Wieder mal öffentlich und privat – man kann schon wissen, wo man sich bewegt.
Was bin ich eigentlich für ein fauler Mensch, denk ich mir so beim Schuheputzen, das ich jetzt Wochen vor mir hergeschoben habe. Tatsächlich weder faul noch schlampig, bin ich aber an manchem Zeichen des Fortkommens weniger interessiert. Meine Schuhe sind daher auch mal schmutzig, aber nie ungepflegt. Ich brauch keine Bürste von Manufaktum und bin aus verschiedenen Gründen sehr froh dass die Schuhwichse aus Berlin nun alle ist. Berlin, gegründet 1939, hatte mich lange genug und alles was da leer wird, ist gut.
Die Schuhe und das drumherum sind häufig nur mehr ein Zeichen von Status und Ausweis der Bereitschaft, mehr leisten zu wollen, als Andere. Aston Martin, Jaeger LeCoultre und Schuhe von Alden. Alles vergeben und peinliche Mühe. Und der Grund, weshalb die guten Schuhläden zumachen müssen. Viele, die sich noch ordentliche Schuhe zulegen, tun es aus den falschen Gründen. Gründe, die nicht weit genug tragen, um ein Handwerk am Leben zu halten, die nicht ausreichen, um genug Menschen von den alten Argumenten der Qualität, der Nachhaltigkeit und der Sparsamkeit zu überzeugen. Diese Schuhe werden zunehmend Luxusobjekt.
Schuhe als Distinktionsmerkmal lass ich mir da viel eher gefallen. Alt und verbraucht sind die hier und halten mir doch die Treue. Zu wenige sparen sich noch Schuhe ab, die mit Leder und Zwirn, Holz und Nadel nicht nur ein Handwerk repräsentieren, sondern auch Kultur in ihrer Tiefe. Allein das Gerben von Leder lehrt unglaublich vieles über die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der Menschen bevor es öffentliche Transportmittel, Plastik und Kaltschaumverfahren gab. Wenn der Schuh nur noch zum Vergleich des Selbst mit anderen taugt, kann er auch ersetzt werden durch eine Sonderausgabe des Nike Air. So ist dann das Schuhezeigen ein Herzeigen seiner Individualität, ein schreckliches Stück Selbstdarstellung, das sich mit der regen Teilnahme im Nassrasiererforum oder im Wettbewerb der Sneaker-Sondermodelle messen lassen muss.
Paradox? So verkürzt, vielleicht. Sonst, Nein, differenziert. Es gibt einen Unterschied zwischen Status und Distinktion, es gibt einen Unterschied zwischen Repräsentanz und Öffentlichkeit, es gibt einen Unterschied zwischen Privat und Selbstbezogenheit. Der Schuh (wie die Kleidung, oder die Robe vor Gericht) kann ein Bewußtsein für die Art der Stellung in der Öffentlichkeit mitteilen; er kann aber mit den anderen Codes auch einfach nur sagen: Mir ist das Gequatsche von Öffentlich und Privat gleichgültig: Ich bin hier so wie da, Du bist langsam, ich bin erfolgreich, also geh besser gleich aus dem Weg. Und für diesen Dünkel braucht es keinen Reichtum.
Naiv ist es, wenn man die kommunikativen Funktionen seines Verhaltens, der Wahl seiner Kleidung, seiner Sprache leugnet. Selbstherrlich ist es, den Unterschied von Öffentlichem und Privatem zu leugnen, indem man für sich den Schutz jeglicher Pöbelei als Meinungsäußerung in Anspruch nimmt, nur weil man die ins Internet gesetzt habe.
Der Europäische Gerichtshof hat nun – im Prinzip meiner Ansicht nach zu Recht – die Haftung des Forenbetreibers für Rechtsgutverletzungen in den Kommentaren festgestellt (hier das Urteil). Zu Recht, weil wir hier einen öffentlichen Bereich haben, zudem einen kommerzialisierten Bereich der Öffentlichkeit, der davon lebt, dass sich Nutzer beteiligen. Wenn jetzt ein Aufschrei durch die Netzgemeinde geht, das würde die Meinungsfreiheit beschränken ist damit nur (wieder einmal) eine vollkommen mangelhafte Reflexion über die Stellung des Menschen im Öffentlichen und im Privaten zu erkennen. Nirgends außer zu Hause, kann man sich hinsetzen und jemand die Pest an den Hals wünschen, dazu verschiedene lustige Techniken der Folter gedanklich durchspielen. Im Privaten ist der Mensch König – in der Öffentlichkeit ist er Bürger. Hier hat er Rücksichtnahme vor den Rechten des Anderen zu pflegen, so wie auf ihn Rücksicht genommen wird; dazu gehört auch der Anstand – der Respekt vor dem Anderen, die Zurückhaltung in der Wortwahl und der Zornesausbrüche.
Viele wünschen sich offenbar einen Dritten Bereich, der nun im Internet zu finden wäre. Weshalb? Facebook, Google, Instagram und die ganzen Bewertungsportale sind ein öffentlicher Bereich, der dadurch sehr, sehr viel Geld macht, dass die Nutzer dazu erzogen werden, die Verhaltensnormen der bürgerlichen Gesellschaft fahren zu lassen, sich überall wie mit Jogginghose zu bewegen und sich in der Öffentlichkeit am Sack zu kratzen. Und das Geschäftsmodell wird natürlich von der Politik unterstützt. Ganz bewusst wurden hier notwendige und mögliche Regelungen zur Haftung von Providern oder Bewertungsportalen unterlassen, um der Internetwirtschaft nach der geplatzten Blase Angang der 2000´er das Überleben zu erleichtern. Ein ganzer Wirtschaftszweig lebt von schlechten Kommentaren am Markt, dem auf gerichtlichem Weg sehr schwer beizukommen ist. Auch wenn es eine Störerhaftung gibt: Nicht immer ist die Grenze des Rechtsbruchs klar zu benennen. Es ist ein wenig wie mit den Spielhallen, keiner will sie in der Nachbarschaft, jeder weiß, wie asozial die sind, aber keiner will auf die Steuereinnahmen verzichten.
Wenn die Netzgemeinde jetzt heult, die Meinungsfreiheit wäre wegen der Haftung für öffentlichen Pöbel und Drohungen gefährdet, dann stellt sich doch die Frage, ob hier ein Gedanke verschwendet wurde an das, was uns das Internet ist: Ein erweiterter Fernseher, vor dem man sich nackig machen kann oder ein ziemlich großes Tor zur Welt da draußen. Abgesehen, dass auch das TV-Gerät heute keine Grenze zum Privaten mehr kennt: Ob die das auch gerne im analogen Raum hätten, dass plötzlich eine entfernter Nachbar vor dem Haus uriniert und das als Ausdruck seiner Meinungsfreiheit geachtet wissen will?
Es steht übrigens auch der Eröffnung von Pöbelforen nichts im Weg. Einfach beim Anmelden eine Pöbel-Einverständniserklärung samt Drohstufen einrichten: ich erlaube: Beschimpfungen, Beschimpfungen mit sexueller Konnotation, Beschimpfungen mit Einbeziehung meiner Familie; Drohungen: einfach, mit Gewalt, Gewalt mit Werkzeugen, Mordrohungen; bitte ankreuzen.