dem Verständigen. Sie laufen ebenso auf den unvermeidlichen Kollaps zu, wie man seinerzeit dem ersten Weltkrieg entgegenfieberte, halb ängstlich halb ekstatisch, bis der Dümmste im Kreis endlich die Mobilmachung ausgerufen hat.
Die Übereinstimmung besteht in der damaligen wie heutigen Getriebenheit, der Systemblindheit, dem Vertrauen in unzulängliche Denkmuster und Rationalisierungsstrategien (zur unglaublichen Unkenntnis der Abgeordneten hier lang). Der Wille, den europäischen Raum als Gemeinsamkeit zusammenzuhalten, ist einer der wenigen verbleibenden nachvollziehbaren Gedanken.

Das System der Geldbewirtschaftung ist ein Kernproblem und die fehlende Grundbildung der Politik, weshalb es an einer gesellschaftlichen Idee fehlt. Es fehlt eine Idee der Gesellschaft von sich selbst und ihrer Geschichte, eine Entscheidung, wie es weitergehen sollte, eine Utopie oder nur eine Vorstellung von Leben.

Ein Gedanke zu „Von Hütchen und Hebeln

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