Salter and Sargent

INTERVIEWER

Would you describe your prose style as impressionistic?

SALTER

To be technical, impressionism means outdoor subjects with a lot of color and a breaking away from classicism, isn’t that it? Someone said that I write the way Sargent painted. Sargent based his style on direct observation and an economical use of paint—which is close to my own method.

in Paris Match

Beide haben ja gerade so ´ne Art Konjunktur. Salter als Writer´s Writer und Sargent als supersophisticated über den Erwartungen stehender Beobachter und Geschichtenerzähler. Das passt auch ganz gut in das Bild einer westlichen Gesellschaft(-skritik), die sich gegenwärtig merklich mehr über die Beschreibungsmittel definiert, als, beispielweise, über die ideologische Perfomance oder irgendwelche teleologischen Zielsetzungen – also nicht besser oder schlechter von hier aus gesehen als irgendwas vor ein paar Jahrzehnten.
Vielleicht sogar weniger abgehoben und näher an der Sache. Ähnlich ist ja das Paar Degas – Eggleston.

Anstand Pack

Ich frage, erkläre die Vorgehensweise, oft zweimal und dreimal dasselbe, forsche in der Reaktion nach der Risikobereitschaft, der Verteidigungsbereitschaft, der Vergleichsbereitschaft. Es ist erstaunlich wie wenig Begriff die meisten Menschen haben von ihren Vorstellungen, von ihren Zielen, von dem Weg der Durchsetzung. Meist soll nur ein Problem, das sich aufstaut und zur Belastung wird, erledigt werden, das konkrete Ergebnis ist nachrangig, solange es sich mit dem Erwartungshorizont deckt. Meist machen Kollateralschäden, die Störung der Betriebsamkeit, den Kern des Problems aus. Das macht mir Menschen sympathisch, sowohl die geringe Reflexion über die Technik der Durchsetzung, als auch die Beliebigkeit der Ziele. Das Ding soll halt laufen, damit man Zeit hat für Anderes.

Das Verhältnis zur Umwelt ist nicht geprägt vom Fortkommen, vom Bessersein, vom Vorteil, sondern vom Auskommen und vom Anstand. Davon, dass noch etwas übrig bleibt, für Andere, für die Kinder, für die Nachkommen. Außerdem trifft man sich immer zweimal, man wartet ist betriebsam und zeigt Kompromissbereitschaft. Das gibt es und ist hier nicht nur weit verbreitet, sondern der Kern des Wohlstands.

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Ich höre einem Mann zu, am Telefon, wie er mir berichtet, dass er Arbeit gefunden hätte. Dreißig Zeitarbeitsfirmen dort in der Kleinstadt. Etliche abgeklappert, nun doch, endlich, ab 1. September kann es losgehen, nur jetzt, heute war er beim Arzt, müsste er wieder ins Krankenhaus, wegen der Diabetes und absagen. Er weint, kurz und wütend.
Ich höre keinen Neid, keinen Hass, kein Ressentiment gegen andere, weil es ihn so getroffen hat. Das Schicksal, die Sau, hat er oft genug selbst durchs Dorf getrieben, so viel Ehrlichkeit muss sein. Es wird sich für den Job ein anderer finden. Arbeit auf andere Weise bekommt er in seinem Alter nicht mehr.

Ich weiß, dass es nicht leicht ist. Es ist nicht so, dass man hier nur die goldenen Bäume schütteln müsste und eben aus diesem Grund gut Reden haben und Empathie entwickeln könnte. Der Anstand kommt zuerst und auch die Erkenntnis, dass nicht jedem alles mit in die Wiege gelegt wurde.

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Ärgerlich ist die Weinerlichkeit und das Ressentiment, mit dem jetzt auch Verständnis eingefordert wird für den Hass und die Bösartigkeit der Leute, die gegen die Flüchtlingspolitik oder vielmehr den humanitären Zwang zur Hilfe agitieren. Wer sich selbst Pack nennt, kann auch einfach mal Pack sein. Recht viel Sympathie verdienen und wollen die Asylgegner in Heidenau offensichtlich nicht. Da muss ma sich nichts vormachen. Die wollen kein Verständnis. das sind Real-Life-Trolle, die eine tiefe Befriedigung dabei empfinden, bei anderen, die Werte eines auskömmlichen Zusammenlebens schätzenden Menschen, Befremden und Ekel hervorzurufen.  Klar schneidet man sich mit allzu starken Zuschreibungen auch den eigenen Zugang zum Verständnis ab, was in den Leuten vorgeht. „Pack“ gehört nicht so zur wirklich erhellenden Begrifflichkeit. Ich halte aber auch nichts von dem Leute-abholen-dort-wo-sie-sind. Ich will da, wo die sind nicht mehr hin. Wir alle haben gelernt mehr oder weniger, von Milieutheorie und Behaviourismus, von Memen und Sozialdarwinisten, von den Einen, die Verantwortung des Einzelnen einfordern und den Anderen, die Verständnis einfordern für die Ursachen und Bedingungen. Es geht hier aber nicht um Kommunikationstheorie oder Soziologie auf der dritten Ebene der Kontingenz. Ich war immer der Meinung, dass es einer der größten Fehler Kohls war, damals, als es anfing, nicht auf kluge Weise Position zu beziehen und deutlich zu machen, dass dieser ganze Ausländerhass, der sich im Osten Bahn brach etwas ist, was man nicht macht – und nicht nur auf die möglicherweise nachteiligen Auswirkungen auf „Investoren“ verweist. Kategorien der Bürgerlichkeit wieder etablieren. Klare Fehler, schon früher durch die systematische Vernichtung des Bürgertums, die aber nicht dazu führen können, die eigene Verantwortlichkeit aufzugeben.

Ein offenes Wort ist meist angebracht. Das ist aber etwas anderes wie der einfache Weg, verbal Fronten zu ziehen. Aber auch das offene Wort wird nichts bringen, wenn es nicht im Verständnishorizont des Anderen liegt und der kann mitunter sehr klein sein, wie der verlinkte Artikel und die Bilder und Videos aus Heidenau zeigen. Ressentiment ist nicht konstruktiv. In der Masse und auf die longue durée erreicht man durch Anstand, persönlichen, mehr.

Empathie kann man nicht fordern, sondern nur geben. Nur dann findet sie auch zurück. Die Bildzeitung schreibt heute auf der ersten Seite: „Wir helfen“. Das ist, uneingeschränkt, denke ich, ein schönes Signal, das auch klar Stellung bezieht.

In Teufels Küche

Tief senkten sich die  Schatten und es entbrannte, wie doch meist, ein Streit darüber, ob denn der Schatten käme erst mit seinem Bilde.
Ich meine gern zu sagen, dass, wenn es fröstelt doch die Sonne fehle, so dass der frohe Mut verdüstert sei und
wenn es dörrt, der Regen fehle und nichts wachsen möchte bis an den Tag als wieder Wasser treibt die alten Mühlen und die Felder netzt.
Doch alles Meinen ist doch nicht genug, wenn es um die Sonne und das Wasser geht, dass uns im Inneren treibt und regt.
Hier übt sich heut ein Paradox, dass uns versprochen wird, es wäre Alles möglich – wär nur der gute Wille recht zur Stelle und treibe es recht höflich.
Wie, so werd ich da gefragt, ist denn mein Wille nicht von rechter Güte und wer das sei, der hier bestimme Maß und auch die Qualitätscherei?
Gut, so harre ich dann weiter, wär hier wie dort zwar einerlei im Wort doch stets von zweierlei Moral.
Wo dort die Mühen und die innre Kraft gemeint sein mögen, find sich hier Gesinnung, die uns adeln solle.
Doch immer fahl und eitel blieb ihr Werk bisher – man könne Zweifel also hegen, ob dies sich ändere, nur weil man es allso wolle.

Ach arg war´s und auch ohne Ende, so dass ich rang mit meinen Sinnen und die Hände
schlug mit vors Gesicht und tage darauf mich straf – und Euch – mit eitelsicht Gedicht

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Begab mich also schwer beladen hinauf in des Teufels Wohnung,
Du lieber Leser ahnst es längst, heut gibt es keine Schonung.
Denn oben liegt der Teufelstisch, sein Schlafgemach und auch die Küche,
es trieb mich neben Wissensdurst auch Neugier wegen der Gerüche.

Was bringst Du mit, was treibt Dich her, rief mich Frau Jezebelle,
die Regiment und Haushalt führt mit schauerlich Gebelle.
Das wollte ich gern den Hausherrn fragen, erwiderte ich artig,
wie ich so komm in Teufels Küch und warum ist´s hier weder faul, noch madig?

Dir werd ich, schrie Sie wohl empört,und griff mit grauer Kelle,
da ich den guten Ruf gestört, tief in des Suppentopfes Hölle
und schleuderte was dorten lag zu schmoren mit zornesroter Wucht
nicht mehr an jenem Ort zu bohren, zu schlagen mich in Flucht.

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Ach lieb Fräulein rein, wollt ich doch nur, was Sagen über diesen Ort zu sagen wagen fragen
Und gesteh Euch mein Erkenntnis: Was führt uns her? Es ist wohl stets ein offenen Bekenntnis, das trifft auf Unverständnis.

Ich wandt mich ab von Wutentbrannter – meint Sie doch jetzt, ich hieße Sie nicht ganz bei Trost,
dass sie nicht sehen und entscheiden könnt, was ich sie schimpf, und urteil über ihre Kost.

Ich wandre also weiter in düstrer Grübelei und fand am Ausgang jenes Hains
dass wir nicht suchen sollten in den Schatten, nicht Lehre finden in den Taten Kains.

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Der Boden ist steinig, alle Äcker und Wege mit Steinen
Sie liegen schon so lange – sie können mich nicht meinen.
So ist es auch mit jenen, die wir im Rucksack tragen
Es sind meist nicht die Anderen Schuld, wenn wir uns so sehr plagen
Und die Schatten der Anderen, lehrt mich die Jezebelle
müssen diese selbst abtragen – ich bin dann wohl zur Stelle.

Ich fühlte mich ein wenig jetzt wie Johannes Mario Simmel
Die Strafe meiner Genügsamkeit, doch gleich öffnet sich der Himmel
ich trage die Spuren des Kampfes so lang wie den moralischen Kater
drum nehme ich frisch den Schritt wieder auf und denke an meinen Vater

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Ein Gruß weht aus dem Tal hervor so wandre ich von der Ferne wider
gesungen vom einem Männerchor ist´s der Ruf nach der Sterne Lieder.

freiheitliche demokratische Grundordnung: Verfassungs minus Schutz

Man muss im Grunde dankbar für das wunderbar in die Wüstenhitze hineinfallende Eskapieren der Anstrengungen des Bundesamts für Verfassungsschutz, sich freizukämpfen aus einer massiven Legitimationskrise, die das professionelle Selbstverständnis der Mitarbeiter, die Tauglichkeit des Amtes für die gestellten Aufgaben und die Zweckbestimmung der Institution an sich erfasst hat.

Aufgabe der Behörde ist nch § 1 Bundesverfassungsschutzgesetz „der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder“. Die fdGO ist für unsere Chefzyniker ein unbestimmter Rechtsbegriff, auf den nicht viel zu geben wäre. Allein die Definition des Bundesverfassungsgerichts lohnt einen Blick auf die Entscheidung von 1952: „Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“.

Wer jetzt einen Schritt weitergehen wollte und die ebenfalls als Zweck der Behörde definierte Sicherheit des Bundes und der Länger befindet sich inmitten der Diskussion Freiheit gegen Sicherheit. Aber auch das ist lediglich Spiegelfechterei. Die Freiheit lässt sich nicht gegen Sicherheit ausspielen und auch diese Diskussion lenkt nur von dem einfachen Sachverhalt der Inkompetenz ab und dem schwierige Sachverhalt, was das BfV denn eigentliche für Zwecke verfolgt:

Bereits das NPD-Verbotsverfahren war an der übergrßen personellen Verflechtung des BfV mit der rechten Szene gescheitert, aber spätestens der NSU-Ausschuss hat zu Tage gefördert, dass die Behörde nicht nur die Bedrohung rechten Terrorismus nicht auf der Agenda hatte, sondern professionell offenbar auch gar nicht in der Lage war, dessen Auftreten zu erkennen. Die Angelegenheit zeigt, dass die Ermittlung in dieser Richtung nicht Teil des „operativen Geschäfts“ war und zusätzlich die Mitarbeiter auf fachlicher Ebene reihenweise versagten und weiter eine gefährliche Nähe zur Nazi-Szene besteht. Die Aktenvernichtung quasi vor den Augen der Öffentlichkeit und des NSU-Ausschusses war schließlich das eigentliche Desaster, das den Zusammenbruch jedes behördenmäßigen Verwaltungshandelns und jeder Verantwortung vor dem eigentlichen Dienstherren, dem hiesigen Souverän (Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz) offenbarte.
Nicht anders, aber stärker auf den eigentlichen Zweck der Behörde hinweisend ist die systematische Zusammenarbeit mit der NSA. Es kann dahingestellt sein, ob auch hier die Fachblindheit, staatsbürgerliche Ignoranz und offensichtliche deformation professionelle durch die Technikverliebtheit es den Amis vielleicht zu leicht machte, ihre Interessen so unverblümt hier in Amtshilfe ausführen zu lassen. Die Darstellungen wollen das glauben machen und appelieren an unsere Naivität. Der nach wie vor aktive Schutz der Aufsichtsbehörde, der Bundesminister des Inneren, die Verhinderung jeder Transparenz des Behördenhandelns unter verschleiernder Argumentation, die faktische Verweigerung  von Unterlagen und Zusammenarbeit mit dem Untersuchungsausschuß offenbaren eine ganz andere Zweckbestimmung als die ursprünglich gesetzlich normierte: Der Schutz der fdGO ist es jedenfalls nicht mehr. Terroristen jagen wohl auch nicht, es sei den die europäische Elite in Politik und Wirtschaft hat sich doch verdächtig gemacht. Der Mißbrauch des Auftrags allein wäre ein zwingender Grund, die Behörde aufzulösen und die Aufsichtsbehörde gleich mit. Was der Zweck nun ist, braucht uns daher hier nicht weiter zu interessieren: (die Hysterie der letzten 10 – 20 Jahre entwirft ein Bedrohungsszenario, das sich selbst frisst: nicht die freiheitlich demokratische Grundordnung, nicht die Sicherheit des Bundes und der Länder: bedroht erscheint der Bestand des Bundes und der Länder an sich und dies offenbar auf ökonomischer Ebene – ein funktionierendes Paradox für das Zusammenwirken der reichsten Länder der Erde in ihrem Bemühen. Es geht vermutlich um Macht und Einflußsphären.)

Die Legitimationskrise des BfV betrifft also aus nachvollziehbaren Gründen alle Ebenen der Behörde: den ursprünglichen Aufgabenbereich, die Behördenstruktur, die fachliche Ebene, wie die personelle und schließlich stimmt die öffentliche Wahrnehmung nicht mit Selbstverständnis, Zweckbestimmungen und Erwartungen überein. Verursacht wird das nicht zuletzt durch eine zunehmend offensive Stellung derjenigen, die hier geschützt werden sollen: Die Öffentlichkeit – nicht nur die vierte Gewalt – schaltet sich nicht mehr mit Parolen und politischen Meinungen wie zu Gevatter Stammtischs Zeiten in eine Diskussion ein, sondern mit Sachverstand, technischer und politischer Bildung und hohem Aufwand an Recherche. Die breite Masse der ernsthaft an dem Bestand der fdGO Interessierten bildet erst den Grundstock, der netzpolitik.org ein (vermutlich einigermaßen) Überleben, jedenfalls auch den moralischen Background sichert. Und in dem Momentum, in dem für die Behörde alles schiefläuft, das Versemmeln des NPD-Verbots, das Versagen bei der NSU-Aufklärung, die Entblößung des Verkaufs unserer Grundrechte, der politischen und wirtschaftlichen Integrität an die NSA, der Offenbarung einer völligen Fehlentwicklung im Hause kommen die transatlantischen Partner und machen sich unverfroren lustig über die Probleme, die das Amt nun hat. Man darf alles, nur erwischen lassen darf man sich halt nicht.

Die Behörde war daher um seiner Selbst willen gezwungen, Maßnahmen der Rehabilitation zu ergreifen, die Definitionsmacht über seine Aufgaben und die zu wählende Techniken wieder zu erlangen und zugleich den Bundesanwalt als unbedingt Verbündeten mit ins Boot zu holen. Sind dies doch beides jene  Institutionen, die in der Bundesrepublik das Selbstverständnis der Gewährleistung der inneren Funktionen, der Verwaltung, des Staates in seiner inneren Architektur für sich in Anspruch nehmen. Insofern handelt es sich nicht nur um die Eröffnung der ermittlungstechnischen Möglichkeiten, wie Markus Kompa und DonAlphonso treffend anmerken, sondern ebenso sehr um eine Maßnahme, die Stellung der eigenen Häuser im Gefüge der Macht zu positionieren und zu festigen.

Kompa und DonAlphons weisen zu Recht darauf hin, dass die Ermittlungen den Zweck verfolgten, das Arsenal der möglichen Ermittlungsmethoden zu erschließen, also Telefonüberwachung etc. Ob das jetzt auch auf die Vorratsdatenspeicherung zutrifft, bin ich mir nicht so sicher. Die Vorratsdatenspeicherung ist ja eigentlich im Moment nicht möglich, d.h. wegen der Rechtsprechung am EuGH und BGH 2014 ist das entsprechende Gesetz unwirksam und kann derzueit nicht als Rechtsgrundlage für entsprechende Forderungen an die Telekommunikationsanbieter und Provider dienen.

Die Vorratsdatenspeicherung ist dennoch als Zielvorstellung der notwendigen Technik auch eines der Ziele im Stellungskrieg um den Erhalt des Amtes und dessen ungeschriebenen Aufgaben, Sicherung und Ausbau der technischen Mittel und der Wiedererlangung der Definitionsmacht über die eigenen Angelegenheiten.

Wir müssen also dankbar sein für das Schauspiel. Zeigt es uns doch, wie die alten Institutionen der Sicherung der Demokratie, der fdGO einem Strukturwandel unterworfen werden, der deutliche Züge einer Entdemokratisierung gleichkommt und zugleich dieser Prozess von einer Öffentlichkeit begleitet und aufgedeckt wird, die sich zunehmend der eigenen Angelegenheiten, des Staatswesens und der Demokratie annimmt und auf die Wahrung der demokratischen Rechte, Bürgerrechte vor allem einfordert.

Zeichen der Prosperität

Am Land

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Dort, wo früher die Busse hielten, um die Arbeiterinnen nach Fürth zu Quelle abzuholen.

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Mit Fahrtwegen von bis zu 3-4 Stunden, einfach.

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Geht jetzt jeder Bauplatz weg wie warme Semmeln

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Wenn es noch einen Bäcker gibt, wovon dort aber auszugehen ist.

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Die Kinder wachsen aus dem Boden. Und die Erzieherstellen werden knapp.

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Die Häuser werden nicht nur auf Vorrat gebaut.

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Sondern auch gleich turmbewährt. Im Oberland zwischen der Tschechei und Nürnberg.

Von Grafenrheinfeld nach Frankfurt, DE-CIX

Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld wurde am 27. Juni 2015 abgeschaltet. 1981, bei Inbetriebnahme der Anlage, waren die Gegner der Kernenergie nicht nur als spinnerte Ideologen gebrandmarkt, sie galten als Störenfriede im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinn, als Feinde der Sicherheit der Gesellschaft.

Die Sicherheit wurde damals selbstverständlicher und jedenfalls unverblümter noch als heute als wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Reibungslosigkeit verstanden. Ein schönes Stimmungsbild hierzu gibt dieser Spiegelartikel zur Wahl 1987. Tschernobyl war 1986 und hat an der verblendeten Technikgläubigkeit nichts geändert. Kohls geistig-moralische Wende war die Reaktion des gekränkten konservativen Selbstverständnisses auf die integrative und hochtolerante Diskurspolitik der Linken und 68`er durch Reduktion der Welterklärung auf vermeintliche wirtschaftliche Vernunft. Kohls Ordnung seines Einflussbereichs und seiner Klientel funktionierte daher auch maßgeblich durch eine quasi-feudale Zuweisung von Steuergeschenken, jedenfalls durch eine konsequente Unterordnung der Politik unter eine fiskalische Logik. Wie alle moderne Macht entschuldigt er seine Entscheidungen mit dem Verweis auf wirtschaftliche Zwänge: „It´s the Economy, stupid“ (Bill Clinton).

In der Nachschau waren und sind die Argumente der Atomkraftgegner aufgeräumt rational: Keine Beherrschbarkeit der Risiken, keine Lösung der Endlagerung und daher immense Folgekosten für die Gesellschaft. Technikfolgeabschätzung, Umweltverträglichkeit, Dezentralisierung. Spätestens Fukushima hat uns die Hybris und Irrationalität einer sich auf strenge Wissenschaft berufenden Industrie und einer sich auf wirtschaftliche Zwänge berufenden Politik offenbart. Es hätte ein Offenbarungseid werden müssen.

Eines der großen Argumente für die Kernenergie waren nicht zuletzt auch positiven Aspekte der Zentralisierung der Energieproduktion für die Politik. Große Wirtschaftskonglomerate gehen gerne eine Symbiose mit großen Parteien ein. Die Synergieeffekte sind enorm, die Leistungen darstellbar, die Verhandlungen fokussiert auf wenige Personen.

Insofern ist die Geschichte der Bundesrepublik eine Geschichte der großen Volksparteien und großen Konzerne – der Mittelstand lief immer so mit, der Handwerksbetrieb blieb Spielball, der Selbständige letztlich unbeachtet in seinen Bedürfnissen – es ging ihm einfach zu gut in den 70´ern und 80´ern. Wenn man Tarifverträge nur ansieht oder das Steuerrecht, quellen einem nicht nur die Eitelkeiten von Funktionären und Bedürfnisse von Verwaltungen entgegen, sondern vor allem schlichte und situative Klientelpolitik – Politik und Großkonzerne, die den Arbeitsmarkt regulieren und schon von daher Kleinbetriebe ausschließen, die sich an diesem Prozess nicht beteiligen können. Mach mit oder bleib draußen. Stringente Sachpolitk war das niemals.

Ähnlich ist es jetzt mit dem Umgang der Internet-Technik, nur ist die Machtakkumulation, die derzeit durch das symbiotische Zusammenwirken der großen BigDate-Konzerne mit dem Staat entsteht, noch stärker greifbar. Auch hierzulande besteht kein Zweifel daran, dass an der wirtschaftliche Verwertung der persönlichen Daten der  Bürger kein Weg vorbeiführt, wenn Wachstum gesichert oder nicht wenigstens das Abdriften in in die Bedeutungslosigkeit verhindert werden soll. Die Versprechungen sind Heilsversprechen, Verlockungen der Zukunft, Chiffren des Glücks. Wie mit der Kernkraft werden die Argumente in die Wohnzimmer gebracht: Teilhabe am Fortschritt, eine sorglose, saubere und intelligente Lösung der Alltagsprobleme. Als Beispiel der Smart Meter für smart people. Eine Technik ohne erkennbaren Mehrwert für den Nutzer. Also soll er nicht nur für das Gerät bezahlen – sondern gleich noch seine Daten verwertet werden.
Kritik wird als Verhinderung von Entwicklungschancen gebrandmarkt – obwohl die tatsächlichen Wertschöpfungen angezweifelt werden müssen und gegenwärtig nur aufgrund des Glaubens an die Wirksamkeit bestehen. Kritiker gelten als spinnerte Ideologen und als Störenfriede im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinn, als Feinde der Sicherheit der Gesellschaft.

Im Unterschied zur Atomtechnik rechtfertigt sich die auf BigData aufbauende Informationstechnologie im Internet nicht nur mit der kaum zu haltenden Behauptung, es gelte die Feinde der Gesellschaft abzuwehren. Die Wirtschaftlichkeit der Geschäftsmodelle ist fast ausschließlich verknüpft mit der Geldbewirtschaftung – derzeit ist es ein Zuschußgeschäft für Venturekapital, das auf den Aufbau und die Durchsetzung monopoistischer Strukturen setzt. Die Technik basiert auch im Innern offenbar zunehmend auf den Techniken der militärischen Anwendung.
Der größte Unterschied für die Technikfolgenabschätzung besteht aber in der Eigenart der BigData-Industrie, eine direkten Zugriff auf mentalitätsbildende Faktoren zu entwickeln und diese nicht nur zu testen sondern auch auszunutzen. Der bekanntgewordene psychologische Massentest der Auswirkungen von gezielten Eingriffen auf die Timeline von Facebooknutzern steht nicht allein für die offensiven Versuche, Nutzerverhalten im Hintergrund zu manipulieren. Dem zur Seite steht die quasi redaktionelle Auswahl der Informationen nicht nur aus Sicht der größtmöglichen wirtschaftlichen Verwertbarkeit (da dürfte kein großer Unterschied etwa zu Fox und deren Unterstützung der konservativen Teile der Republikaner bestehen).
Unbenommen davon sind die Auswirkungen auf die Veränderung der Infrastruktur unserer Wahrnehmung auf technischer Seite bereits jetzt immens. Diese technischen Strukturveränderungen und ihre Auswirkungen auf die Lebenswelten waren bisher eine Art Naturgesetz. Die Entdeckung und Nutzung der Elektrizität, der automobilen Mobilität, der Gerätemedizin gelten als unabwendbare Ereignisse, denen sich der Mensch anpasst. Die jetzige technologische Revolution vollzieht sich aber nicht nur mit dem Wissen dieser Auswirkungen, sondern wird bewusst mit diesem Wissen gesteuert.

Grafenrheinfeld wurde vor 35 Jahren hochgefahren. Den Atommüll will jetzt keiner haben, besonders nicht die damaligen Verfechter der Technik. Die Störenfriede von damals müssen auch jetzt wieder die Verantwortung übernehmen.

Unklare Antworten auf Fragen, die es nicht gibt

Die Griechen machen ein Referendum über eine Frage, die es nicht gibt (Graf Lambsdorf d.J.)

Nun da das Referendum der Griechen nicht nur abgehalten wurde, sondern auch mit offenbar klarer Mehrheit über die Frage mit Nein entschieden wurde, gibt es jedenfalls ein Antwort. Auch über diese wird in den nächsten Tagen kalt und heiß diskutiert werden. Genau genommen wird es daher ein Referendum gegeben haben über eine Frage, die es nicht gibt und einem Ergebnis, von dem man nicht weiß, was es bedeutet und welche Konsequenzen es hat.

Fragen, die es nicht gibt, sind Fragen, die nicht gestellt wurden oder nicht beantwortet werden sollen. Fragen, die aus dem Weg geräumt werden sollen, sind Fragen, die die Kohärenz einer Logik stören. Diese Milliardenbeträge hängen gegenwärtig an einem Vermittlungsproblem mit zu vielen Beteiligten.

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Für die Griechen scheint das Referendum, also die Frage jetzt nicht so absurd zu sein, wie für die Entscheider in den Ebenen der internationalen Politik und des IWF. Die Griechen können nur wählen zwischen Pest und Cholera, das wurde oft genug beschrieben. Die Zielvorgaben jedenfalls mit den Mitteln der Europäischen Union und des IWF, nämlich des derzeitigen Laissez-faire für Großunternehmen und des Finanzkapitalismus, sind für Griechen wenigstens so unlogisch, wie das Referendum über eine Frage, die es nicht gäbe. Das Unverständnis den Griechen gegenüber, sich nicht endlich dem herrschenden System der Geldbewirtschaftung, Konzernpolitk und der Austerität anzuschließen muss unter strikt kommunikationstheoretischer Betrachtung bei den Griechen als Affront aufgefasst werden und als Aufforderung, sich symbolisch zu unterwerfen: Zu hoffnungslos ist die Situation und zu absurd ist die Hoffnung der Instiutionen, durch ein schlichtes Andienen an die derzeitige wirtschaftspolitische Logik Erfolg haben zu können. Es fehlen die Voraussetzungen. Für diese Erkenntnis braucht es keinen Fachmann. Das hatten wir auch schonmal, kürzlich.

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Die Kommunikation zwischen den Kombatanten ist daher tatsächlich zu allererst ein Problem, welcher Logik man sich unterwerfen wolle. Und gerade weil die finanzpolitische Linie der westlichen Länder derzeit massiv in der Kritik steht und diese auch wissen, wie sehr diese in Gefahr ist, können die teils am Rand des Abgrunds argumentierenden, noch dazu ganz schrecklich in sich zerissenen Griechen niemals Zugeständnisse in dieser Richtung erwarten. Nicht, solange die Wahlen der europäischen Staatsoberhäupter von dieser wirtschaftspolitischen Erzählung abhängen, gleich ob diese jetzt kritisch diskutiert oder strikt befolgt werden soll.

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Der Vergleich mag weit hergeholt sein: Die Griechen haben durch aussichtlose Schlachten (Schlacht bei den Thermopylen) die entscheidende Schritte eingeleitet, um die westliche Zvilisation auf die Spur zu setzen. (Es wäre jetzt ein schlechter Witz zu behaupten, dass sie ja wohl irgendwann dafür büßen müssen, wirklich. Nein.) Vielleicht hat diese verlorene Schlacht, das Nein der Griechen zu diesem Referendum wenigstens den Effekt einen Splitter in die derzeitig unangefochtene Logik der Geldbewirtschaftung zu treiben und Europa auf seine Werte zu besinnen.

Nachtrag: es fängt schon an, es wächst das Verständnis und wird sich der Kritik an den vorherigen Verhandlungen angenommen.

Schuheputzen oder: Forenbetreiber haftet für Pöbel

Wieder mal öffentlich und privat – man kann schon wissen, wo man sich bewegt.

Was bin ich eigentlich für ein fauler Mensch, denk ich mir so beim Schuheputzen, das ich jetzt Wochen vor mir hergeschoben habe. Tatsächlich weder faul noch schlampig, bin ich aber an manchem Zeichen des Fortkommens weniger interessiert. Meine Schuhe sind daher auch mal schmutzig, aber nie ungepflegt. Ich brauch keine Bürste von Manufaktum und bin aus verschiedenen Gründen sehr froh dass die  Schuhwichse aus Berlin nun alle ist. Berlin, gegründet 1939, hatte mich lange genug und alles was da leer wird, ist gut.

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Die Schuhe und das drumherum sind häufig nur mehr ein Zeichen von Status und Ausweis der Bereitschaft, mehr leisten zu wollen, als Andere. Aston Martin, Jaeger LeCoultre und  Schuhe von Alden. Alles vergeben und peinliche Mühe. Und der Grund, weshalb die guten Schuhläden zumachen müssen. Viele, die sich noch ordentliche Schuhe zulegen, tun es aus den falschen Gründen. Gründe, die nicht weit genug tragen, um ein Handwerk am Leben zu halten, die nicht ausreichen, um genug Menschen von den alten Argumenten der Qualität, der Nachhaltigkeit und der Sparsamkeit zu überzeugen. Diese Schuhe werden zunehmend Luxusobjekt.

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Schuhe als Distinktionsmerkmal lass ich mir da viel eher gefallen. Alt und verbraucht sind die hier und halten mir doch die Treue. Zu wenige sparen sich noch Schuhe ab, die mit Leder und Zwirn, Holz und Nadel nicht nur ein Handwerk repräsentieren, sondern auch Kultur in ihrer Tiefe. Allein das Gerben von Leder lehrt unglaublich vieles über die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der Menschen bevor es öffentliche Transportmittel, Plastik und Kaltschaumverfahren gab. Wenn der Schuh nur noch zum Vergleich des Selbst mit anderen taugt, kann er auch ersetzt werden durch eine Sonderausgabe des Nike Air. So ist dann das Schuhezeigen ein Herzeigen seiner Individualität, ein schreckliches Stück Selbstdarstellung, das sich mit der regen Teilnahme im Nassrasiererforum oder im Wettbewerb der Sneaker-Sondermodelle messen lassen muss.
Paradox? So verkürzt, vielleicht. Sonst, Nein, differenziert. Es gibt einen Unterschied zwischen Status und Distinktion, es gibt einen Unterschied zwischen Repräsentanz und Öffentlichkeit, es gibt einen Unterschied zwischen Privat und Selbstbezogenheit. Der Schuh (wie die Kleidung, oder die Robe vor Gericht) kann ein Bewußtsein für die Art der Stellung in der Öffentlichkeit mitteilen; er kann aber mit den anderen Codes auch einfach nur sagen: Mir ist das Gequatsche von Öffentlich und Privat gleichgültig: Ich bin hier so wie da, Du bist langsam, ich bin erfolgreich, also geh besser gleich aus dem Weg. Und für diesen Dünkel braucht es keinen Reichtum.

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Naiv ist es, wenn man die kommunikativen Funktionen seines Verhaltens, der Wahl seiner Kleidung, seiner Sprache leugnet. Selbstherrlich ist es, den Unterschied von Öffentlichem und Privatem zu leugnen, indem man für sich den Schutz jeglicher Pöbelei als Meinungsäußerung in Anspruch nimmt, nur weil man die ins Internet gesetzt habe.

Der Europäische Gerichtshof hat nun – im Prinzip meiner Ansicht nach zu Recht – die Haftung des Forenbetreibers für Rechtsgutverletzungen in den Kommentaren festgestellt (hier das Urteil). Zu Recht, weil wir hier einen öffentlichen Bereich haben, zudem einen kommerzialisierten Bereich der Öffentlichkeit, der davon lebt, dass sich Nutzer beteiligen. Wenn jetzt ein Aufschrei durch die Netzgemeinde geht, das würde die Meinungsfreiheit beschränken ist damit nur (wieder einmal) eine vollkommen mangelhafte Reflexion über die Stellung des Menschen im Öffentlichen und im Privaten zu erkennen. Nirgends außer zu Hause, kann man sich hinsetzen und jemand die Pest an den Hals wünschen, dazu verschiedene lustige Techniken der Folter gedanklich durchspielen. Im Privaten ist der Mensch König – in der Öffentlichkeit ist er Bürger. Hier hat er Rücksichtnahme vor den Rechten des Anderen zu pflegen, so wie auf ihn Rücksicht genommen wird; dazu gehört auch der Anstand – der Respekt vor dem Anderen, die Zurückhaltung in der Wortwahl und der Zornesausbrüche.

Viele wünschen sich offenbar einen Dritten Bereich, der nun im Internet zu finden wäre. Weshalb? Facebook, Google, Instagram und die ganzen Bewertungsportale sind ein öffentlicher Bereich, der dadurch sehr, sehr viel Geld macht, dass die Nutzer dazu erzogen werden, die Verhaltensnormen der bürgerlichen Gesellschaft fahren zu lassen, sich überall wie mit Jogginghose zu bewegen und sich in der Öffentlichkeit am Sack zu kratzen. Und das Geschäftsmodell wird natürlich von der Politik unterstützt. Ganz bewusst wurden hier notwendige und mögliche Regelungen zur Haftung von Providern oder Bewertungsportalen unterlassen, um der Internetwirtschaft nach der geplatzten Blase Angang der 2000´er das Überleben zu erleichtern. Ein ganzer Wirtschaftszweig lebt von schlechten Kommentaren am Markt, dem auf gerichtlichem Weg sehr schwer beizukommen ist. Auch wenn es eine Störerhaftung gibt: Nicht immer ist die Grenze des Rechtsbruchs klar zu benennen. Es ist ein wenig wie mit den Spielhallen, keiner will sie in der Nachbarschaft, jeder weiß, wie asozial die sind, aber keiner will auf die Steuereinnahmen verzichten.

Wenn die Netzgemeinde jetzt heult, die Meinungsfreiheit wäre wegen der Haftung für öffentlichen Pöbel und Drohungen gefährdet,  dann stellt sich doch die Frage, ob hier ein Gedanke verschwendet wurde an das, was uns das Internet ist: Ein erweiterter Fernseher, vor dem man sich nackig machen kann oder ein ziemlich großes Tor zur Welt da draußen. Abgesehen, dass auch das TV-Gerät heute keine Grenze zum Privaten mehr kennt: Ob die das auch gerne im analogen Raum hätten, dass plötzlich eine entfernter Nachbar vor dem Haus uriniert und das als Ausdruck seiner Meinungsfreiheit geachtet wissen will?

Es steht übrigens auch der Eröffnung von Pöbelforen nichts im Weg. Einfach beim Anmelden eine Pöbel-Einverständniserklärung samt Drohstufen einrichten: ich erlaube: Beschimpfungen, Beschimpfungen mit sexueller Konnotation, Beschimpfungen mit Einbeziehung meiner Familie; Drohungen: einfach, mit Gewalt, Gewalt mit Werkzeugen, Mordrohungen; bitte ankreuzen.

Harry Rowholt

Harry Rowohlt.

Puh der Bär und Flann O’Brien, als erstes und dann noch viel mehr. Durst treibt Tränen in die Augen.

70 ist ja kein Alter, eigentlich.

Serie TTIP: Abkommen gegen Nationen, eine Sicht aus den USA

Wir müssen die Kategorien korrigieren, nach denen die Verhandlungen über Handelsabkommen beurteilt werden. Es werden weniger die Interessen der beteiligten Nationen gegeneinander verhandelt, sondern die ökonomischen Interessen der multinationalen Konzernen gegen die sozialen und ökologischen Interessen der Nationen. Das löst die Nationen auf und befreit die Konzerne von nationalen Regulierungen.

Der politische Umgang mit der Kritik an TTIP zeigt: Es hat in der deutschen Politik wieder mal die Mode konjunktur, den Kritiker als blind und uneinsichtig oder unerfahren in ein Bällebad der Erklärungsfloskeln wie alternativlos oder wirtschaftsfeindlich herabzulassen. Was sich dahinter verberge, weshalb Alternativen nicht in Frage kämen, was der Wirtschaft, dem „Markt“ so gründlich zuwiderlaufe wird nicht erklärt. Ein paternalistisches Konzept der Herrschaftsausübung, die in einer Demokratie irritieren muss.

Besonders wichtig macht sich da Sigmar Gabriel, dem nichts mehr einfällt außer harter Stoff der allein den Rücktritt nahelegt, etwa, wenn er die Vorratsdatenspeicherung mit Breivik oder den NSU-Morden rechtfertigt oder TTIP mit, nun, (eine ganze lange Pause, dann noch eine), mit der Notwendigkeit, den Transatlantischen Handel zu befördern, genau. Argumente auf dieser Ebene sind nicht nur peinlich, sondern gefährlich. Anders: die Argumente für die Handelsabkommen sind außer der Vereinheitlichung von Blinklichterzulassungtests erstaunlich mau.

Aber auch die Argumentation gegen TTIP oder Ceta krankt daran, nach den vielen problematischen Sachfragen (ökologischen und sozialen Standards, Schatten-Schiedsgerichte ohne Instanzenzug und Bindung an nationale Gesetzgebung, Arbeitsrechte) nicht die Problematik der inhaltlichen und systematischen Verfassung (oder Verfasstheit) dieser Abkommen in den Blick zu nehmen. Das fängt schon damit an, dass die Handeslabkommen als jeweils nationales Problem angesehen werden, also idR als Problem für den nationalen Wähler (Das Chlorhühnchen der bösen Amerikaner, Bedrohung unserer Standards..). Allenfalls werden noch die Auswirkungen auf kleinere Staaten in den Blick genomme.

Da wundert es, dass auch andere Länder aus denselben Gründen allergrößte Bedenken gegen die Handelsabkommen an sich haben. Etwa die Demokraten in den USA, die mehrheitlich gegen TPP, das Abkommen mit den Pazifik-Anrainern, in Stellung gehen, steht im New Yorker. Es sind offenbar u.a.  Befürchtungen, dass Arbeitsplätze verlorengehen wie bei NAFTA, Patente auf Medikamente ausgeweitet werden, Umweltstandards verlorengehen und die Schiedsgerichte ISDS. Auch trifft die Geheimhaltung der Verhandlungsunterlagen auf Unverständnis. Allgemein ist es der Verlust demokratischer Regelungskompetenz, der überall befürchtet wird.

„… Environmental regulations, public-health measures, and even minimum-wage laws can be challenged under I.S.D.S., which is already a feature of many trade agreements …“

Diese Handelsabkommen tragen so für alle beteiligten Nationen sichtlich den Kern einer Entwertung der demokratischen Teilhabe am Gemeinwesen in sich und laufen den Interessen der Wähler zuwider. Es werden auch in allen Ländern Befürchtungen laut, dass nach derzeitigen Informationen die Interessen multinationaler Konzerne bevorzugt werden. Und überall, auch in den USA, werden die genauen Verhandlungsziele und Zwischenergebnisse durch Geheimhaltung vor den eigenen Leuten verheimlicht. Und alle Regierungen nehmen für sich in Anspruch, dass die Abkommen eine neue Stufe des Wachstums und der Prosperität für das eigenen Land zünden. Wie soll das gehen? Mal abgesehen von dem bisher ungelösten Problem der endlichen Resourcen, kann es Wachstum überall gleichermaßen geben? Dann hätten wir ja nicht das Problem der Interessen konkurrierender Märkte, die hier bedient werden sollen.
Was also sagt uns das? Die nationalen Märkte sind nicht die Parteien der Vereinbarungen. Parteien sind die multinationalen Konzerne, die sich aus dem Korsett der nationalstaatlichen Regulierungen befreien wollen, einerseits und die Konsumenten der internationalen Märkte andererseits, die durch die nationalstaatlichen Regulierungen geschützt werden. Das ist (wegen der Geheimhaltung bisher nur aufgrund der Indizien) der Hintergrund der Geheimhaltung der Verhandlungen. Die Politik traut dem nationalen Publikum nicht zu die Konsequenzen des weltumspannenden Handels zu realisieren und meint außerdem in alten Argumenten (Wir für unser Land) die besten Wahlchancen zu erkennen. Die Notwendigkeit internationaler Regelungen sind längst erkannt, so wie jetzt die Decarbonisierung auf dem G7 Gipfel beabsichtigt wurde. Ähnlich ist es mit all den anderen Erkenntnissen, den Umweltstandarts, den Arbeitsrechten, den Forderungen an Rechtstaatlichkeit und Gleichberechtigung, Zugang zu Bildung. Solange aber die Nationen sich noch in einem sinnlisen Wettbewerb glauben, nimmt sich jeder so viel wie er grade kriegen kann, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Wir befinden uns nicht in einem Interessenkonflikt mit  Amerikanern oder mit Kanadiern, mit Koreanern oder Chinesen (solange letztere nicht als Handelsnation, als Konzern an sich gesehen werden). Wir befinden uns in einem Interessenkonflikt mit den Verhandlungsführern, die die Standards der demokratischen Auseinandersetzung fallen lassen zugunsten einer Ökonomisierung kultureller Standards und damit befinden wir uns mittendrin auch in der dauerhaften Krisensituation, die wir Demokratie nennen: die offene, demokratisch organisierte Gesellschaft ist eben keine statische Festlegung von Rechten und Pflichten, die den Menschen Platz, Ordnung und Wahrheit zuweisen, nach der sich alles zurichten ließe. Es muss alles ständig neu verhandelt werden und selbst die Verhandelbarkeit der Ordnungen selbst unterliegt einem stetigen Wandel und konjunkturellen Phasen eines zuwenig und zuviel.

Das ist der eigentliche Grund, weshalb die Handelsabkommen in der jetzigen Form abzulehnen sind. Sie nehmen uns die Möglichkeit der demokratischen Verhandlung  unserer Angelegenheiten und stellen sie unter ein ökonomischen Regime, das von den Interessen internationaler Konzerne diktiert wird.