Rechtsstaat, Nation und TTIP

Was hat der Investitionsschutz im Rahmen des Freihandelsabkommens TTIP mit Rechtsstaatlichkeit zu tun? (Zum Tag der Arbeit.)

Mit Ablauf der Sitzungsperiode wurde ein Lieblingsprojekt der Europäischen Kommission, das Freihandelsabkommen mit den USA behandelt.
Ein Teil davon sollte die weitere Festlegung der Schiedsgerichtsbarkeit für Streitigkeiten zwischen Großkonzernen und EU-Staaten sein. Ziel der Kommission ist es ersichtlich, große Konzerne vor Investitionen nicht dadurch abzuschrecken, dass Gewinnerwartungen durch Gesetzgebung der Mitgliedstaaten behindert werden. Offen im Raum stehen Kollisionen der Geschäfte etwa mit Verbraucherschutzrichtlinien zu genmanipuliertem Saatgut und Nahrungsmitteln oder den Grundrechte (Datenschutz).
(Links z.B.: hier SZ und hier Zeit

Was stößt an den Plänen besonders auf?

1. Durch die Schiedsgerichtsverfahren werden gesetzliche Standards aufgehoben, die untrennbar mit der Zivilgesellschaft verbunden sind: Die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens bei Rechtsstreitigkeiten ist nach den Erfahrungen mit willkürlicher Rechtspflege in früheren Gesellschaften zum Standard demokratischer Gesellschaften geworden. Nicht nur sichert die Mündlichkeit, also die Verhandlung der Parteien vor einem Richter, ein faires Verfahren. Die Öffentlichkeit etabliert neben der Gewaltenteilung die Kontrolle der Verfahren durch die Gesellschaft, die immer auch Interesse an der Rechtspflege hat. Sei es, um die Regelhaftigkeit der Verfahren zu kontrollieren, sei es, um Fehlern der Legislative entgegenwirken zu können.

2. Internationale Auseinandersetzungen werden der staatlichen Ebene enthoben.
Die Auseinandersetzungen und der Interessenausgleich zwischen den Akteuren auf internationalen Märkten (Gesellschaften, Konzernen, Staaten) werden bisher grundsätzlich durch die Staaten selbst repräsentiert. Das ist wiederum eine neuzeitliche Entwicklung zur Überwindung von partikularen Machtinteressen und Etablierung von demokratischen Gesellschaften. Nicht zuletzt deshalb spricht man gerne von Nationbuilding, wenn man vordergründig die Umwandlung von Staaten in demokratische Systeme meint.
Ihnen, den Staaten oder Nationen, wird die Kompetenz zugestanden zwischen den Einzelinteressen und völkerrechtlichen Grundsätzen zu vermitteln. Das hat wieder viel mit Rechtsstaatlichkeit und Zivilisation zu tun. Mit friedlicher Konfliktlösung und Verhinderung der Wirtschafts- und Hegemonialkriege der Neuzeit.
Um die Interessen der Investitionen im Ausland zu schätzen gibt es in Deutschland z.B. die Hermes-Bürgschaften, die Investoren vor dem Ausfall der Gewinnerwartungen und unwägbaren Risiken im Ausland schützen.
In Zeiten supranationaler Konzerne einerseits (Siemens etc.) und nationaler Konzerne die eine überstaatliche Wirtschaftsmacht (z.B. Google offshore) entwickelt haben, meint nun offenbar die EU, dieses Prinzip umdrehen zu müssen. Vielleicht, weil sich die EU selbst nicht mehr als Nationenverbund versteht?

3. Rechtsschutz ist klassisch anders zu erreichen. Im Rechtsstaat gibt es das Rückwirkungsverbot. Zwar auch nicht einfach, aber machbar. So lautet das beim Bundesverfassungsgericht:

„Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn der Gesetzgeber nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Entscheidend aber ist, dass der von der Rückwirkung betroffene Tatbestand vor der Verkündung des Gesetzes nicht nur begonnen hat, sondern bereits abgewickelt war. Dagegen liegt eine unechte Rückwirkung vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet (vgl. BVerfGE 101, 239 <263>). Während echte Rückwirkungen vom Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich untersagt sind, bleiben unechte Rückwirkungen hingegen in der Regel zulässig, müssen sich aber im Schutzbereich des jeweils betroffenen Grundrechts anhand der allgemeinen Grundsätze für die Einschränkung dieses Freiheitsrechts legitimieren (vgl. BVerfGE 101, 239 <263>) hier: BVerfG, 1 BvR 706/08)“

Klassisch lernt der Jurastudent: Ein Schutz von Gewinnerwartungen gibt es grundsätzlich nicht, es kann aber im Einzelfall ein Grundrechtseingriff vorliegen. Niemand kann darauf vertrauen, dass sich nichts ändert und daher seine Geschäftsidee erfolgreich wird oder sein Steuersparmodell für immer geschätzt wird. Investitionenenschutz ist nichts anderes als der Schutz von Gewinnerwartungen.

Die EU kann ohne weiteres einen entsprechend rechtsstaatlich formulierten Schutz von Eigentumsrechten (getätigten Invstitionen) einrichten. In allen drei Punkten haben wir es also mit einer Auflösung des klassischen Rechtsstaats zu tun.

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