Dilettant im Spreewald

Anfang des Jahrtausends befand ich mich mich mit etwa 15 Juristen etwa 80 km östlich von Berlin in einer Tagungsstätte der Humboldt-Universität Berlin zum Doktorandenkolloquium. Ferienhaus mit Tagungsräumen, Grillplatz, Ruderbooten und Steg. Über ein Jahrzehnt nach dem Mauerfall hatte sich in dem Landstrich noch nichts wesentlich verändert, was Infrastruktur, Technik und soziale Lebensumstände betraf. Kurz vor dem Soldatenfriedhof Halbe, Wallfahrtsort der Nazis, begann sich der Raum zu glätten und breitete sich, wie es schien, aus in eine endlose plane Ebene Richtung Osten. Die Kälte streckt ihre Fühler von dort aus im Winter und eine trockene Hitze sorgt im Sommer zuverlässig für Waldbrände im kargen Kiefern- und Birkenbestand.
Das Unterkunftshaus war eine Villa aus den 20´er oder 30´ern. Stein und Holz, recht vermutlich arisiert und nach dem Krieg in den Bestand der Universität oder einer Trägergesellschaft übernommen.
Die Tagungsräume in einem Anbau neueren Datums waren mit Türen aus Pressspan ausgestattet und alle Verschleißteile (Böden, Seifenspender, Türangeln, Fenstergriffe…) aus mittlerweile brüchigem Plaste. Der ganze Anbau mit den Gemeinschaftsräumen aus Pappmache, gepressten Holz-Papier-Altlast-Platten mit Riffeloptik in Ständerbauweise, atmend die Fakultätsseminare der Fachbereiche Agrikultur oder innere Sicherheit.

Ich hatte nach meinem Geschichtsstudium gerade ernsthaft das Jurastudium aufgenommen aus der damals bitteren (und langfristig vermutlich falschen) Erkenntnis, als Historiker die ökonomischen Belange der frischen Familie nicht meistern zu können. Zwischen den Referaten und Diskussionen wanderten wir über den zugefrorenen See, ließen uns von Dr. Y erklären, weshalb der Specht sich nicht  den Schädel zertrümmert, wenn er Löcher in die märkische Fichte hämmert und malten uns gegenseitig unsere Lebensumstände aus, warum wir welche Wege einschlagen wollten und andere nicht. Fachleute auf dem Weg ins Ungewisse, nur wenige mit einer keimenden Ahnung, daß die berufliche Zukunft meist mehrere Leben sichern müsse und bereithält.

Am Abend erzählte uns Dr. B von einer Begebenheit in der Schweiz. Die Rechtsanwaltskanzlei des uns begleitenden Professors mit Doktoren lud, soweit ich mich erinnere, jährlich Mandanten zu einem Wochenende. Dr. B befasste sich in seiner Habilitationsschrift mit Vergaberecht, dem zentralen Baustein für die Planung großer Bauvorhaben. Wenn Geld für Industrieansiedlungen oder die Shoppingmall am Randgebiet der Stadt in die Hand genommen wird, ist hier ein Fachmann zwingend notwendig.
In dem zugigen Anbau aus Pappmaché am See in der Ebene zwischen Spreewald und Westural erzählte B von einem Abendessen in einem Chalet in den Schweizer Alpen. Berge, Naturstein, Holzwärme. Ein Mandant, Investor, Bauherr saß neben B. Ein Gespräch kommt in Gang. Die ersten Gänge werden serviert, die Kerzen brennen. Es kommt die Rede auf das Habilitationsthema von B, „eine rechtshistorische Abhandlung über Vergaberecht“. Das Gespräch war beendet, für den Abend und darüber hinaus. Keine verwertbaren Informationen zu erwarten, vielen Dank, war nett. Das Informationssensorium des Investors wußte mit dem historischen Zugang nichts anzufangen.

Der Dilletant entwickelt die Sache aus einer natürlichen Freude heraus. Der Investor hat hierfür keine Zeit. Er muß voran kommen.

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2 Gedanken zu „Dilettant im Spreewald

  1. Das mag ein Grund sein, warum solche Investoren oft so wahnsinnig viel Geld verbrennen: Weil sie die Geschichte nicht mitdenken. Wer die Gegenwart nur als ein vergangenheitsloses Sprungbrett zur Zukunft versteht, der versteht eigentlich gar nichts.

  2. Das ist aber zugleich der Grund, weshalb da so viel Geld gemacht wird – Fokus setzen, Konzentrieren, Klarheit schaffen. Verstehen wollen das die wenigsten, wenn es funktioniert.

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